30 Minuten in der fahrenden Box

Birdwatching Eine Theaterperformance , bei der die Trennung in Zuschauer_innen und Schauspieler_innen nicht mehr existiert sondern alle Teil eines Gesamtkunstwerks sind

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Gleich zu Beginn verabschiedete sich eine Frau. Sie wollte doch nicht Platz nehmen in der engen Box. 15 Personen können darin sitzen, wenn sie Knie und Ellbogen eng an den Körper pressen. Gleich geht die weiße Tür zu und die Box setzt sich in Bewegung. Ein Maschinengeräusch setzt ein, das in den nächsten 30 Minuten nicht mehr verstummen wird. So lange dauerte die ungewöhnliche Theaterperfomance des belgischen Duos Vandewalle & De Vries, die im Rahmen des Theaterfestivals Foreign Affairs am 9.7. im Berliner Haus der Festspiele erstmals in Deutschland aufgeführt wurde. Es war tatsächlich ein Theatererlebnis der besonderen Art. Die oft geforderte aber selten umgesetzte Aufhebung der Trennung von Publikum und Bühne, hier ist sie gelungen. Bühne und Publikum existieren in dem Stück nicht. Es gibt nur die sich bewegende Box als Gesamtkunstprojekt mit 17 Personen. 15 sitzen in der sich bewegenden Box und schauen gebannt zu, wie sich die Wände mal schließen und wieder öffnen, Räume und Gänge entstehen und verschwinden wieder. Zwischendurch ziehen die beiden Schauspieler_innen Erki De Vries und Benjamin Vandewalle ihre Pirouetten mal auf den Gängen, dann in der Enge der zur Fahrstuhlkabine gewordenen Box, wenn sich Wände und Türen wieder schließen.

Wie mit 3D-Brille im Kino, nur in echt

Besonders gelungen ist der Moment, wenn sich Vandewalle auf die Zuschauer_innen zu bewegt und erst kurz vor der ersten Reihe stoppt. Einen Moment konnte man den Eindruck haben, man säße im Kino und schaue mit einer 3D-Brille einen Film, so dass die Figuren auch scheinbar heraustreten und auf einen zukommen. Doch nein, dass hier ist kein Film, das eine neue Realität. Das Spiel mit Körper und Raum rückt die Theaterbesucher_innen in eine andere Rolle. Sie sind keine Zuschauer_innen sondern tatsächlich genau so Teil des Gesamtkunstwerks wie Vandevalle & De Vries. Langeweile kann während der 30minütigen Performance genauso wenig auftreten wie Desinteresse. Die Performance macht in den 30 Minuten deutlich, welche Potentiale Theater haben kann. Es ist eigentlich bedauerlich, dass sie nicht öfter genutzt werden. Hier blitzt tatsächlich für eine halbe Stunde die Möglichkeit für ein emanzipatorisches Theater auf, dass die bürgerliche Herkunft mit der Trennung in Bühne und Publikum radikal hinter sich läßt. Am 10. Juli gibt es noch die Gelegenheit, sich selber zu überzeugen. .

Vandewalle & De Vries

Benjamin Vandewalle & Erki De Vries, Antwerpen/Brüssel
„Birdwatching“

Tanz
Deutsche Erstaufführung

Konzept Benjamin Vandewalle, Erki De Vries
Choreografie Benjamin Vandewalle
Szenografie Erki De Vries
Dramaturgie Marnix Rummens
Kostüme Bert Gillet

Von und mit Marisa Cabal / Tale Dolven, Benjamin Vandewalle, Erki De Vries, Anton Boon, Robin Jonsson / Marnix Rummens

Am 10.7. finden Vorführungen im Haus der Berliner Festspielen um in der Schaperstraße 24 um 17, 18, 19, 21, 22 und 23 Uhr statt.

https://www.berlinerfestspiele.de/de/aktuell/festivals/foreign_affairs/fa13_programm/fa13_programm_gesamt/fa13_veranstaltungsdetail_63449.php

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Geschrieben von

Peter Nowak

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