Auf der Suche nach der Bewegung gegen schwarz-gelb

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Ca. 150 Gewerkschaftler, Aktivisten von Erwerbslosengruppen und sozialen Bewegungen haben am vergangenen Wochenende im Stuttgarter Gewerkschaftshaus über den Stand der außerparlamentarischen Bewegung unter schwarz-gelb debattiert. Eingeladen hat das Bündnis „Wir zahlen nicht für Eure Krise“, das im letzten Jahr zwei Demonstrationen und einen dezentralen Aktionstag organisiert hat.

Die Illusion, dass der Regierungsantritt der schwarz-gelben Koalition sofort die Protestbereitschaft steigert, hatte auf der Konferenz niemand. Schließlich habe die Bundesregierung bisher relativ geschickt agiert und nicht sofort zum Frontalangriff auf den Sozialstaat geblasen, betont ein Gewerkschafter.Hinzu kommt, dass das Credo der Bundesregierung, dass für eine Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland Opfer gebracht werden müssen, in weiten Teilen der Bevölkerung geteilt wird. Auch Gewerkschafter und Erwerbslose sind davon nicht frei.

Aber vor allem in den Arbeitsgruppen am Samstag wurde schnell deutlich, dass es durchaus Proteste gibt, die aber für die Medien oft nicht von großen Interesse sind. Während offiziell die Erwerbslosenbewegung seit dem Abflauen der Montagsdemonstrationen tot ist, haben sich in der AG Erwerbslosenproteste Aktivisten der „Aktion Zahltag“, der Initiative „Keiner muss allein zum Amt“ und des Bündnisses für ein Sanktionsmoratorium über aktuelle Formen von Renitenz rund um das Jobcenter ausgetauscht. Die drei Initiativen tragen auf unterschiedliche Weise dazu bei, dass Erwerbslose die Erfahrung machen können, dass Protest möglich ist und sogar erfolgreich sein kann. Aber die wenigsten von ihnen sind bereit, deswegen gleich auf eine Demonstration zu gehen. Noch weniger würden sich an zentralen Großaktionen beteiligen, die schon finanziell für Erwerbslose ein großer Kraftakt sind.

Ähnlich sieht es auch in anderen Bereichen aus. Auch die studentischen Aktivisten, die in den letzten Tagen mit den Hochschulbesetzungen die erste soziale Bewegung unter schwarz-gelb losgetreten haben, agieren dezentral. Das ist kein Manko für eine soziale Bewegung. Im Gegenteil, bisher hat die außerparlamentarische Bewegung in Deutschland eher auf große Events als auf lokale Verankerung gesetzt. Die Gipfelproteste gegen das G8-Treffen im Sommer 2007 waren dabei nur das spektakulärste Beispiel. Während Zigtausende rund um den weiträumig absperrten Gipfelort campierten, beteiligten sich an einen Euromarsch gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse, der im Vorfeld des Gipfels durch verschiedene Städte in Deutschland zog, nicht einmal hundert Menschen. Eine soziale Bewegung aber muss mit diesen Eventhopping brechen.

Hier wird aber das Dilemma eines Protestbündnisses deutlich, dass auch für die mediale Wahrnehmbarkeit schwer auf zentrale Aktionen verzichten kann. In Stuttgart wurde daher verabredet, dass es am 20.März Proteste vor allem gegen die Rente mit 67 und die Gesundheitsreform in Stuttgart und am 12. Juni eine zentrale Demonstration in Berlin geben soll.

Bis dahin müsste auch der Name des Protestbündnisses geklärt sein. „Wir können nicht immer wieder sagen, dass wir nicht für die Krise zahlen“, begründete eine Berliner Aktivistin, warum ihrer Meinung das alte Motto ersetzt werden sollte. Doch das ist nicht der einzige Grund. Schon längst wird der Krisenbegriff in wirtschaftsliberalen Kreisen umgedreht. Dort wird er als Beweis herangezogen, dass der Kapitalismus auch diese Krise überstehen wird. Und das ist nicht einmal falsch. Tatsächlich sind Wirtschafts- und Finanzkrisen kein Zeichen für ein Ende sondern ein Funktionieren des Kapitalismus. Vielleicht wäre es deshalb angebrachter, sich in „Bündnis gegen den kapitalistischen Normalvollzug“ umzubenennen. Das würde auch deutlich machen, dass beispielsweise für einen Hartz IV-Empfänger die Krise nicht bei faulen Krediten oder fallenden Börsenkursen anfängt, sondern dann, wenn er am Monatsbeginn kein Geld auf dem Konto hat, oder zur Monatsmitte kein Geld mehr vorhanden ist. Diese und viele andere soziale Realitäten im Alltag vieler Menschen müsste eine soziale Bewegung zum öffentlichen Thema machen und politisieren. Ob es gelingt,ist noch immer offen. Die Aktionskonferenz in Stuttgart hat aber gezeigt, es gibt Menschen und Initiativen, die den Versuch wagen.



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Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

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