Russland als Ausputzer?

Entwarnung statt Hysterie Das Londoner Internationale Institut für Strategische Studien versucht sich an einer Analyse des iranischen Nuklearpotenzials

Gibt es genug Gründe, die den Verwaltungsrat der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) am 24. November zwingen könnten, für die Übergabe des so genannten Iran-Dossiers an den UN-Sicherheitsrat zu votieren? Nach der Lektüre der gerade vom Londoner Internationalen Institut für Strategische Studien (IISS) veröffentlichten Studie über "Irans Strategische Waffenprogramme"* ist die Antwort ein klares Nein.

Irans derzeitige nukleare Anstrengungen sind bekanntlich darauf gerichtet, möglichst unabhängig nukleare Energie zu gewinnen, was die Fähigkeit einschließt, durch die Anreicherung von Uran nuklearen Brennstoff zu erzeugen. Als Mitglied des Vertrages über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (NPT) ist die Islamische Republik dazu berechtigt. Dass man in Teheran gewillt ist, bei den eigenen Nuklearambitionen die militärische Sphäre nicht auszuklammern, steht außer Frage. Nicht jedoch, ob das Land dazu auf absehbare Zeit auch fähig ist.

"Ein halbes Jahr", warnte unlängst Aharon Zeevi-Farkash, Chef der Militärischen Aufklärung Israels (AMAN), "länger braucht Teheran nicht, um die Technologie der Uran-Anreicherung zu beherrschen. Dann noch zwei Jahre, und es baut seine erste Bombe."

Die Autoren der IISS-Studie sehen dies anders: Der Iran werde erst in Jahren in der Lage sein, wehrtechnisch relevante Mengen nuklearwaffenfähigen Materials - Plutonium oder hoch angereichertes Uran - zu produzieren. Irans Forschungsreaktoren in Teheran und Esfahan seien viel zu klein, um substantielle Mengen an Plutonium zu erzeugen. Erst der in Arak entstehende 40-Megawatt-Schwerwasserforschungsreaktor könne voraussichtlich ab 2014 ausreichend waffenfähiges Plutonium produzieren, falls der Iran eigene Wiederaufbereitungskapazitäten zur Trennung von Plutonium und verbrauchtem Kernbrennstoff aufbauen wolle. Allerdings sei damit absehbar nicht zu rechnen, Teheran setze diesbezüglich - wie auch im Falle des ab 2006 betriebsfähigen Kernkraftwerks in Bushehr - ganz auf russisches Know-how.

Der schnellste Weg zu kernwaffenfähigem Material führt laut IISS über das in Natanz angesiedelte Zentrifugen-Programm. Aus Furcht vor UN-Sanktionen habe Teheran jedoch im Oktober 2003 wesentliche Elemente auf Eis gelegt. Sollte dies rückgängig gemacht werden, würde es Jahre dauern, eine Pilotversuchsanlage von einigen tausend Zentrifugen zu errichten. In Betrieb genommen, müssten Aggregate dieser Dimension mehrere Jahre laufen, um genügend hoch angereichertes Uran für Kernwaffen zu produzieren, was der IAEA wie auch westlichen Geheimdiensten kaum verborgen bleiben dürfte.

Letztlich jedoch - so die IISS-Analysten - sei alles eine Frage der Motivation: Sollte der Iran meinen, eigene Nuklearwaffen seien essentiell für das eigene Überleben, könnte die jetzige Regierung in Teheran unter Umständen sehr schnell ein verdecktes Programm zur Produktion hoch angereicherten Urans auflegen. Sollte die Kernwaffen-Option hingegen ein langfristiges Ziel sein, müsse mit einem Zeitraum von zehn Jahren gerechnet werden, bis Zehntausende Zentrifugenmaschinen verfügbar seien, die in wenigen Tagen hoch angereichertes Uran für Kernwaffen erzeugen könnten.

Für die Autoren der Londoner Studie keine berauschende Aussicht. Allerdings unterschätzen sie die politischen Spielräume, die sich aus einem solchen Szenario ergeben. Zwar wäre der Iran dann eine Nuklearmacht - eine weitgehende Demilitarisierung des Mittleren Ostens könnte aber dazu führen, dass es dabei bleibt. Gefordert wären in diesem Fall Israel und die USA als dessen Hauptverbündeter.

Aus etwa 400 Einheiten nuklearer Munition mit einer Sprengkraft von 50 Megatonnen TNT-Äquivalent, die auf Jericho-2-Trägerraketen jeden beliebigen Punkt in der Region verwüsten können, aus nuklear bestückten U-Booten sowie einem leistungsfähigen Arrow-Abwehrsystem setzt sich Israels Militärmaschinerie zusammen und trägt nicht unbedingt dazu bei, Teherans Wünsche nach eigenen Atombomben zu erschüttern.

Auch dürfte Teheran kaum entgehen, wie die US-Armee ihre Position im Norden und Osten des Iran befestigt. Gerade wird Turkmenistan von der Sinnhaftigkeit amerikanischer Basen überzeugt, auch wenn Aserbaidschan und Georgien als die wichtigeren Alliierten in der Region gelten - im Falle eines Krieges gegen den Iran bieten sie ideale Rollbahnen für fliegendes Kriegsgerät. Und Widerstand, etwa des aserbaidschanischen Präsidenten Ilcham Alijew, wird durch die Androhung einer "Nelken-Revolution" gebrochen.

Die jüngsten anti-israelische Ausfälle des iranischen Präsidenten Mahmoud Achmadinejad haben nicht nur die Falken in Washington erregt mit den Flügeln schlagen lassen, sondern auch Russland, Teherans wichtigsten Verbündeten, in eine wenig komfortable Lage gebracht. Von Washington massiv bedrängt, sich nun endlich in die Anti-Iran-Front des Westens einzureihen, versucht Moskau derzeit, mit diversen Vorstößen die entstandene Lage zu entkrampfen und zugleich wieder Schwung in die festgefahrenen europäisch-iranischen Nukleargespräche zu bringen. Etwa mit dem Vorschlag, Teheran zu gestatten, Uran in Russland anreichern zu lassen. Sich vom Weißen Haus vollends gegen die Islamische Republik vereinnahmen zu lassen, dazu scheint der Kreml (noch) nicht bereit. Erst vor einem Monat startete an Bord einer russischen Trägerrakete Irans erster Nachrichten- Satellit Sina-1 in den Weltraum.

(*) IISS Strategic Dossier, Iran´s Strategic Weapons Programmes - a net assessment, Oxford: Routledge 2005


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