Bis 2005 werde China die Zahl seiner Militärangehörigen um weitere 200.000 auf 2,3 Millionen reduzieren. Dies sei nicht nur ein Gebot volkswirtschaftlicher Vernunft, sondern entspreche auch den Grundlinien weltweiter militärischer Reformbemühungen: Vorrangig die moderne Wissenschaft und die Informationstechnologie hätten den globalen Wettbewerb in militärischen Angelegenheiten verschärft - der Übergang vom mechanisierten zum Informationskrieg sei die Folge. Die weitere Reduzierung des Militärpersonals werde es China ermöglichen, seine begrenzten Ressourcen auf die beschleunigte Ausrüstung der Armee mit Hochtechnologie zu konzentrieren. - Es waren die Feierlichkeiten zum 50. Gründungsjubiläum des Instituts für Wehrwissenschaft und Wehrtechnik der Volksbefreiungsarmee in Changsha (Provinz Hunan) am 1. September, die Jiang Zemin, Vorsitzender der allmächtigen Zentralen Militärkommission, als Rahmen für diese programmatische Erklärung gewählt hatte.
Das Institut betreibt seit Jahren angewandte Zukunftsforschung, eine bessere Kulisse hätte Chinas Polit-Patriarch kaum finden können, um der Welt und der eigenen Bevölkerung anzudeuten, dass die Volksrepublik nach dem zweitem Irak-Feldzug der USA entschlossener denn je ist, die Volksbefreiungsarmee in eine hochprofessionelle Streitmacht zu verwandeln, die nicht auf ahnungsloses "Kanonenfutter", sondern Kader setzt, die modernste Militärtechnik virtuos beherrschen. Trübe Aussichten für alle, die Chinas Streitkräfte traditionell als "Futterkrippe" sehen: Karriere-Generäle, geschäftstüchtige Militärs, Möchtegern-Stars, die über die in jeder Garnison existierenden Gesangs- und Tanz-Ensembles auf den Sprung ins große Show-Geschäft hoffen, aber auch Millionen junger chinesischer Bauern, die wegen ihrer Armut oft keinen anderen Ausweg sehen, als den Pflug gegen das Gewehr einzutauschen.
Bereits der erste Irak-Krieg von 1991 hatte das chinesische Verteidigungsministerium veranlasst, das tradierte maoistische Konzept des "Großen Volkskrieges" endgültig ad acta zu legen, um den "tatsächlichen" Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein - "begrenzten lokalen Kriegen unter Hochtechnologiebedingungen". Die Volksbefreiungsarmee sollte möglichst schnell in die Lage versetzt werden, auf einem Gefechtsfeld handeln zu können, das von hochtechnologischen Ausrüstungen der eingesetzten Kräfte geprägt ist, um - nicht zuletzt - präemptive Schläge gegen potentielle Gegner zu führen.
Natürlich setzte all dies komplexe Luft- und Seekriegskräfte sowie vernetzte Kommando-Operationen voraus, wovon China Anfang der neunziger Jahre meilenweit entfernt war. Seither jedoch ist der Wille ungebrochen, dieses Manko zu beheben. Auf den ersten Blick mit Erfolg: Einer Entlassungswelle zwischen 1996 und 2000 fielen mehr als eine halbe Million Militärangehörige zum Opfer. Der militärisch-industrielle Komplex des Landes wurde einschneidenden Reformen unterworfen, die den Weg ebneten für die Serienproduktion ballistischer Raketen, taktischer Lenkflugkörper, hochseetauglicher Kriegsschiffe, konventioneller und nuklearer U-Boote sowie multifunktionaler Jagdflugzeuge. Die nukleare Komponente erfuhr eine gewisse Aufwertung, was sich besonders in einer erneuten Beschäftigung mit der Mehrfachsprengkopf-Technologie niederschlug. Schließlich wurde Ende 2002 mit den Generälen Guo Boxiong und Cao Gangchuan zwei Militärs das Kommando der Volksbefreiungsarmee übertragen, die sich über Jahre intensiv mit der Erprobung und Integration komplexer Waffensysteme befasst hatten.
Auf den zweiten Blick allerdings werden Grenzen und Schwachpunkte der bisherigen Reformen deutlich: Noch immer importiert das Land überdurchschnittlich viel Kriegsgerät. So besteht die chinesische Luftwaffe fast ausschließlich aus russischen Maschinen. Auch sind die ehrgeizigen Pläne, bis 2050 eine hochseefähige Kriegsflotte aufzurüsten, ohne russische Expertisen und Technologien zum Scheitern verurteilt. Vom noch ehrgeizigeren Weltraum-Programm ganz zu schweigen. Verantwortlich für die anhaltende Abhängigkeit von Waffeneinfuhren ist die geringe Qualität sogenannter "einheimischer Wehrprodukte", die in Wirklichkeit oft nichts weiter sind als anarchische Ragouts diverser ausländischer Komponenten. Der Jagdbomber Jianhong-7 ist dafür ein eben solcher Beleg wie das Jagdflugzeug Jian-10 oder das Diesel-U-Boot Typ 039 der Wuhan-C(Song)-Klasse.
Hier ein eigenes integratives und funktionierendes Megasystem zu schaffen, um den Eklektizismus zu überwinden und das Überleben der Armee im Zeitalter der Hochtechnologie zu sichern, erscheint als eine technologische und intellektuelle Herausforderung, der Chinas Militärführung bis dato eher hilflos gegenüber gestanden hat. Der Irak-Krieg vom März/April 2003 dürfte daran zunächst nur wenig ändern, trotz aller Absichtserklärungen der politischen Führung.
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