Der Rassismus der Eliten

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Die Einschläge kommen näher. Nachdem der Noch-Sozialdemokrat Thilo Sarrazin seine Hetze gegen Kopftuchmädchen, Hartz IV-Empfänger und alle, die nicht zu den Oberen Zehntausend Berlins gehören losgelassen hatte, wurde bekannt, dass der Präsident des Verfassungsgerichtshofs von NRW Michael Bertrams alle gläubigen Moslemsvom Staatsdienst ausschließen will, weil sie angeblich Verfassungsfeinde seien. Diese Ausgrenzung einer ganzen Bevölkerungsgruppe äußerte Bertrams bei einer Rede in Münster, wo der Barmer Erklärung von 1934 gedacht wurde. Die wird als Beginn des theologischen Widerstands interpretiert. In Wirklichkeit war sie eher eine Bitte an das NS-Regime, doch die protestantische Kirche in Ruhe zu lassen. Davon abgesehen ist es besonders perfide, dass die Ausgrenzung einer ganzen Bevölkerungsgruppe nun die logische Fortsetzung von Protesten gegen das NS-Regime sein soll. Die rechten Internetforen haben mit Bertrams einen neuen Helden der Meinungsfreiheit entdeckt, den sie jetzt neben Sarrazin feiern.

Doch mit deren Wortmeldungen wird etwas deutlich. Die Elite und die ideologischen Staatsapparate rücken nach Rechts und machen mobil gegen Minderheiten, gegen die sogenannte Unterschicht und gegen gefährliche Klassen. Genau das war die ständige Aufgabe des Senators Sarrazins als Berliner Sozialdemokrat. Die setzt er jetzt fort.

Bisher wurde viel über den Rassismus und Antisemitismus der Unterklassen geredet. Nun wird es auch an der Zeit, die Faschisierung der Eliten in den Blick zu nehmen. Es sind die Stützen der Gesellschaft, die sich äußern, als wären sie Pressesprecher von Republikanern oder NPD. Dort werden Sarrazin und Bertrams vorerst sicher nicht landen. Aber als Anwärter auf einen Posten in neuen, rechten, prowestlichen Sammlungsbewegung haben sie sich mit ihren Einlassungen schon beworben.


Erinnerung an Treitschke

Erfreulicherweise kam entschiedener Protest von einer Seite, die für solche Rechtsverschiebungen besonders sensibel ist. Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland fand die richtigen Worte zu Sarrazins Sudeleien:


„ Auch bei Thilo Sarrazin lohnt es sich, in den Ton hineinzuhören, um zu begreifen, welche Register er zieht. Ihn stören die „kopftuchtragenden Mädchen“ aus moslemischen Familien. Vor genau 130 Jahren schrieb Heinrich von Treitschke, wütiger deutscher Antisemit des 19. Jahrhunderts: „Über unsere Ostgrenze aber dringt Jahr für Jahr aus der unerschöpflichen polnischen Wiege eine Schar strebsamer hosenverkaufender Jünglinge herein.“ Gemeint waren Juden. Ob „kopftuchtragende Mädchen“ oder „hosenverkaufende Jünglinge“: Die Melodie ist auf erschreckende Weise gleich. Von demselben Treitschke stammte übrigens der später vom „Stürmer“ zum Motto erhobene Spruch: „Die Juden sind unser Unglück.“

Nach dem Antisemiten Treitschke ist in Berlin-Steglitz übrigens noch immer eine Straße benannt, weil die CDU wie ein Löwe gegen die Umbenennung kämpft.

Wann muss Bertrams gehen?

Eine Frage ist jetzt, wie lange Bertrams noch als oberster Interpret der NRW-Verfassung fungieren kann, wenn er eine ganze Menschengruppe kollektiv stigmatisieren will. Keinem Moslem ist es mehr zuzumuten, dass er an die Unabhängigkeit von Gerichten glaubt, solange eine Figur wie Bertrams nicht von seinem Posten abgelöst wird. Doch das ist nur Symbolpolitik. Gegen die Stigmatisierung und Hetze der Eliten ist an einem egalitären, säkularen Politikansatz festzuhalten. Eine Islamverteidigung ist völlig unangebracht. Die alte Forderung der Arbeiterbewegung, Kirche und jede Religion zu trennen, scheint aktueller denn je.


Peter Nowak

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Geschrieben von

Peter Nowak

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