Alternative zu schwarz-rot-goldenen Brettern

Voicing Resistance Das noch bis zum 7.12. dauernde Festival im Gorki-Theater liefert eine Alternative zur Deutschlandbezüglichkeit der Mauerdebatte

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Während am Wochenende die Berliner Mauer im Mittelpunkt stand, gab es knapp zwei Kilometer entfernt eine Alternative zum Staatsakt mit Selbstbeweihräucherung. Vor dem Berliner Gorkitheater verabschiedete sich am 9. November um 13 Uhr mehrere Busse, die sich zum Ersten Europäischen Mauerfall aufmachten. Sie hatten sich auf den Weg zur europäischen Außengrenze zwischen Griechenland und der Türkei gemacht, um die dort errichtete Mauer einzureißen, die zur Abwehr von Menschen errichtet wurde, die vor wirtschaftlicher Not oder Verfolgung aller Art nach Europa fliehen. Am Ende waren manche Fahrgäste enttäuscht, dass sie die lange Reise unternommen haben und dann doch schnell umkehrten, als klar war, dass die Europäische Mauer nicht nur nicht fallen wird. Sie wurde nicht einmal berührt. Der Organisator Philipp Ruch stellte klar, was wohl manchen TeilnehmerInnen entfallen war. Der Europäische Mauerfall war eine Kunstaktion, die im Rahmen des Festivals Voicing Resistance stattfand. Noch bis zum 7. Dezember werden in dem Rahmen des Festivals im Gorki-Theater Veranstaltungen, Performances, Lesungen und andere Darbietungen geboten. Auch wenn sie in der Regel nicht so spektakulär sind, sind sie absolut empfehlenswert.

R wie Revolution?

Das zeigte das Programm am vergangenen Wochenende, das eine gute Alternative zu allen Mauerfall-Debatten bot, die nur auf Deutschland zentriert waren. Wie erlebten die Menschen in Transnistrien oder Moldawien die Veränderungen nach 1989? Diese beiden Staaten entstanden erst in Folge der Umwälzungen von 1989. Dahinter stehen alte und neue Konflikte, mit vielen Geflüchteten, mit Verletzten und Toten. In dem in Moldawien verbotenen Stück „Fuck You, Eu.Ro.PA!“ beschreibt die moldawische Künstlerin Nicoleta Esinencu, wie junge Leute diese Veränderungen erleben oder erleiden, die sich noch gut an die Zeit vor 1989 erinnern können, den Wandel zunächst emphatisch begrüßen und bald merken, dass von der vielbeschriebenen Freiheit vor allem die Freiheit der Ausbeutung der Arbeitskraft übrig geblieben war. Wenn sie ihre Großmutter als „dumme, fette Kommunistin“ tituliert, spricht da die Wut einer Generation, die noch emphatisch die neue Zeit begrüßt und sich bald fragte, wie sie so naiv gewesen sein kontte. Es ist vielleicht programmatisch, dass diese Performance wie alle Veranstaltungen des Voicing- Festivals im Studio R stattfinden, das durch einen Seiteneingang betreten werden muss. Das R steht für Revolution. Konsequenterweise heißt die Coverband, die noch zu späten Stunden für ein volles Haus und gute Laune sorgt, Rotfront.

Reactment einer Demonstration

Auf großen Zuspruch stieß auch eine besondere Performance der argentinischen Künstlerin Lola Arias. Interessierte konnten dort die Demonstration vom 4. November 1989 nachspielen, als Tausende Menschen in Ostberlin für eine sozialistische DDR ohne Honecker und Stasi demonstrierten. Der damalige Aufbruch reichte von Künstler_innen bis zu Teilen der SED-Basis und des Mittelbaus der Partei. In einem Raum konnten sich die Nachspieler_innen historische Figuren aussuchen, die auf der Demo geredet haben und die sie nachspielen wollten. Sie konnten sich mit Mänteln, Brillen und Perücken verkleiden, historische Redetexte vorlesen und Schilder, die damals getragen wurden, in die Kamera halten. Es war auch als Zuschauer ein kurzweiliges Stück, weil die Assoziationen der meist jungen Teilnehmer_innen sehr interessant waren. Aber es war auch eine sehr lehreiche Erfahrung, dass ein 21jähriger Student sich mit Verve für Freiheit einsetzen kann, gar nicht oft genug betonen kann, welche hohen Wert für ihn die Reisefreiheit habe, die wir ja nun erreicht haben. Wenn er dann außerhalb der Vorführung daran erinnert wird, dass er mit diesen Engagement nun bestimmt die Geflüchteten unterstützen könnte, die genau diese Freiheiten heute einfordern, kann er nur mit dem lapidaren Satz reagieren, mit dem Flüchtlingen das sie ja Politik und dazu könne er nichts sagen. Da konnte man die Ideologie der deutschen Bewegungsfreiheit eben man direkt erleben, die große Teile der Gesellschaft mit ultrarechten Parteien eint. Schließlich plakatieren Parteien wie die NPD oder die Republikaner "Rechte für Alle? Nein für mich!“

Spezifik des 4. November bleibt ausgeblendet

Zudem mal fiel auf, wie wenig historisches Faktenwissen über die Ereignisse um den November in Berlin vor 25 Jahren vorhanden ist, und da wurde auch in den Begleittexten zum Reactment wenig Aufklärung geschaffen. Dann hätte erst einmal die Bedeutung des 4. November als Tag des sozialistischen Aufbruchs für eine erneuerte DDR herausgehoben werden müssen, wie es die Künstlerin Lola Arias in Interviews auch tat. Doch im Programmheft wird bereits der 4. November mit dem 9.November vermischt, obwohl die Forderung nach einer Öffnung der Mauer viele der Organisator_innen der Demo vom 4. November explizit ablehnten, weil dann absehbar war, dass die DDR von der BRD vereinnahmt würde, was ja auch geschah. Wenn schon im Programmheft hier eine heillose Verwirrung stattfand, haben viele der Reactment-Teilnehmer_innen natürlich überhaupt keinen Unterschied zwischen 4. und 9.November gemacht, manche stellten gleich eine Verbindung zum 3.Oktober her. So wurde suggeriert, am 4. November, als es um eine sozialistische DDR und explizit nicht um ein Großdeutschland und „Wir sind ein Volk“ –Geplärre ging, sei nur ein Vorspiel für alles andere gewesen. Schade, da wird die Geschichte der linken DDR-Opposition, für die auch der 4. November steht, noch einmal unsichtbar gemacht.

Eine kleine Ausstellung über die Europäische Mauer

Nachtrag: Noch bis zu diesen Mittwoch ist in der Galerie am Turm in der Frankfurter Allee in Berlin-Friedrichshain die Ausstellung Grenzfaerservice zu sehen, auf der die Reise einiger Künstler_innen an den Europäischen Grenzzaun zwischen Bulgarien und der Türkei dokumentiert ist. Dort sieht man auch, wie diese Grenzanlage in der letzten Zeit ausgebaut wurde, und durchaus mit der Berliner Mauer, die in vielen Teilen auch ein Zaum war, verglichen werden kann. Die Grenzreisenden haben dort erfahren, dass in der letzten Zeit schon mehrere Menschen beim versuchten Grenzübertritt ihr Leben verloren und Menschen, die bei dem Grenzübertritt helfen, sind mit hohen Haftstrafen bedroht. Die kleine aber sehr informative Ausstellung zeigt, dass die Europäische Mauer wächst.

http://www.kulturamt-friedrichshain-kreuzberg.de/galerie-im-turm/

Peter Nowak

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Geschrieben von

Peter Nowak

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