Der tiefe Fall der Regierungssandinisten

Matthias Schindler Der langjährige Aktivist der Nicaragua-Solidarität hat ein wichtiges aber streitbares Buch zur aktuellen Entwicklung in dem zentralamerikanischen Land veröffentlicht

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1979 vertrieb die sandinistischeBewegung inNicaragua den Langzeitdiktator Somoza. In den folgenden Jahren wurde die sandinistische Revolution zum Sehnsuchtsort in Ost und West. Ach, kleines Nicaragua, so stolz und so bedroht, noch brauchst du fremde Hilfe,
sonst wär bald eine Hoffnung tot“, textete in der DDR der Liedermacher Gerhard Schöne. Er hoffte in dem zentralamerikanischen Land eine Alternative zur autoritären SED-Herrschaft finden. Er war damit nicht allein. Linke ausaller Welt beteiligten sichan Solidaritätsbrigaden,halfen bei der Kaffeeernte oder beim Bau von Schulen und Gesundheitsstationen in Nicaragua. Auch Matthias Schindler hatte sich in den 1980er Jahren an einer solchen Brigade beteiligt und war auch danachnoch jahrzehntelang in der Solidaritätsbewegungmit Nicaragua aktiv. Jetzt hat derlangjährige Gewerkschafter ein Buch geschrieben, in dem er die mit der gegenwärtigen Regierung unter den Altsandinisten Daniel Ortega abrechnet.Der unmittelbare Anlass für das Buch war die blutige Niederschlagung eines Aufstands in Nicaragua im April 2018. Schindler beginnt seine Anklageschrift mit dem Satz „Der18. April 20108 markiert den Beginn einer neuen politischen Zeitrechnung in Nicaragua“.An diesem Tag begann in dem mittelamerikanischen Land eine Protestbewegung, die in wenigen Tagen zu einen landesweiten Aufstand wurde und schließlichmit massiver staatlicher Repression niedergeschlagen wurde. Es gab zahlreiche Tote und Schwerverletzte,Aktivist*innen wurden verhaftet oder tauchten unter. Für Schindler war das Ereignis der Anlass, für den endgültigen Bruch mit dem „orteguistischen Regime“, wie die Regierung des Ehepaars Ortega in Abgrenzung zum Sandinismus bezeichnet.Es ist eine furiose, sicher nicht immer gerechte Anklage gegen die aktuelle Regierung in Nicaragua, geschrieben von einen Linken, der damit die Ideale der sandinistischen Revolution verteidigt.

Auf der ersten Seitesteht ein Zitat, das auch Leitmotiv des Buches sein könnte: „Der heutige Kampf für Nicaragua ist ein Kampf um die Erinnerung und die Geschichte der Sandinistischen Revolution“. Schindler rekapituliertnoch einmal wichtige Etappen der sandinistischen Bewegung und geht der Frage nach, warum geradesie so viele Linke in aller Welt begeisterte. Dabei verweist Schindler auf die Theologie der Befreiung, die in Teilen der sandinistischen Bewegung und auch bei ihren Unterstützer*innen eine größere Rolle als der Marxismus spielte.Schindler benennt aber auch Beispiele, wo schon sehr früh Theorie und Praxis auch im sandinistischen Nicaragua auseinanderfielen. So hält er es heute für einen großen Fehler, dass über denMachismos despopulären erste sandinistischen Innenminister Thomas Borge in den 1980er Jahren in Solidaritätskreisen nur intern gesprochen wurde. Argumentativ setzt sich Schindler mit den Teilen der Linken auseinander, die die aktuelle Regierung in Managua noch immer unkritisch verteidigen. Er widerlegt begründet Behauptungen, dass es bei den niedergeschlagenen Protesten um einen von den US gesteuerten Putsch handelt. Glaubwürdig ist Schindler als linker Kritiker, weil er zwischen derRegierung des Ehepaars Ortega und den Regierungen in Venezuela und Kuba klar differenziert. Er benennt auch in diesen Ländern demokratische Defizite, wendet sich allerdings gegen einen Regime-Change in den diesen Ländern. Das Buch ist eine gute Grundlage für eine Debatte über den Umgang mit den nominal linken Regierungen in Lateinamerika.

Ein streitbares aber wichtiges Buch

Glaubwürdig ist Schindler als linker Kritiker, weil er zwischen derRegierung des Ehepaars Ortega und den Regierungen in Venezuela und Kuba klar differenziert. Er benennt auch in diesen Ländern demokratische Defizite, wendet sich allerdings gegen einen Regime-Change in den diesen Ländern. Das Buch ist eine gute Grundlage für eine Debatte über den Umgang mit den nominal linken Regierungen in Lateinamerika.

Es ist ein streitbares, aber wichtiges Buch eines kritischen Linken zu Nicaragua. Dass er nicht immer gerecht, mit der sandinistischen Führungsclique umgeht, liegt wohl auch an seiner großen Enttäuschung. Schließlich hat der Autor für die sandinistische Bewegung viel Lebenszeit hingegeben. Da wird aus einer Bewunderung schnell mal große Enttäuschung. Ein Beispiel dafür ist das Kapitel über die Pinata, der Überschreibung von einem großen Teil von Immobilien und Grundstücken an Privatpersonen nach der sandinistischen Wahlniederlage. Daran waren eben auch spätere Dissident*innen der sandinistischen Bewegung beteiligt. Außerdem dürfte damals das Argument, dass sonst die vielennach der sandinistischen Revolution geduldeten aber nie rechtlich legalisierten Landbesetzungen auch armer Farmer*innen, geräumt werden könnten, nicht nur Taktik gewesen sein. Allerdings ist Schindlers Kritik an der Pinata als Beginn einer sandinistischen Bourgeoisie natürlich völlig berechtigt.

Peter Nowak

Schindler Matthias, Vom Triumph der Sandinisten zum demokratischen Aufstand, Nicaragua 1979 – 2019, Verlag Die Buchmacherei, Berlin, 2019, 174 Seiten, ISBN 978-3-9820783-0-4, 10 Euro

https://diebuchmacherei.de/produkt/vom-triumpf-der-sandinisten-zum-demokratischen-aufstand/

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Geschrieben von

Peter Nowak

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