„Verbote bringen kein Kind in die Schule“

Armut Ein Bündnis versucht, ein mögliches Bettelverbot in Dresden zu verhindern. Peter Nowak sprach mit Jan von der Gruppe "Gegen Antiromaismus"

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"Das ist ein Teufelskreis."
"Das ist ein Teufelskreis."

Foto: Christopher Furlong/Getty Images

Peter Nowak: Was war der unmittelbare Anlass für Eure Gründung. Gibt es aus der Politik eine Kampagne gegen Bettler_innen?

Jan: Jein. Alles begann mit einer Schlammschlacht der Lokalpresse gegen ein oder zwei Familien, die in der Dresdner Innenstadt Straßenmusik machten. Später hat eine Journalistin die Gruppe "Gegen Antiromaismus" nach Hintergründen zur sogenannten Bettelmafia angefragt – eine Anfrage, die stark von ihren Ressentiments und Stereotypen dominiert war. Unser Hinweis auf das reichhaltige Informationsmaterial der Wiener Bettelobby spiegelte sich in keiner Weise in der folgenden Berichterstattung wider. Im Gegenteil, sie spitzte sich auf einige Personen aus Osteuropa zu, die angeblich Ordnung und Sicherheit in der Dresdner Innenstadt ins Wanken brächten.

Dann stürzten sich lokale Journalist_innen plötzlich auf "die Bettelkinder aus Osteuropa". So haben sie das ganze Thema erst zu einem öffentlichen Problem gemacht. Das für seine Law-and-Order-Haltung berüchtigte städtische Ordnungsamt und die Dresdner CDU haben diese Geschichte dankbar aufgegriffen und wollen die "undeutschen" Bettler_innen nun mithilfe einer Polizeiverordnung aus der Stadt vertreiben.

Um diese Repression gegen Arme zu rechtfertigen wird in der öffentlichen Debatte das Kindeswohl vorgeschoben, obwohl die Situation der Kinder mit einem Verbot noch weiter verschlechtert wird. Im besten Fall werden sie nur aus der Innenstadt verdrängt und verlieren ihren Verdienst. Im schlimmsten Fall kann es für sie bei Kinderprostitution enden. Mögliche Hilfsangebote sucht man in der Debatte jedenfalls vergeblich.

Wie geht Ihr damit um, dass oft Kinder betteln? lst es nicht besser, zu fordern, dass diese Kinder Ausbildung und Hilfe in den Schulen bekommen, anstatt das Recht auf Betteln zu fordern?

Natürlich ist es sinnvoller, wenn Kinder in die Schule gehen anstatt zu betteln. Aber das ist ja genau der Punkt bei der Debatte: Ein Bettelverbot bringt kein Kind in die Schule. Es verschlechtert ihre Lage und treibt sie schlimmstenfalls in die Illegalität. Um den betroffenen Kindern eine Perspektive zu bieten muss ihren gesamten Familien geholfen werden. Ein Problem ist beispielsweise häufig die Meldeadresse. Wer nicht in Deutschland gemeldet ist, hat keinen Anspruch auf einen Schulbesuch. Ohne Wohnung gibt es außerdem keinen Job und umgekehrt. Das ist ein Teufelskreis. In Berlin können Kinder von Wohnungslosen beispielsweise an einer zentralen Adresse angemeldet werden, um ihnen einen Schulbesuch zu ermöglichen. Außerdem müssen die Betroffenen dabei unterstützt werden, die Ihnen zustehenden Rechte in Anspruch zu nehmen. Eine grundsätzliche Verbesserung der Lage von bettelnden Kindern ist jedenfalls nicht mit plumpen Populismus und einfachen Lösungen zu haben. Da müssen wir uns schon etwas mehr Zeit nehmen.

Was ist Eurer Ziel als Bettellobby?

Zunächst einmal wollen wir das Bettelverbot in Dresden verhindern. Eine Gesellschaft, die darauf beruht, Armut und Reichtum zu produzieren, muss mindestens auch die Sichtbarkeit von armen Menschen aushalten. Denn das ist es, worum es geht: Bettelnde Menschen werden als Belästigung empfunden, weil mit ihrer Präsenz Armut sichtbar wird.

In der Auseinandersetzung um das Bettelverbot wollen wir aber auch auf einen größeren Kontext aufmerksam machen: Obwohl die Gesellschaft in der Lage wäre, Armut und materielle Not abzuschaffen, tut sie es nicht. Im Gegenteil: Selbst Menschen, die rund um die Uhr arbeiten, sind häufig arm, z.B. wenn sie alleinerziehend, kinderreich, migriert, geflüchtet, prekarisiert, solo-selbständig oder Rentner*in sind. Und das, obwohl die Wirtschaft in Deutschland wächst und die Arbeitslosigkeit sinkt. Ganz zu schweigen von Arbeitslosen, die hier nicht (mehr) verwertbar sind, und mit dem Hartz-IV-Sanktionssystem kämpfen müssen. Die Abwertung von armen Menschen hat unmittelbar mit der permanenten Bedrohung durch Armut zu tun, der große Teile der Gesellschaft ausgesetzt sind. Nach unten lässt sich immer noch am Besten treten.

Darüber hinaus spielt Rassismus in der Debatte eine große Rolle. Insbesondere antiziganistische Ressentiments werden hier immer wieder bedient. So werden die bettelnden Familien schnell zu imaginierten "Roma-Clans", obwohl über die betroffenen Menschen nicht viel mehr bekannt ist, als dass sie nur wenig deutsch sprechen. Auch darüber müssen wir reden.

Ist es denn für eine emanzipatorische Linke sinnvoll eine Lobby für Bettler_innen zu gründen und nicht vielmehr gegen die Verhältnisse anzugehen, die Menschen zum Betteln zwingen?

Gegen diese Verhältnisse geht sie ja sowieso immer an. Die Frage ist, wie Utopie und Alltag zusammen kommen. Z.B. so: Es ist erst einmal ein zeitlich näherliegender, alltäglicherer Aspekt von "emanzipatorisch", dass Leute Bargeld zur Verfügung haben und damit ein kleines bisschen besser über ihr Leben bestimmen können, als wenn man ihnen einen Teller Essen und gebrauchte Kleidung übereicht. Wenn sie dieses Minimum an Selbstbestimmung mit Betteln erzielen wollen, soll ihnen das auch repressionsfrei möglich sein. Vielleicht sehen wir es als selbstbestimmten Versuch der Linderung einer akuten persönlichen Not. Eine solche Linderung können die emanzipatorische Linke wie auch linke Utopie so kurzfristig und unmittelbar nicht leisten.Weiterhin kann die gesamte mehr oder weniger emanzipatorische Linke überprüfen, inwiefern ihre Sicht auf das Betteln Stereotypen unterliegt. Z.B. was sie mit ihren Vorstellungen von "(harter und evtl. schlechtbezahlter aber irgendwie ehrlicher) Arbeit" für einen Blick auf das Betteln pflegt. Ist das Betteln nicht auch Arbeit? Wenn nein, warum nicht? In linken Diskursen ist die Opfergruppe der Personen, die im Nationalsozialismus als "asozial" diffamiert wurden, kaum präsent – genauso wenig, wie die als asozial Diffamierten der DDR-Zeit, die mit Gefängnis bestraft wurden. Warum das so ist, hat vielleicht mit den oben angerissenen Stereotypen zu tun. Aber vielleicht können wir mit unserem Eintreten für die akuten Interessen Bettelnder ein wenig dazu beitragen, dass ihre Belange in linker Utopie zukünftig eine größere Rolle spielen. Wie sehen ihre Vorstellungen von einem guten Leben aus? Sicherlich ganz anders als das, was sich die emanzipatorische Linke für sie vorstellt. Vielleicht kann diese durch die Beschäftigung mit dem Thema "Betteln" noch etwas dazulernen.

Welche Rolle spielt in Eurer Arbeit, dass meistens Bettler_innen aus Osteuropa Ziel der Hetze sind, während sich rechte Parteien als Unterstützer_innen für „deutsche Bettler_innen“ aufspielen?

Bisher haben wir vorrangig wahrgenommen, dass Neonazis Obdachlose egal welcher Herkünfte geschlagen oder gar ermordet haben. Für lokale Rechtskonservative ist das Betteln ein "Sicherheitsproblem". Für alle, die das Betteln eher als soziales Problem wahrnehmen, als eine Notsituation von Menschen, spielt die Herkunft oder nationalstaatliche Zugehörigkeit keine Rolle.

Unser Eindruck ist, dass die auf uns zukommende Bettelverordnung von strukturellem Rassismus beflügelt ist. Als würde der schnorrende Punk halbwegs akzeptiert sein und sogar irgendwie zum Stadtbild gehören, als würden sich solche Verordnungen nur an den Notreisenden entzünden. Und in der Konsequenz, wenn sie durchgesetzt ist, betrifft sie dann trotzdem alle, die auf das Betteln angewiesen sind. In der konkreten Repressionssituation wirkt dann nochmal der strukturelle Rassismus der Polizei.

Welche Aktionen plant Ihr in der nächsten Zeit?

Begonnen haben wir unsere Kampagne mit einem Fachgespräch für Journalist_innen, Sozialarbeiter_innen, Lokalpolitiker_innen und Medienschaffende. In mehrstündigen Diskussionen haben wir uns unter anderem mit Streetworkern und Stadträdtinnen ausgetauscht. Das war ein sehr vielversprechender Einstieg. Außerdem haben wir die Filmemacherin Ulli Gladik aus Wien eingeladen, ihren Film "Natasha" zu zeigen und mit dem Publikum zu diskutieren. Sie ist Teil der Bettellobby Wien. "Natasha" beschreibt das Leben, hintergründe und Motivationen einer Notreisenden. Damit wir damit nicht in unserer Komfortzone bleiben, wird das Filmscreening noch eine zweites Mal im öffentlichen Raum stattfinden – am Bus der Treberhilfe, wo obdachlose Menschen egal welcher Herkunft betreut werden.

Interview: Peter Nowak

Info

Die Gruppe Gegen Antiromaismus bietet einmal im Monat (2. Mittwoch) den Tresen gegen Antiromiamus an, wo in lockerer Atmosphäre über dieses und andere Themen – oft mit einem Input – gesprochen wird. Hier ihre Homepage: http://namf.blogsport.de/antiromaismus/

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Geschrieben von

Peter Nowak

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