Der Anti-Breloer

Wolfgang Höpfner Der Regisseur drehte in den 1970er Jahren Filme, die eine vergessene linke Geschichte der BRD dokumentieren.

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Mythos Stammheim heißt das Werk des Filmemachers Heinrich Breloer. Damit wollte der Regisseur, wie er stolz dem Deutschlandfunk erklärte, nicht nur die staatsoffizielle Version über die Ereignisse in der Todesnacht von Stammheim am 18. Oktober 1977 festschreiben. Breloer erklärt auch ganz unbescheiden, dass nach seinen Filmen niemand mehr davon reden kann, dass die Gefangenen aus der RAF und anderen politischen GruppenIsolationshaftbedingungen ausgesetzt waren. Im Gegenteil, so Breloer im Brustton der Überzeugung, hätten die Gefangenen sogar besonders privilegiert in ihren Zellen gelebt. Einen solchen Schwachsinn kann Breloer nur erzählen, weil eine ganze Genration von Filmemacher*innen und ihre Arbeiten kaum mehr bekannt sind, die nicht angetreten sind, um Staatspropaganda auf Zelluloid zu bannen. Sie haben vielmehr in den 1970er mit Menschen gesprochen, die die Haftbedingungen selber erlebt und erlitten haben. Dazu gehört Wolfgang Höpfner, der in seiner Zeit als Student der Deutschen Film- und Fernsehakademie (dff) zwe Filme drehte, denen man noch heute anmerkt, da hat sichwirklich jemand mit den Gefangenen, ihren Kämpfen, ihren Utopien beschäftigt. Natürlich laufen solche Filme nicht im Fernsehen, nicht mal auf Arte oder 3Sat. Dass erleichtert den offiziellen Erklärern der linken Geschichte wie Aust und Breloer ihr Geschäft.Dem Berliner Filmhaus Arsenal ist es zu verdanken, dass die Arbeiten von Höpfner heute noch zu sehen sind. Leider waren kaum Menschen unter 30 anwesend, als die beiden Filme von ZWEI PROTOKOLLE und VOR 4 JAHREN. VOR 2 JAHREN gezeigt wurden.

Politich Filme machen

Es ist ein Unterricht in die vergessene linke Geschichte der BRD auf höchsten künstlerischen Niveau. Höpfner hat keine politischen Filme gedreht, er hat politisch Filme gedreht. Ein Unterschied, den man wahrscheinlich nur erklären kann, wenn man die beiden Arbeiten gesehen hat.Sie drehen sich um die Verhaftung von Karl-Heinz Roth und Roland Otto am 8. Mai 1975 auf einenParkplatz in einem Kölner Arbeiter*innenviertel. Roth wurde dabei von einem Polizisten mit einem Bauchschuss lebensgefährlich verletzt und beschreibt in "ZWEI PROTOKOLLE" wie er im Gefängnis mit dem Tode rang und einer Vernichtungshaft ausgesetzt war. Das Wort fällt mehrmals in dem knapp 30minütgen Interview. Roth beschreibt sehr dicht und völlig ohne propagandistischer Volte, wie der Köper psychisch und physisch unter den Haftbedingen leitet. Gerade, weil es keine totale Isolation gibt, sind die Auswirkungen besonders drastisch. Roth beschreibt, wie ihm das Schreiben von Briefen, das er besonders intensiv betrieb,verleidet wurde, weil er wusste, dass jeder zweite Brief von der Gefängniszensur einbehalten wurde. Es habe dabei keine Methode gegeben, vielmehr habe die totale Willkür geherrscht. Auch das Lesen von Zeitungen, eine weitere wichtige Beschäftigung von Roth, wurde unter Knastbedingungen zur Tortur, weil alle Anzeigen aus den Zeitungen gerissen waren und er sie nur noch zerstückelt erhielt. Zudem wurden Seiten oder Seitenteile so herausgerissen, dass der Empfänger den Eingriff sehen konnte. Alles Maßnahmen, um die Sanktionen zu erhöhen. Wer diese Schilderung gehört hat, kann für hochdotierte Märchenonkeleien a al Breloer nur Verachtung haben. Einige Zuschauer*innen bemerkten in der anschließenden Debatte mit Höpfner, sie seien erstaunt gewesen, wie sachlich Roth über seine Erlebnisse im Gefängnis berichtet hat. Roth erklärte selber, dass er durch eiserne Selbstdisziplin nach seinen schweren Verletzungen überlebt hat. Es ist diese Selbstdisziplin, die man bei jeden Vortrag des Historikers Karl-Heinz Roth bis heute erleben kann. Nur andeutungsweise kommen im Interview auch innerlinke Differenzen kurz zur Sprache, die Mitte der 1970er Jahre eine Rolle gespielt haben mögen, heute aber nur noch Fußnote sind. So wandte sich Roth gegen das Konzept des politischen Gefangenen und kritisierte die Politik der „großen Geste“ im Gefängnis. Damit bezog er sich Positionen, sich im Gefängnis zum Nabel der Weltrevolution zu erklären, um nicht über das Ausgeliefertsein und die Hilflosigkeit im Isolationsknast reden zu müssen. Zudem betonte er, dass alle Gefangenen, die hinter Gefängnismauern sterben, ermordet werden, auch wenn sie Selbstmord gemacht haben sollten. Denn sie taten es nicht freiwillig, sondern hinter Gefängnismauern. Dass warim Herbst1977, als das Interview entstand, eine auch in der radikalen Linken provokative Aussage nach der Todesnacht in Stammheim und nach der toten Ulrike Meinhof. Sie wurde übrigens genau ein Jahr nach den Schüssen auf den Kölner Bahnhof tot in ihrer Zelle aufgefunden. Der Film wurde nicht nur von Höpfner sondern einer Gruppe von dff-Studierenden gedreht und auch eigenständig finanziert.Zu der Stimme von Roth sieht man Aufnahmen aus dem Gefängnis Bielefeld-Ummeln, einem damals neueröffneten sogenannten Reformknast unter sozialdemokratischer Ägide. Die Off-Stimmen der Beamt*innen weisen darauf hin, dass man auf graues Beton so weit wie möglich verzichtet habe, was aber nicht immer möglich gewesen sei. Das Filmteam hatte sich dort als Architekturstudierende vorgestellt, die sich für die Bauweise des Gefängnisses interessieren würden. Es wäre zu wünschen, dass der Film öfter gezeigt wird. Schließlich hatte Roth im Interview mehrmals betont, es komme darauf an, nicht zu vergessen und nicht zu verzeihen.

Wie „Terroristen“ produziert werden

Im zweiten wesentlich längeren Film von Höpfner ist nicht nur Karl-Heinz Roth sondern auch Roland Otto zu sehen, der mit ihm auf dem Kölner Parkplatz verhaftet wurde. Auch dort werden Aufnahmen des Reformknast Bielefeld-Ummeln zu sehen. Doch es wurde auch auf die Hintergründe der Verhaftung eingegangen. Roland Ottos Prozesserklärung wird eingeblendet, wo er beschreibt, warum er von einem Hafturlaub nicht in den Knast zurückgekehrt ist. Das Filmteam suchte auch den verantwortlichen Redakteur einer bekannten Kölner Lokalzeitung auf, die bereits nach der Festnahme auf dem Parkplatz von gefährlichen anarchistischen Gewalttätern schreibt und die Vorverurteilung in den nächsten Tagen noch vorantrieb. Besonders betroffen war Dr. Karl Heinz Roth, der damals als junger Unfallarzt an einem Kölner Krankenhaus arbeitete. Da wurde ihm zunächstbescheinigt, dass er ein guter und gewissenhafter Arzt gewesen sei und sich politisch völlig zurückgehalten habe. Einige Tage später, wohl von der Hetzpresse angestachelt, wurde Roth dann von einem Kollegen unterstellt, er hätte ihm gegenüber geäußert, für die Revolution über Leichen zu gehen. Auch Philipp Sauber wird in dem Film erwähnt, der Mann, der auf dem Kölner Parkplatz erschossen wurde, als er fliehen wollte. Als er schon lebensgefährlich verletzt war, schoss er zurück und verletzte einen Polizisten tödlich. Das Bild vom eiskalten Killer, dass die Medien über Sauber vermittelten, wurde durch eine kritische Solidaritätsbewegung korrigiert, die mitten im kältesten Deutschen Herbst, wo jeder, der ein kritisches Wort sagte, zum Terroristenfreund gestempelt wurde, den Prozess begleiteten. So konnte nachgewiesen werden, dass sich die drei Männer auf dem Kölner Parkplatz nicht getroffen hat, um Polizisten zu erschießen. Erst Jahre später erklärte Karl Heinz Roth, der Zweck des Treffens sei gewesen, dass er zu einem Illegalen gefahren werden sollte, der medizinische Behandlung brauchte. Einen Aktivbürger fiel die Gruppe auf. Bei der polizeilichen Überprüfung kamen die zwei gefälschten Dokumente von Sauber undOtto zunächst problemlos durch den Polizeikontrolle. Bei den echten Papieren von Roth erfolgte die Warnung, Linksradikaler. Das bedeutete, aus einer gewöhnlichen Untersuchung wurde eine unter Sonderbedingungen gegen Linke und die Ereignisse nahmen ihren Lauf.

Philipp Sauber – der einsame Wanderer

Am Ende des Films erklärte Roland Otto, dass der Tod von Philip Sauber nicht das Ende der Kämpfe sei, sondern andere zum Widerstand motivieren würde. Heute wissen wir, dass es so nicht gekommen ist. Dass Philip Sauber nicht vergessen ist, verdanken wir seiner damaligen Lebensgefährtin Ulrike Edschmid, die 2013 das Buch „Das Verschwinden des Philipp S.“ herausgeben hat. Schon zuvor hat Edschmid das Buch „Frauen mit Waffen“, das die Lebensgeschichten der zeitweilig in der Guerilla kämpfenden Katharina de Fries und Astrid Proll porträtierte mit der Widmung versehen: Das Buch entstand in Erinnerung an Philip W. Sauber, den Gefährten jener Jahre, der die Zeit nicht überlebt hat.“

In den Film „VOR 4 JAHREN. VOR 2 JAHREN“ wird ansatzweise ein Einblick in das kurze Leben des Philip Sauber gegeben. Die Filmemacher reden mit seinen Nachbarn in einem Kölner Arbeiterquartier, wo Sauber legte. Er arbeitete in einem Walzwerk. Das erscheint besonders rätselhaft, wenn man weiß, dass er in einer schwerreichen Züricher Familie aufgewachsen ist. Doch er hat schon als Jugendlicher gegen diese Welt, in der sich alles um Geld um Luxus dreht, rebelliert. Zunächst zog es ihn in die Kunst. Er studierte in der dff und drehte dort 1968 den Film „Der einsame Wanderer“, der ebenfalls im Arsenal gezeigt wurde. Es ist ein verrätseltes romantisches Fragment, über einen einsamen Mann, der in einer Winternacht in einem Schloss um Aufnahme bittet, was ihm gewährt wird.Vieles erinnert in dem Film an eine spätmittelalterliche Welt, wo man dann von Ferne Kanonendonner wie bei einer Belagerung hört. Man weiß nicht, ob es sich hier um eine Satire handelt, oder ob der junge Bourgeois Philip Sauber die Romantik als Rettungsanker gesehen hat.7 Jahre wenige Jahre später starb er als Aktivist der radikalen Linken, der auf die Organisierung eines europaweiten militanten Arbeiter*innenwiderstands setzte.Dieauch transnationale Geschichte dieser transnationalen proletarischen Organisierungsversuche liegt bis heute weitgehend im Dunkeln. Karl Heinz Roth äußerte 2006 Jahren die Hoffnung in Bezug auf Philip Sauber:Ich hoffe, dass es eines Tages möglich sein wird, seine Geschichte und die Geschichte seiner Genossinnen und Genossen umfassend zu rekonstruieren.“Fast 15 Jahre später sieht es nicht so aus, als würde sich das erfüllen. Schließlich werden die Menschen, die diese Geschichte erzählen könnten, älter und sterben. Dann droht, dass die Version des Staatsschutzes und ihrer Breloers sich endgültig etabliert. Daher ist es umso wichtiger, dass wir dieFilmdokumenteeines Werner Höpfners nicht vergessen. Wenige Monate vor seinen Tod hat Philip Sauber unter dem Titel „Mit dem Rücken zur Wand“die Einschätzung der politischen Situation in dieser Zeit geliefert, die hier nachgelesen werden kann:

Peter Nowak

Link zur Veranstaltung im Arsenal:

https://www.arsenal-berlin.de/kino-arsenal/programm/einzelansicht/article/8092/2796.html

Zu den Filmen:

Zwei Protokolle:

https://dffb-archiv.de/dffb/zwei-protokolle

Vor zwei Jahren. Vor vier Jahren:

https://dffb-archiv.de/dffb/vor-4-jahren-vor-2-jahren

Zum Text von über die radikale Linke im Januar 1975 von Philip Sauber:

http://bewegung.nostate.net/mate_wand.html

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Geschrieben von

Peter Nowak

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