Das dröhende Schweigen zum Neonazimord an Marwa El-Sherbini

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Es ist überhaupt kein Widerspruch, Islamismus und Antisemitismus zu kritisieren und Rechtsgleichheit für alle MigrantInnen zu fordern- mit und ohne Papiere und selbstverständlich auch für Islamisten

aus Islamismus Kulturphänomen oder Krisenlösung?“ herausgegeben von Kritik und Praxis Berlin, Seite 63


Am 1. Juli 2009 konnte war Dresden Schauplatz eines der spektakulärsten Neonazimorde, die es in den letzten Jahren in Deutschland gab. Die Ägypterin Marwa El-Sherbini wurde an diesem Tag im Gerichtssaal mit 18 Messerstichen ermordet. Täter war der Neonazi, der sie schon ein Jahr vorher rassistisch beleidigt hatte. Er wollte dem Kind einer Ägypterin nicht erlauben, auf einem deutschen Spielplatz die Schaukel zu benutzen und beschimpfte die Frau rassistisch, als sie den Nazi aufforderte, die Schaukel freizugeben.
Marwa El-Sherbini beschritt den Rechtsweg. Sie zeigte den Rassisten an, der zu einer Geldstrafe v erurteilt worden war. Dabei wurde die rassistische Komponente weitgehend ausgeblendet. Die Tat wurde zu einer Alltagsbeleidigung herabgestuft, wie so oft bei Naziverbrechen. Weil der Rechte Widerspruch einlegte, kam es am 1.Juli zu dem Zivilprozess vor dem Dresdner Gericht. Nachdem Marwa El-Sherbini ihre Aussage über den rassistischen Vorfall gemacht hat, stürzte sich der Nazi mit dem Messer auf sie und machte seinem Vernichtungswillen mit dem Schrei deutlich, dass so was wie die, kein Recht zu leben hat. Der Ehemann von El-Sherbini, der sich dem Nazi in den Weg stellte, wurde ebenfalls durch Messerstiche schwer verletzt. Als die herbeigeeilten Polizisten am Tatort eintrafen, schossen sie ihn zudem noch einmal ins Bein. Sie meinten zielsicher, den äußerlich Nichtdeutschen als Täter ausgemacht zu haben. Eine integrierte ägyptische Familie, die nicht nur in Deutschland lebte sondern auch ihre ihnen grundgesetzlich zustehenden Rechte verteidigt, das passte wohl nicht in ihr Bild.
Noch Tage nach dem Nazimord wurde in den Medien von einem unbegreiflichen Vorfall in einem Zivilprozess geschrieben. Erst nach mehr als einer Woche wurde auch in deutschen der nazistische Charakter der Tat anerkannt. Das kennen wir ja auch bei anderen Fällen öfter.

Doch wo bleiben die Proteste der Antifa?

Von Mahnwachen am Tatort und von Demonstrationen wurde nichts bekannt. Sollte es sie in kleinerem Ausmaß gegeben haben, dann sind sie die berühmte Ausnahme, die aber nur so deutlich machten, dass der Tod von Marwa El-Sherbini dort nicht zum Thema wurde. Nun könnte man einwenden, die Sommerpause naht und die Antifa ist auch nicht mehr so mobilisierungsfähig. Das ist nicht ganz falsch. Aber die energische Reaktion nach dem Naziüberfall auf einen Linken in Berlin-Friedrichshain zeigt, dass es ganz so schlecht um die antifaschistische Mobilisierungsfähigkeit auch nicht bestellt ist. Nicht nur in Berlin sondern auch in Rostock und anderen Städten wurde gegen den Naziüberfall protestiert und weitere Demos sind in Vorbereitung. Auch eine andere, in den Medien kolportierte Behauptung, dass der Täter aus Russland stammt und deshalb der nazistische Charakter der Tat nicht gleich erkannt wurde, dürfte für die Antifa nicht von Belang sein. Das Argument ist im Kern rassistisch. Schon lange wissen wir, dass Menschen mit arabischem Hintergrund antisemitische Aktionen verüben, dass Graue Wölfe genau so Faschisten sind wie NPDler etc. Im Fall des Mörders von Marwa El-Sherbini ist das Argument aber besonders absurd. Er hat sich als Russlanddeutscher verstanden, d.h. er gehört zu denen, die auf Grund einer völkischen Konstruktion sein Recht, in Deutschland zu leben, begründet. Dieses völkisch-definierte Recht, das Deutsche in allen möglichen Ländern konstruiert, muss gerade von denen bekämpft werden, die für ein Recht auf freien Aufenthalt streiten. Es ist nämlich dessen Negation. Menschen sollen wohnen können, wo sie wollen, aber gerade eben nicht mit Volk und Blut argumentieren.

Es ist auch AntifaschistInnen nicht verborgen geblieben, dass es um die sogenannten Russlanddeutschen im rechten Lager Querellen gab. Während sie von manchen Dumpfnazis nicht als vollwertige Deutsche anerkannt wurden, hatten rechte Funktionäre schon früh erkannt, dass gerade dort ein wichtiges Potential besteht. Schon längst wirbt beispielsweise die NPD im Milieu dieser jungen „Russlanddeutschen“ gezielt für ihre rechten Thesen. Deswegen muss nicht verwundern, dass der Nazi von Dresden erklärte, dass er NPD gewählt hat.
Der Fall wäre also der Idealfall einer Antifakampagne. Ein Nazimord in einem deutschen Gericht, Polizisten die zunächst den Mann des Opfers zum Täter machten, ein rassistisches Konstrukt der „Russlanddeutschen“ und eine Medienreaktion, die zunächst die faschistische Komponente verleugnete.


Warum es zu dieser Kampagne nicht kam, ist die große Frage. Vielleicht weil eine Frau, die ein Kopftuch trägt, sofort zur Islamistin gestempelt wird und deshalb kein Naziopfer sein kann? Weil ja in manchen linken Kreisen noch immer behauptet wird, dass die Rede von der Islamophobie nur vom Antisemitismus ablenken würde? Muss da nicht nach dem Nazimord von Dresden in mehrfacher Hinsicht umgedacht werden? Wer es noch nicht wahrhaben wollte, müsste jetzt belehrt sein: Es gibt einen rechten Vernichtungswillen gegen Menschen, wie Marwa El-Sherbini. Sie trug ein Kopftuch und war trotzdem nicht das Opfer von islamistischer Männergewalt, wie manche es immer darstellen. Sie war vielmeher das Opfer des deutschen Vernichtungswahns. Sie nutzte die Wege der Zivilgesellschaft, um sich gegen die Beleidigung des Nazis zu wehren. Eine Frau mit Kopftuch, die dann noch für Recht kämpft, dass war den zu viel. Aber manche zum Neokonservativen gewendeten Linken verstehen die Welt nicht mehr. Das zeigt beispielhaft der Kommentar des Neokonservativen Thomas von der Osten Sacken in einen Kommentar in der Jungle World. Der Herr von echt deutschen Adelsgeschlecht schwadroniert über einen verwirrten Einzeltäter als Möder von El-Sherbini. Osten-Sacken hätte schon in den 90er Jahren als Pressesprecher von Landespolitikern, die einen Naziüberfall kommentierten mußten , auftreten können. Dort wimmelte es immer so von verwirrten Einzeltätern. Damit sollen die geistigen Stichwortgebern für eine solche Hetze entschuldigt werden.

Warum nicht eine Marwa El-Sherbini -Stiftung?


Der Mord von Dresden zeigt einmal mehr, dass es falsch ist, Antisemitismus und Islamophobie gegeneinander zu stellen. Der Generalsekretär des Zentralrat der Juden fand da die richtigen Worte.
Die meisten derjenigen, die auf eine Frau mit Kopftuch das Lebensrecht absprechen, werden gegenüber einem Juden oder einer Jüdin mit entsprechenden Insignien ihrer Religion nicht anders reagieren.

Umdenken sollten auch diejenigen, die noch immer ein Kopftuchverbot fordern, und damit nicht akzeptieren wollen, dass es Frauen gibt, für die es kein Symbol der Unterdrückung ist. Die Devise „Keine Frau darf zum Tragen eines Kopftuches von wem auch immer gezwungen werden“ ist richtig. Sie muss nur ergänzt werden “Keine Frau darf Nachteile davon haben, dass sie aus freien Stücken ein Kopftuch trägt?“

Auch die „Kompetenzzentren Islam“, de es in verschiedenen Städten gibt, sollten ihre Fragestellung erweitern. Es geht eben nicht nur um die Frage, wie integrationsbereit sind die Menschen mit "arabischem Hintergrund?“ Es geht auch um die Frage, wie ist diese Gesellschaft beschaffen, in die sich integrieren sollen. Die gesellschaftliche Reaktion auf den Nazimord an der integrierten Marwa El-Sherbini lassen da viele Zweifel offen.

Vielleicht sollte nach dem Vorbild der Antonio Amedeus-Stiftung auch eine gegründet werden. Sie soll erinnern an eine mutige Frau, die sterben mußte, weil sie emanzipiert war und weil sie genau das machte, was viele immer von Menschen mit "migrantischen Hintergrund" fordern. Sie hat die Zivilgesellschaft nicht nur anerkannt sondern auch genutzt. Deswegen wurde sie umgebracht.
Und nutzen wir den Prozess gegen ihren Mördern, um Marwa El-Sherbini den verdienten Respekt zu erweisen. Das ist auch die beste Antwort auf die Versuche von Islamisten, die sie jetzt zur Märtyrerin stilisieren wollen. Das hat diese mutige Frau nun wahrlich nicht verdient.

Peter Nowak
Lesetipp. „Islamismus Kulturphänomen oder Krisenlösung?“ herausgegeben von Kritik und Praxis Berlin, die Broschüre düfte in einigen gut sortierten Buchläden noch erhältlich sein.

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Geschrieben von

Peter Nowak

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