Rattenlinie nach Grosny

DIE GESCHÄFTE DER OLIGARCHEN Russische Unternehmer und Staatsdiener stehen unter dem Verdacht, seit Jahren rege Kontakte zu tschetschenischen Feldkommandeuren zu unterhalten

Der ehemalige Exekutivsekretär der GUS und bekannte Unternehmer Boris Beresowski ließ zu Wochenbeginn wissen, er beabsichtige, gegen die Zeitung Moskowskij Komsomolez gerichtlich vorzugehen. Das Blatt hatte dechiffrierte Aufzeichnungen von Telefongesprächen veröffentlicht, die Beresowski mit dem Vizepremier Tschetscheniens Kasbek Machaschow und dem ehemaligen tschetschenischen Außenminister Mowladi Udugow geführt haben soll. Das Ganze - so Beresowski entrüstet - sei eine Kompilation aus verschiedenen Telefonaten, die er tatsächlich geführt habe. Gleichzeitig beschuldigte er die Führung der Medienholding Media-Most (seines Konkurrenten Wladimir Gusinskij - d.Red.), »nicht ganz selbstlos« pro-tschetschenisches Videomaterial in den Äther gestellt zu haben.

Wie auch immer, nach den im Moskowskij Komsomolez aufgetauchten Telefonmitschnitten, deren Echtheit noch nicht feststeht, drängen sich Zweifel auf: Vielleicht sind die »Enthüllungen« der vergangenen Tage viel weniger Teil jenes von Beresowski beschworenen Gemetzels unter Oligarchen als vielmehr Ausdruck einer ganz anderen Entwicklung.

Es gibt in der Tat vielfältige Beweise unterschiedlichster Qualität für - gelinde gesagt - nicht ganz eindeutige Kontakte einiger russischer Staatsdiener und Geschäftsleute zu tschetschenischen Feldkommandeuren. Eine Untersuchung mit dem Ziel, diese Informationen zu systematisieren, hat bisher niemand riskiert. Verschiedene föderale Sicherheitsdienste verfügen über verschiedene »Teile« dieses Informationsmassivs. Vorsichtige Versuche, diese Teile zusammenzuführen, zeitigen äußerst interessante Ergebnisse. Aufschlußreich ist beispielsweise die Biografie des einstigen Weltklassesportlers Salman Chasimikow, der unter Tschetscheniens ehemaligem Präsidenten Dshochar Dudajew (*) dem Nationalen Sicherheitsdienst in Grosny vorstand. Nachdem Dudajew zwei seiner Untergebenen (zuvor Mitarbeiter des sowjetischen KGB) der Spionage für den russischen Inlandsgeheimdienst FSB überführt hatte und es diesen auch noch gelang, sich nach Russland abzusetzen, trat Chasimikow von seinem Posten zurück. Zu Beginn des Tschetschenien-Krieges im Dezember 1994 tauchte er jedoch als Chef der persönlichen Leibwache Dudajews wieder auf. Gleichzeitig wurde er interessanterweise als Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes von LogoWAS, dem wirtschaftlichen Rückgrat Boris Beresowskis, geführt.

Darüber hinaus fallen einige Ungereimtheiten bei der strategischen Führung der zur Zeit in Dagestan operierenden islamistischen Kampfeinheiten auf. Obwohl die Truppen Basajews zweimal die Möglichkeit hatten, wichtige Ortschaften (Botlich und Chasawjurt) im Durchmarsch einzunehmen, gruben sie sich in deren Vorfeld ein und führten einige Wochen lang einen Stellungskrieg, nur um sich dann in aller Ruhe nach Tschetschenien zurückzuziehen.

Einige Zeit vor dem ersten Einfall in Dagestan wurde im tschetschenischen Fernsehen ein Film gezeigt, in dem Basajew auf den Koran schwor, von Boris Beresowski drei Millionen Dollar erhalten zu haben. Was ist dieser Schwur wert? Genauso viel wie die nur schwer nachprüfbare Information, nach der sich in Nizza »ein Mensch« mit Basajew getroffen habe, »der Woloschin, dem Chef der präsidialen Administration« - wie die Iswestija schreibt - »recht ähnlich sah«?

Es existiert überdies eine Vielzahl von Beweisen für gemeinsame Handelsgeschäfte mit Erdöl- und Erdölprodukten zwischen Tschetschenen und einigen Moskauer Unternehmen. Spezialisten zweifeln nicht daran, dass in den letzten acht Jahren zwischen Moskau und Grosny stete Kontakte gepflegt wurden, und viele Vertreter der politischen Elite Russlands unehrenhafter Handlungen überführt werden könnten. Berücksichtigt man den emotionalen Kontext, wie er sich nach den jüngsten Terroranschlägen in Moskau herausgebildet hat, kann die Bestrafung der Betroffenen sehr hart ausfallen.

Allerdings gibt es noch eine zweite Erklärung dafür, warum in einigen Massenmedien massiv Informationen über derartige Verbindungen auftauchen. Es könnte sich dabei weniger um einen Schlag gegen skrupellose Geschäftsleute und Staatsdiener, sondern vielmehr gegen die tschetschenischen Auftraggeber der Terroranschläge handeln. Viele Feldkommandeure konnten sich über all die Jahre vor allem wegen ihrer guten Mos kauer Kontakte der Verfolgung durch föderale Sicherheitsdienste entziehen. Jetzt hat man ein äußerst seriöses und nachhaltiges Druckmittel entwickelt. Den Feldkommandeuren wird bedeutet: Wir entziehen euch jegliche Unterstützung, denn so war das nicht abgesprochen. Häuser in die Luft sprengen und Menschen im Schlaf umbringen, das verletzt die Spielregeln. Niemand wird euch länger Schutz gewähren. Und wer es versucht, wird bestenfalls eine Zelle mit euch teilen.

(*) Dudajew wurde während des Tschetschenien-Krieges 1995 durch eine ferngesteuerte russische Rakete getötet.

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