Demokratie in der Türkei in Gefahr

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Nun hat der kemalistische Wächterrat wieder zugeschlagen. Das sogenannte türkische Verfassungsgericht hat die DTP, die größte Partei der kurdischen Bevölkerungsgruppe, verboten. Die offizielle Begründung lautet, sie distanziere sich zu wenig von der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. In Wirklichkeit ist die DTP aber verboten worden, weil sie es in den letzten Jahren geschafft hat, aus der nationalistischen Sackgasse herauszukommen und zu einer politischen Kraft zu werden,die in vielen Punkten eine Vorbildrolle für die Linke in der Türkei erlangt hat. Beim auch von DTP-Politikern mitorganisierten mesopotamischen Sozialforum, das Ende September 2009 in Diyarbakir tagte, standen Fragen der Frauenrechte, der Gleichberechtigung von sexuellen Minderheiten, sowie eine demokratische Selbstverwaltung auf der Agenda. Dort haben kurdische Menschen jeden Alters mitdiskutiert. Denn genau diese Themen werden auch in der DTP und ihren Unterstützerorganisationen behandelt. Ein türkischer Anarchist, der von Istanbul zum Sozialforum angereist war, erklärte, dass es auch dank der DTP in der kurdischen Linken eine Offenheit für neue Fragen gibt, die er in der übrigen Linken in der Türkei vermisst.


Erbe der Militärs

Die türkischen Staatsapparate fürchteten, dass die DTP mit ihrer Politik weiteren Anhang in der türkischen Linken finden und die nationalen Spaltungslinien überwinden könnten.Hier liegt der Grund für das Verbot durch ein Organ, dass sich Verfassungsgericht nimmt, das aber besser als kemalistischer Wächterrat bezeichnet werden kann. Er ist noch von den Putschgenerälen installiert worden, die damit verhindern wollten, dass die von ihnen aufoktroyierte Verfassung nachträglich verändert wird. Das Verfassungsgericht soll dafür sorgen, dass demokratische Veränderungen in der Türkei möglichst unterbunden werden. Was das Gericht eint, ist der Kemalismus, eine nationalistische Ideologie, die seit Jahrzehnten jedes demokratische Leben in der Türkei zu ersticken droht. Innerhalb des Kemalismus haben auch ultrarechte bis faschistische Kräfte ihren Platz, die alles dransetzen, die Türkei von allen demokratischen Versuchungen fern zu halten. Das Verfassungsgericht steht dabei an vorderster Stelle.

Diese Rolle spielt rs sehr zur Zufriedenheit seiner Schöpfer schon seit Jahren. So hat es sogar zweimal die größte Oppositionspartei verboten. Im letzten Jahr entging die Regierungspartei AKP nur knapp dem gleichen Schicksal. Mittlerweile ist in der Türkei der Widerstand gegen die Überbleibsel des Militärputsches gewachsen. Der Ergenekon-Prozess macht deutlich, dass sie nicht mehr unantastbar sind. In dem Verfahren sind führende Militärs, Politiker, Journalisten, Ökonomen, die wichtigsten Stützen des Staates, der Verschwörung angeklagt. Bisher fehlen die Mitglieder des Verfassungsgerichts noch auf der Anklagebank. Mit ihrer Entscheidung gegen die DTP versuchen die unter Druckgeratenen Kemalisten Sympathien bei der Bevölkerung zurück zugewinnen. Denn noch zieht der antikurdische Nationalismus in Teilen der türkischen Gesellschaft. Die kemalistischen Eliten hoffen natürlich, dass die kurdische Bewegung jetzt wieder in mehr in die nationalistische Richtung triftet. In diese Falle sollte sie nicht gehen. Es ist vielmehr ein breites Bündnis in der Türkei nötig, damit die Relikte derMilitärdiktatur endlich entsorgt werden. Das sogenannte Verfassungsgericht steht dabei an erster Stelle. Allein seine Existenz ist eine permanente Gefahr für jede demokratische und emanzipatorische Entwicklung nicht nur in Kurdistan.


Peter Nowak


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Geschrieben von

Peter Nowak

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