Seit unendlichen Jahren zerstreitet sich die zersplitterte Linke in Deutschland immer wieder neu an einem Reizthema: dem linken Antiamerikanismus. Schon bei der Frage, wo der linke Amerikanismus beginnt, gibt es keine Einigkeit. Der Journalist Michael Hahn bietet im Vorwort des von ihm herausgegebenen Sammelbandes Nichts gegen Amerika eine Begriffsbestimmung an: "Eine linke Kritik an den US-Verhältnissen und den gesellschaftlichen Verhältnissen in der kapitalistischen Führungsmacht ist berechtigt und notwendig. Die Frage ist nicht, ob Linke die militarisierte Außenpolitik, den Arbeitszwang für Sozialhilfebezieher oder die Todesstrafe in den USA kritisieren sollen, sondern wie. Begründete Kritik ist vom bloßen antiamerikanischen Ressentiment zu trennen."
Diese differenzierte Sichtweise wird in dem von Michael Hahn herausgegebenen Reader von den meisten der acht Autoren beachtet. Negative Ausnahme ist der Beitrag von Mary Kreutzer und Wolf-Dieter Vogel über Antiyanquismo in der lateinamerikanischen Linken. Für die beiden linken Deutschen im Ausland "gärt in lateinamerikanischen linken Kreisen eine krude Mischung aus antiamerikanischen und antisemitischen Ressentiments. Ihre Zutaten zieht sie aus wild konstruierten Verschwörungen und kulturalistischen und vulgärmarxistischen Zuschreibungen". Da wird dann von dem Autorenduo alles hineingerührt, was in der lateinamerikanischen Linken einen Namen hat: Hebe de Bonafini von den Madres de Plaza de Mayo aus Argentinien, Rigoberto Mechú, Eduardo Galeano, die Sandinisten, das Umfeld der Zapatisten und Kuba. Doch dieser Beitrag ist ein Ausrutscher.
Sehr kenntnisreich informiert der Frankreich-Korrespondent der Jungle World, Bernhard Schmid, über die Galionsfigur der französischen Globalisierungskritiker, Jose Bové. Der durch die Demontage einer McDonalds-Filiale bekannt gewordene Bauernaktivist wird nach der begründeten Meinung von Schmid zu Unrecht in die antiamerikanische Ecke gestellt. Denn Bové reduziere seine Kritik nicht auf die USA. "Ansonsten denunziert Bové das produktivistische und auf aggressiven Export orientierte Agrarmodell der EU und verteidigt die bedrohten Produzenten der Dritten Welt gegen die Exportinteressen von USA wie EU".
Der Herausgeber des Buches, Michael Hahn, schrieb kurz vor den letzten Bundestagswahlen im Herbst 2002 Geschichte, als er - damals noch als Lokalreporter des Schwäbischen Tagblattes - eine Wahlkampfrede der Justizministerin Herta Däubler-Gmelin, in der sie US-Präsident Bush indirekt mit Hitler verglich, öffentlich machte. Als sich die US-Medien des Themas angenommen hatten, war die Ministerin nicht mehr zu halten. Im Buch geht Hahn darauf nicht direkt ein. Dafür beschäftigt er sich gründlich mit der jahrzehntelangen Tradition deutscher Linker, in den USA immer wieder den Faschismus entdecken zu wollen. Selbst die linke Monatszeitung konkret blieb für eine kurze Zeit nicht davor gefeit. Doch sie hat sich selbstkritisch damit auseinander gesetzt. Im Jubiläumsband 40 Jahre konkret hieß es: "In konkret (herrschte) ein Antiamerikanismus, in dem sich berechtigte Opposition gegen die Führungsmacht des Imperialismus immer wieder mit deutschen Ressentiments gegen Wallstreet, seine (jüdischen) Börsenjobber und die kulturelle Minderwertigkeit der USA verband."
Für den Großteil der 14 Autoren des Buches Amerika - Der War on Terror und der Aufstand der Alten Welt wird selbst ein solches Bekenntnis noch als versteckter Antiamerikanismus gewertet. Sie sehen jede US-Kritik aus Europa als Antiamerikanismus, gar als einen Angriff auf Israel. Allerdings muss man ihnen bei aller politischen Differenz bescheinigen, dass sie größtenteils auf einem hohen theoretischen Niveau argumentieren.
So beschreibt Thomas Uwer mit einer materialistischen Analysemethode, dass für die Unterentwicklung des Nahen Ostens nicht primär die Einmischung der USA, sondern die lokalen Despotien verantwortlich seien. Einige in dem Buch dokumentierte Beiträge aus dem Umfeld der Neokonservativen aus den USA, von denen etliche in ihrer Studentenzeit linke Aktivisten waren, geben einen guten Überblick in deren Argumentationslinien. Mittlerweile haben sich einige der sogenannten "antideutschen" Publizisten in linken deutschen Medien, zum Beispiel in Diskussionsbeispielen für die Jungle World, ganz offen dazu bekannt, dass sie eine Wiederwahl von Bush bei den Präsidentenwahlen in den USA und einen damit verbundenen Machtzuwachs der Neokonservativen für wünschenswert halten. Die Befürchtung ist nicht grundlos, dass einige der (anti)deutschen Autoren sich an den Neokonservativen auch persönlich ein Beispiel nehmen. Schließlich fungierten die beiden Mitherausgeber Uwer und von der Osten-Sacken als Verfasser eines Memorandums, in dem die Chancen einer deutschen Politik beschworen werden, die sich in der Irakfrage im Einklang mit den USA und Großbritannien bewegt. In einer CDU/CSU-geführten Regierung könnten solche Ansätze durchaus auf offenere Ohren stoßen. Daher verbietet es sich, die Beiträge dieses Buches einfach in der Schublade des linksdeutschen Sektierertums abzulegen. Man braucht kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass sich diese Debatte in der deutschen Linken in Zukunft noch verstärken dürfte.
Michael Hahn: Nichts gegen Amerika - Linker Antiamerikanismus und seine lange Geschichte. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2003. 175 S., 15 EUR
Thomas Uwer/Thomas von der Osten-Sacken/Andrea Woeldike (Hg.): Amerika - Der "War on Terror" und der Aufstand der Alten Welt. Ça ira-Verlag, Freiburg 2003. 320 S., 17,50 EUR
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