Bei Punktabzug droht die Ehrenrunde

Odysseus.Maschine Eine Theaterperformance kann als ironische Kommentar einer Gesellschaft gelesen werden, die sich mit Self Trecking überwacht und das Leben schwer macht.

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Die US-amerikanische Komponistin Pauline Oliveros spielte eine wichtige Rolle bei der Entwicklung bei der Entwicklung der Neuen Musik. Die Arbeiten der vor zwei Jahren verstorbenen Künstlerin kann man in der Julia Stoschek Collection in Berlin-Mitte entdecken. Dort werden Videos über die Performances von Oliveros und ihren Künstler*innen gezeigt. „Der Ausgangspunkt der inszenierten projizierten, aus vielen Schichten zusammengesetzten Arbeiten ist stets eine Begegnung der Künstlerinnen mit anderen Elementen wie einer Partitur, einem Foto, Drehbuch oder Objekt, die den Weg für weitere Begegnungen zwischen Künstlerinnen und Performerinnen und schlussendlich auch die mit dem Publikum bereitet“, heißt es in dem Begleittext zur Ausstellung Ongoing Experiments with Strangeness, die Pauline Boudry und Renate Lorenz kurartierten. Im Video Telepathic Improvisation spricht eine Performerin sogar das Publikum an. Sie sollen interagieren und durch Handbewegungen an der Aufführung beteiligen. Allerdings ist natürlich bei einer Videoaufführung ein solches Interagieren gar nicht möglich. Trotzdem sind diegezeigten Videos sehenswert. Allerdings unterstützt man mit dem Besuch eine konservative Mäzenin, worauf Paul Buckermann in der Jungle World hingewiesen hat (https://jungle.world/artikel/2018/50/unkritisierte-verstrickungen).

Wer zu wenig Lebenspunkte hat, wird abgehängt.

Zum Interagieren aufgefordert hingegen ist das Publikum beim Performancetheater Ciborg-City2 – odysseus.maschine. Dort unterstützt man auch keine Mäzene. Die stündlichen Aufführungen finden heute noch im Theater im Delphi im Stadtteil Berlin-Weissensee gegenüber vom Kino Brotfabrik statt. Es war 1929 das letzte in Berlin eröffnete Stummfilmkino und wurde für die Kunst vor einigen Jahren reanimiert. Nun hat sich rund um den Antonplatz in Weissensee ein Kulturstandort entwickelt, der (noch) nicht von Touristifizierung kontaminiert ist. In kleinen Gruppen wird das Publikum in die Aufführung geführt, die in abgetrennten zeltähnlichen Räumen stattfindet. Wer zur späteren Gruppe gehört muss warten und kann Haus und Umgebung erkunden. Mitmachen oder Interagieren des Publikums gehört bei der Performance zum Programm, wer sich weigert muss sich hinten anstellen oder bekommt Lebenspunkte abgezogen. Die Anzahl der roten und blauen Punkte sind auf einen Armband zu sehen, die alle Teilnehmer*innen am Anfang bekommen. Nicht zufällig erinnern diese Bänder an dieÜberwachungsgeräte, die die emsigen Jogger*innen und Selftrucker*innen um den Arm tragen. Dort überwachen sie alle Lebensäußerungen vom Blutdruck über die Schritte bis zur Atmung. Die gesamte 60minütige Performances kann als kritisch-ironischer Kommentar zu dieser Selbstüberwachung gesehen werden. Im realen Leben wird eben bei schlechten Wertenmal eine Runde mehr gejobbt. Wer im Theater zu oft falsche oder besser nicht konforme Antworten gibt, muss eine Ehrenrunde drehen und noch weitere Übungen absolvieren. Dann kann sich die Performances schon mal verlängern. Auch einige Ziffern soll man sich unbedingt merken, weil die immer wieder abgefragt werden. Hat man sie vergessen, kann man schon mal im spielerischen Abseits stehen. Wen erinnert das nicht an die vielen Passwörter und Pin-Codes, ohne die heute ein Großteil von uns im wahrsten Sinne abgehängt werden. So bietet Ciborg-City2 – odysseus.maschine.immer wieder sehr deutliche Bezüge zur Realität. Langweilig wird es auf keinen Fall, auch wenn sich die Spielzeit auf 90 Minuten ausdehnt und auch der Humor kommt dort nicht zu kurz.

Peter Nowak

Im Rahmen des Performing Arts Festivals im Kühlhaus Berlin:

http://cyborg-city.eu/

Hier können Karten reserviert werden.

https://delphi.reservix.de/events

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Geschrieben von

Peter Nowak

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