Bini Adamczak trifft auf Krachpunk

Der Zeitstrahl ist zerbrochen So lautet die das neue Album des Berliner Chansonniers Geigerzaehler. Es ist ein Album über verlorene Sozialismusutopien und eine Ermutigung, warum man trotzdem weiterkämpfen soll.

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....es sollte doch irgendwann Kommunismus geben
wo alle in Glück und Freiheit leben
und arbeiten nach Bedürfnis und Fähigkeit
in der guten Zukunft in der neuen Zeit...

So lautet eine Strophe des titelgebenden Songs Zeitstrahl. Es sind 15 Lieder über verlorene Sozialismusutopoien und den Mut, trotzdem weiterzukämpfen. Über Berlin hinaus bekannt wurde Geigerzaehler vor 10 Jahren mit seinen Album, Berlinska Droha (Berliner Ecke) bekannt, wo Berliner Punk auf sorbischen Folk trifft. Seitdem hat geigerzähler bei jungen Sorb*innen einen Fanclub, wie sich bei Releaseparty für sein neues Album am vergangenen Samstag in der Berliner Zionskirche zeigte. Mindestens ein halbes Dutzend Menschen waren gekommen, die sich Freundeskreis des sorbischen Komponisten Jan Paul Nagel outeten. Es ist der Großonkel von geigerzaehler, doch musikalisch dürfte beide wenig verbinden, außer ihrer sorbischen Herkunft. Die neueste CD von geigerzähler muss man mehrmals hören. Jeder dieser Songs erzählt eine Geschichte mit Tiefgang, der sich mit der Zeit erschließt. Da geht es im Song „Mückenlarvensagen“ über zwei Kinder, die mit Gummistiefeln im Schlamm eines Baches zwei Städte spielen.“Slavoj und Birtschek auch lange versunken, nur die Mückenlarven erzählen vielleicht noch davon“ heißt es am Ende. Diese Sätze geben Raum für philosophische Erwägungen. Sofort eingängig ist der Song „Privilegien“, der zum Mitschunkeln einlädt, was am Samstag deutlich wurde. „Der Sozialismus mit menschlichen Antlitz wohnte nicht in Wandlitz“, wird die DDR-Nomenklatura aufs Korn genommen. Doch in der letzten Strophe heißt es: „Heute würde der Direktor einer Fabrik nicht in nem Bungalow wohnen, sondern in einer Vorstadtvilla mit gigantischen Zaun, und zu hinterfragen würde sich das niemand mehr traun“. In „Köterkacke reloaded“ nimmt Geigerzaehler einen Song aus der Frühphase seines musikalischen Werdegangs aus den frühen 1990er Jahre auf. Im klassischen Punkkkrachstil wurde da mehr gegrölt als intoniert: „“Manchmal auf der Nachtpatrouille tritt ein blödes Bullenschwein in einen großen dunkelbraunen Scheißhaufen hinein“ Es ist gut, dass er auf diese Zeit rekurriert und es zeigt sich, man den Punksong auch heute noch ohne Scham mitsingen kann. Schließlich wird in der nächsten Strophe vermerkt „Ich hab ja Scheisse an meinen Schuh“. „Punk in Rest“ ist einen kürzlich verstorbenen Musikkollegen von geigerzaehler gewidmet. Doch sein Name wird bewusst nicht genannt, weil es auch ein Lied für alle ist, die in den letzten 30 Jahren die Ziele von Freiheit und Emanzipation geteilt haben und nicht mehr leben. „Ich kann nicht sagen, ob ihm das Lied gefiele und habs trotzdem geschrieben: da sind noch ein paar gemeinsame Ziele und die – die sind geblieben“, heißt es in dem melancholischen Lied, das auf vielen Beerdigungen gesungen werden könnte.

Gedenkt unserer mit Nachsicht

Das differenzierte Verhältnis zur DDR, „wo Pioniere Fahnen schwenken, alte Helden vorwärts denken“ wird auch im Song „Glückliche Kindheit“ deutlich. Auf der Releaseparty trat auch ein Sänger der Berliner Avantgardeband "Der Papst, seine Frau und sein Porsche", der die wohl die orginellste DDR-Kritik sang: "Es gab keine Plastiktüten in der DDR". Auch den Kommunist*innen, die in ihrer Jugend in der Weimarer Zeit für die Emanzipation aller Menschen kämpften und damit gescheitert sind, als sie in der DDR einen Staat daraus machen wollten, tritt geigerzaehler nicht nur mit Ablehnung gegenüber. Im Sinne von Brechts „Gedicht an die Nachgeborenen“ werden die finsteren Zeiten nicht vergessen, in denen die Kommunist*innen in den 1920er und 1930er Jahre kämpften. Das wird in dem Song „Gestern morgen“ deutlich, in dem Geigerzähler eine Textstelle aus dem gleichnamigen im Unrast-Verlag erschienenen Buch der Autorin Bini Adamczak vertont. „Welche Revolution wäre in der Lage, nicht nur die grausame Herrschaft zu überwinden, sondern auch ihre erwartbare und erwartbar grausame Wiederkehr“, lautete die offene Frage an die Hörer*innen.

Peter Nowak

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Peter Nowak

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