Annäherung an Thomas Harlan

Vierte Welt Noch bis zum 9.12, kann man sich in dem Theatersaal Vierte Welt in Berlin-Kreuzberg mit dem Leben und Werk Harlans auf ungewöhnliche Weise beschäftigen

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Vor zwei Jahren ist der Autor und Regisseur Thomas Harlan gestorben. Bekannt ist er vor allem als Sohn des NS-Propagandisten Veit Harlan, der wiederum vor allen als Regisseur des antisemitischen NS-Propagandastreifens Jud Süß in die Geschichte eingegangen ist. Veit Harlan gehörte allerdings zu den Nazis der ersten Stunde. Wie wir aus dem gerade in die Kinos gekommenen biographischen Film über Alexander Granach „Da geht ein Mensch“ erfahren können, gehörte Veit Harlan zu den Schauspielern, die schon 1933 mit Hakenkreuzfahne am Auto zum Theater fuhren.

Wie eng Harlan mit dem NS-Regime verbunden war, zeigt sich auch daran, dass Sohn Thomas als Kind auf den Schoss fast aller Naziführer saß, Hitler inklusive. Doch seine jahrzehntelange künstlerische Arbeit war mehr als eine Bearbeitung des Vater-Sohn-Konfliktes. Davon kann sich noch bis zum 9.Dezember in der Vierten Welt, einen Theaterraum direkt am Kottbuser Tor, überzeugen lassen. Schon seit vergangenen Sonntag kann man dort einen Einblick in das künstlerische und private Leben des Thomas Harlan neben. Langweilig war es nicht und auch die unterschiedlichen Darbietungen sind lehrreich und witzig zu gleich.

Keine Gnade der späten Geburt?

Freund_innen des klassischen Theaterabends werden überrascht sein. In der vierten Welt gibt es keine feste Sitzordnung. Von 19 bis 22 Uhr (Sonntag 17 – 20 Uhr) können sich die Besucher_innen im gesamten Raum bewegen. So wurde am Donnerstag in einer Ecke aus „Veit“ gelesen, dem Roman, in dem Thomas sich mit dem sterbenden Vater in einer ganz eigentümlichen Art und Weise versöhnt. Verstörend ist das Bekenntnis des entschiedenen und militanten Antifaschisten Thomas Harlam, der in den fünfziger Jahren sogar ein Kino anzünden wollte, in dem die Filme seines Vaters aufgeführt worden sind. In „Veit“ übernimmt er sogar die Verantwortung für diese Filme und bekennt, er selber habe die Jud Süß produziert. Dieses Buch und vor allem das Schlusskapitel ist in vielerlei Hinsicht interpretiert wollten. War es die Liebe zum Vater, die ihn dazu brachte, sich zu einem Film zu bekennen, den er die längste Zeit seines Erwachsenenlebens bekämpfte? Oder ging es dem Autor gar nicht nur um seinen Vater? Wollte er damit gegen die in Deutschland so beliebte „Gnade der späten Geburt“ ankämpfen, die alle Menschen, die 1945 noch im Kindesalter waren, schnell von jeder Verantwortung für die Verbrechen im NS freisprach?

Radikale Filmkunst

Genauso verstörend wie „Veit“ dürfte für viele Harlans Filme „Wundkanal“ , der in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts einen Skandal auslöste. Harlan hat dort den SS-Hauptsturmbannführer und Nazikriegsverbrecher Albert Filbert als Dr. S. interviewt und diese Befragungen heimlich gefilmt. Zudem stellt Harlan in dem Film einen Zusammenhang zwischen den NS-Verbrechen, die Aufstandsbekämpfungsstrategien gegen die Linke in Lateinamerika in den 70er Jahren bis zu den ungeklärten Tod der RAF-Gefangenen in Stammheim 1977 her.

Über diese Dreharbeiten hat wiederum hat der US-Filmregisseur Robert Kramer den Film Notre Nazi gemacht, der ebenfalls einen politischen Skandal auslöste. Beide Filme sind in voller Länge während des Theaterabends zu sehen, eine zweifellos im besten Sinne radikale Filmkunst sowohl auf politischer als auch auf ästhetischer Ebene. Im literarischen Bereich kann Harlans Arbeit mit Christian Geißlers Roman Kamalatta verglichen werden. Wie dieser sind auch Harlans Filme nur wenigen bekannt. In der vierten Welt wird auch schnell deutlich, dass Thomas Harlan schon Mitte der 50er Jahre unangenehme Bekanntschaft mit der damals noch von Altnazis gestellten deutschen Justiz machen musste. Die erste Klage erhielt er, weil er noch mit seinem Vater, einen schließlich nicht realisierten Film über Richard Sorge, der als Kommunist die Sowjetunion vergeblich über die deutschen Kriegspläne informierte. Harlan erhielt eine Anklage, weil er historisch korrekt von einem Angriffskrieg Deutschlands auf die Sowjetunion sprach, was zeigte, wie dominierend die Naziideologie damals noch war. In den nächsten Jahren sollte Thomas Harlan immer wieder Probleme mit der deutschen Justiz bekommen. Weil er in Polen Dokumente über die deutschen Verbrechen in Polen suchte, wurde er wegen Landesverrat angeklagt. Wenige antifaschistische Juristen wie der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer zählten zu seinen Freunden. Deswegen war im Rahmen der Thomas-Harlan-Woche in der vierten Welt auch die Regisseurin eines Films über Fritz Bauer eingeladen, die auch auf den bis heute ungeklärten Tod des antifaschistischen Juristen 1968 eingegangen ist. Zuvor wurde Bauer immer wieder von Alt- und Neonazis wegen seiner Klagen gegen NS-Verbrecher bedroht.

Auch das Publikum wird während der Theaterabende immer wieder in die Debatte um Harlan und seine Zeit mit einbezogen. So wurde gleich am ersten Abend über einen Artikel des Freitag-Redakteurs Matthias Dell diskutiert, der die Überschrift „Harlans Kinder acht Tage achtzig Wahrheiten“ heißt und eine Art Selbstverständnis der Theatermacher_innen ist. Am Freitagabend -wird im Rahmen der Thomas-Harlan-Tage aus dessen ersten Roman „Rosa“ gelesen, das ebenfalls die NS-Vernichtungspolitik zum Thema hat.

„Am Anfang stand ein Prosaschock, Wortmusik, die Lektüre des unglaublichsten Manuskripts, das ich bis dahin in Händen gehalten hatte: Thomas Harlans Rosa. (...)“, schrieb der Verleger Wolfgang Hörner über dieses Buch. Es gibt also noch gute Gründe, einen Theaterabend zu besuchen und so eine Annäherung und Leben und Kunst von Thomas Harlan zu versuchen.

Peter Nowak

Bis 9.12, täglich ab 19 Uhr, So. ab 17 Uhr, Vierte Welt, Neues Kreuzberger Zentrum, Galerie 1. OG, Zugang über Außentreppe Adalbertstr 99

http://www.viertewelt.de/Aktuell_1__Harlan.html

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Geschrieben von

Peter Nowak

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