Am Ende wartet in der Heimat das Grab

Die Ungehaltenen Das Theaterstück nach einen Roman von Deniz Utlu zeigt das Dilemma der sogenannten Gastarbieter_innen auf. Wo immer sie sind, sie sind immer im Kapitalismus, .

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Ich stehe am Fenster, gucke auf die Straße und fühle mich wie ein Fisch in einem Aquarium. Diese ganzen Touristen und Zugezogenen mit Skinny Jeans, Jacketts, Vollbärten und Seitenscheiteln - diese ganzen Jutebeutel!"
Da hat einer die Schnauze so voll vom Streichelzoo Kreuzberg, von der Ökopromenade und vom Hipsterbezirk. Es ist der junge Elyas, in Kreuzberg geborener Sohn türkischer Eltern, der dem Vater versprochen hat, Jura zu studieren, weil er es einmal besser haben und nicht in der Fabrik schuften sollte. Er ist die tragende Figur in dem im Berliner Gorki-Theater gespielten Stück „Die Ungehaltenen“, das den gleichnamigen Roman von Deniz Utlu auf die Bühne bringt. Dieser von Mehmet Atesci gespielte Elyas ist ein smarter Typ mit Sonnenbrille und Goldkettchen, der die Augen vertret, wenn sein linker Onkel über die Kämpfe der türkischen Fordarbeiter in Köln 1973 berichtet. Er scheint mit beiden Beinen im realen Kapitalismus zu stehen. Doch schnell wird klar, dass diese Selbstsicherheit nur Fassade ist. Als er auf einer der vielen Alibiveranstaltungen zum 50ten Jahrestag der sogenannten Gastarbeiter_innenanwerbung eingeladen wird, wo Migrant der zweiten Generation, die es in Deutschland geschafft haben, vorgestellt werden, wird ihm von der ganzen Heuchelei bloß übel. Der einzige Lichtblick ist junge Ärztin Aylin, die sich schlagfertig dagegen verwahrt, als Mustermigrantin in Deutschland vorgeführt zu werden. Die Beziehung zwischen Elyas und Aylin werden im Stück etwas verschwommen und unklar dargestellt. Doch letztlich kommen sie zusammen und machen sich gemeinsam auf den Weg zum Grab von Elyas Vater am Schwarzen Meer. Doch sie werden das Ziel gemeinsam nicht erreichen, weil Aylin anderer Wege geht.
Am Ende sitzt Elyas am Grab des toten Vaters und klagt darüber, dass er ihn nie wirklich kennenlernen und ihm keinen Kuss geben durfte.
„Das sind gar keine Würmer, das sind meine Gedanken, die dich auffressen“
Es ist gleichzeitig ein großes Lamento über das Leben der sogenannten Gastarbeiter_innen, die anfangs im NS-Jargon auch als Fremdarbeiter_innen tituliert wurden und die nie mehr kennengelernt haben als Arbeit. Sie haben immer von der Rückkehr in die Heimat geredet und am Ende war es ihr Grab.
„Du hast dich in einen Metallsarg zuschrauben und fast 4.000 Kilometer weit schleppen lassen, um am Ende doch in meinem Kopf bestattet zu werden. Das sind gar keine Würmer, das sind meine Gedanken, die dich auffressen."
Und die, die im Alter noch einige Jahre mit dem hart erarbeitenden Geld in der Türkei ihren Lebensabend verbringen konnten, werden auch nicht glücklich. In Deutschland romantisieren sie das anatolische Leben, schwärmen von den freundlichen Menschen und der Natur. In der Realität lebt die alte Frau in einen Seniorenheim an einer vielbefahrenen Istanbuler Straße einsam in ihrem Zimmer.
Das sind auch noch die anderen Typen, gut getroffen. Der Mann mit den Tattoows, der auf alternder Gangsterrapper macht, hat den Traum von der Musikerkarriere längst aufgegeben und die Tauben vor seinem Fenster zu seinen Freunden erkoren. Es ist ein gnadenlos ehrliches Stück geworden. In 90 Minuten werden alle Hoffnungen, Phrasen und Klischees auseinandergenommen. Am Ende dämmert es Elyas und vielleicht auch manchen im Publikum. Egal, ob in Kreuzberg, in Istanbul oder der türkischen Provinz. Du bist immer im Kapitalismus daheim, beugst Dich seinen Zwängen und Zumutungen und am Ende wartet nur das Grab auf Dich. Dann kannst Du auch revoltieren und Dich den Zwängen verweigern. Dann stirbst Du am Ende auch, hattest aber ein erfülltes Leben. Der Onkel deutet genau das immer an. Und der anfangs so smarte Elyas, der sein Jurastudium schmeißt, scheint am Ende davon etwas begriffen zu haben.
Peter Nowak
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Geschrieben von

Peter Nowak

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