Paarungszeit

USA/Russland Bush und Putin im siebten Himmel

Russland und die USA könnten nie Partner sein: Zu unterschiedlich seien ihre jeweiligen globalen Interessen. So die Politologin Condoleeza Rice auf dem Höhepunkt des Präsidentschaftswahlkampfes im vergangenen Jahr. Als Nationale Sicherheitsberaterin scheint Miss Rice inzwischen zu ganz anderen Überzeugungen gelangt zu sein. Ihr Dienstherr jedenfalls ist nach den Treffen mit Präsident Putin in Lubljana und Genua davon überzeugt, mit Moskau ins Geschäft zu kommen. Mit Recht, hat doch sein russischer Amtskollege höchst offiziell verkündet, was Washington seit Jahren hören wollte: Keine Einwände mehr gegen eine Revision des ABM-Vertrages.

Dieser Revisionismus kommt für Russland einer Katastrophe gleich, da selbst die geschicktesten Unterhändler nicht wettmachen können, woran es dem Land nach der Ratifizerung des START-2-Abkommens mangelt: An Argumenten, die Washington wirklich beeindrucken könnten. Eine Katastrophe ist die jetzige Entwicklung aber auch für Europa, da dessen Bemühungen um größere außen- und sicherheitspolitische Selbstständigkeit durch den Schulterschluss zwischen Moskau und Washington um Jahre zurückgeworfen werden. Zugegeben: die NATO-Osterweiterung oder die Aggression der Allianz gegen Jugoslawien waren alles andere als Meilensteine auf dem Weg hin zu einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität. Gleiches gilt für das derzeitige Gerangel um Mazedonien. Von der schleichenden Amerikanisierung der OSZE ganz zu schweigen. Europa als eigenständigen Machtfaktor in der Welt zu akzeptieren, fällt vor diesem Hintergrund unendlich schwer. Gerade deshalb jedoch hätte das eurasische Russland in seinen Bemühungen nicht nachlassen dürfen, jegliche Versuche Europas, die sicherheitspolitische Umklammerung durch die USA zu lockern, tatkräftig zu unterstützen. Die Entscheidung, mit dem Vorschlag für ein gemeinsames russisch-europäisches, nicht-strategisches Raketenabwehrsystem bei der NATO vorstellig zu werden, anstatt bei der Europäischen Union, zeigt jedoch, wie wenig der Kreml dazu bereit oder imstande ist.

America first! Diese Grundhaltung demonstriert Russland auch in Asien: Die Idee von Ex-Premier Jewgeni Primakow, ein strategisches Dreieck Moskau - Peking - Delhi als wesentliche Voraussetzung global-politischer Pluralität im 21. Jahrhundert zu installieren, verkommt unter Putin zusehends zu einem kurzatmigen Bilateralismus, dessen Basis Waffengeschäfte und nicht alternative Politikentwürfe sind. Was bitte soll eine gemeinsame russisch-chinesische Gipfelerklärung, in der Washingtons ABM-Revisionismus aufs Schärfste kritisiert wird, wenn kurz darauf der Präsident Russlands verlauten lässt, die Erklärung richte sich auf keinen Fall gegen die USA. Die überwiegend zustimmende Reaktion Indiens auf Bushs Raketenpläne resultiert nicht zuletzt aus dieser Schaukelpolitik.

Putin ist und bleibt ein eurasischer Transatlantiker, der in schlechtester sowjetischer Tradition immer erst nach Washington schielt, bevor er mit anderen spricht, egal ob es sich um die Struktur strategischer Waffenarsenale, regionale Konflikte, den Transfer dualer Technologien oder die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen handelt. Wer dies nicht billigt, muss gehen wie unlängst Generaloberst Leonid Iwaschow, der als Chef der Internationalen Abteilung des Verteidigungsministeriums aus seiner Aversion gegen die Politik Washingtons nie ein Hehl gemacht hat.

Russland wird sowohl hinsichtlich seiner Interessen, als auch seiner Probleme objektiv immer asiatischer. Worauf Analysten in Moskau seit Jahren hinweisen, erlangt durch den russisch-amerikanischen ABM-Konsens wie das faktische Scheitern eines russisch-europäischen Sicherheitsdialogs zusätzliche Aktualität: Um im Westen nicht ewig als Bittsteller zu hausieren, muss sich Russland über Asien nähern. Je schneller Putin dies begreift, umso besser für Russland. Doch auch für Europa, da ein russisches Engagement im Osten letztlich die Chance birgt, zwischen Europäern und Russen einen erweiterten Sicherheitsdialog jenseits der Grenzen des Alten Kontinents - von Damaskus bis Pjöngjang - zu etablieren und damit einen Teil des politischen Flurschadens zu beheben, der während der vergangenen Jahre im russisch-europäischen Verhältnis angerichtet wurde.

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