Die Chile-Solidarität wurde nicht verordnet

Claudia Sandberg Die Filmhistorikern erforscht die Geschichte der DEFA-Filmproduktion zur Chile-Solidarität und damit auch ein Stück vergessene DDR-Geschichte

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Die Kinder und Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren beschäftigen sich intensiv mit der Frage, wie es gelingt, eine Zeitung so zu gestalten, dass sie von der Zielgruppe gelesen wird. Sie machen sich darüber Gedanken, wie viel Politik und viel Kultur den Leser_innen zuzumuten ist. Dann sieht mensch die Jugendlichen am Abziehapparat stehen und bald haben sie die Produkte ihrer Arbeit in der Hand: eine spanischsprachige Zeitung für die chilenische Schüler_innen, die mit ihren Eltern vor dem Terror der Pinochet-Herrschaft in Deutschland Schutz suchen. Handelt es sich hier um politisch engagierte Gesamtschüler_innen in den 1970er Jahren? Stimmt fast. Nur, dass die Schüler_innen in der DDR lebten und sie sich im Rahmen der Pionierorganisation darum kümmerten, dass ihre chilenischen Mitschüler_innen Lesestoff in der Sprache ihres Heimatlandes bekamen. Festgehalten ist die Szene in den Kurzfilm der 1977 von Günther Jordan gedreht wurde. Er gehört zu einer ganzen Reihe von DEFA-Filmen, die sich mit der chilenischen Community in der DDR sowie allgemein mit der internationalen Solidarität mit den verfolgten chilenischen Linken befasst. Am 3. Juli widmete das Filmhaus Arsenal diesen Filmen einen ganzen Abend.

Die Einführung des Themas, in der der Philosoph und Mitarbeiter der DEFA-Stiftung Rene Pikarski einen Kurzüberblick über die Ereignisse in Chile gab, geriet doch sehr lückenhaft. So erwähnte er nicht, dass die nach bürgerlich-demokratischen Maßstäben ins Amt gewählt linke Regierung der Unidad Popular von Anfang an im Dauerbeschuss der alten Mächte in Chile, die Pablo Neruda die Mumien nannte und ihren Finanziers in den USA gestanden hatte. Ihr Ziel war es, die linke Regierung mit allen Mitteln zu stürzen und wenn es mit Wahlen nicht klappte, weil die linke Regierung ihre Unterstützung sogar verbreiterte, dann war der Putsch der letzte Ausweg der alten Kräfte. Nun ist das Benennung dieser Lücke gar keine Kritik an den Referenten, macht aber einmal mehr deutlich, wie wichtig der Chile-Abend im Arsenal war. Werden doch in allen DEFA-Filmen mit dem Chile-Schwerpunkt Fakten vermittelt, de erklären, warum die linke Regierung gestützt und die Bluthunde an die Macht gebracht wurden.

Schon Kinder begeisterten sich für die Chile-Solidarität

Dass es in großen Teilen der DDR-Bevölkerung eine Grundsympathie mit dem chilenischen Frühling unter Allende gab und die Solidarität nicht von der SED verordnet werden musste, bestätigte Claudia Sandberg. Durch die DEFA-Chilefilme wurde die in Mecklenburg geborene Frau bereits als Kind mit der Chile-Solidarität bekannt gemacht. Heute forscht die Filmhistorikerin unter dem Stichpunkt „Verlorene Filme“ über die Spuren, die die DEFA-Filme hinterlassen haben. Ihre Spurensuche mündete in dem Film „Eine Reise vom Exil zur Erinnerung“, den sie gemeinsam mit den argentinischen Regisseur Alejandro Velez gedreht hat. Dort ist auch zu sehen, welche Reaktionen die Geschichte der DEFA-Filme in Südamerika auslöste. In Chile gab es teilweise eine Abwehr, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Nach einer Vorführung des Films an der Universität von Santiago de Chile erklärten einige Zuschauer_innen, sie hätten mit der Geschichte nichts zu tun. Andere fühlten sich an verschwundene Studierende in Mexico erinnert. Nur ein Kommilitone fühlte sich durch den Film an die polizeiliche Repression erinnert, die erlebt, wenn er heute in Chile an einer Demonstration beispielsweise gegen die neoliberale Bildungspolitik teilnimmt. Es ist tatsächlich auffällig, dass in dem Film nicht mehr dieser Protagonist_innen dieser neuen sozialen Kämpfe in Chile zu Wort kommen. Denn die beziehen sich durchaus auf Salvador Allende und der Unidad Popular und thematisieren auch die Verschwundenen. Vor allem aber sehen sie die heutige Entwicklung in Chile als Folge des faschistischen Terrors, mit dem die alte Klassengesellschaft gewaltsam wieder hergestellt wurde. Der Terror war so allgegenwärtig, und das lange Schweigen über die Zeiten des sozialen Aufbruchs, die im Film thematisiert worden sind damit zu erklären. Einige der älteren Protagonist_innen, die im Film zu Wort kamen, die Exil und Terror hinter sic hatten und teilweise selber an der Erstellung der DEFA-Filme beteiligt waren, weisen auf diesen Zusammenhang hin. So erinnert der chilenische Schriftsteller Omar Saavedra Santis, der das Skript für den DEFA-Film „Blonder Tango“ schreib daran, dass mit dem faschistischen Terror auch jeder Versuch blutig zerschlagen wurde, den Sozialismus auf parlamentarischen Wege ohne Gewehr und Machete wie in Kuba in einem Land umzusetzen. Die Friedhofsruhe, die durch den Militärputsch terroristisch in Chile hergestellt wurde, wurde erst aufgebrochen, als eine neue junge Generation an den Universitäten und auch in den Stadtviertel einen neuen Protestzyklus entfacht hat und sich dadurch auch der gewaltsam verdrängten Geschichte angenommen hat. Es ist schade, dass es bei der Chile-Tour nicht auch zu einer Begegnung mit ihnen gekommen ist.

Auch ein anderer Blick auf die Geschichte der DDR

Doch der Film von Sandberg und Velez liefert nicht nur ein Schlaglicht auf die chilenische Historie sondern auch auf die Geschichte der DDR. Dass hierzulande die DEFA-Filme zur Chile-Solidarität kaum noch erwähnt werden, liegt auch daran, dass die DDR-Geschichte von der BRD und ihnen treu ergebene ehemalige Bürgerrechtler_innen geprägt ist, die wahrheitswidrig behaupten, dass es schon immer ihr Ziel gewesen sei, die BRD-Verhältnisse auf die DDR überzustülpen. Die DDR-Geschichte ist dann nur eine Serie von Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen, die aufgearbeitet werden müssen. Wer es wagt, daran zu erinnern, dass dort 40 Jahre ein anderes System gab und dass eine vergleichende Geschichtsforschung zwischen BRD und DDR ohne Vorverurteilung und Wertung angemessen wäre, wird sofort als DDR-Nostalgiker diffamiert. Dabei könnte der Umgang mit den Schutzsuchenden aus Chile auch die Frage aufwerfen, wie denn mit ihnen in der BRD umgegangen wäre. In der CDU/CSU haben führende Politiker_innen den Putsch in Chile verteidigt, weil er eine sozialistische Entwicklung abgebrochen hat. Chilenische Exilant_innen wurden hingegen als Kommunist_innen und sogar Terrorist_innen beschimpft. Nur wenige Mitglieder der Sozialistischen Partei Chiles konnten in der BRD leben. In der DDR hingegen konnten die chilenischen Exilant_innen an den dortigen Wahlen teilnehmen und sie waren in die Gesellschaft integriert. Die Filmproduktion ist nur ein Zeichen davon. Bei der Filmvorführung im Arsenal waren auch einige der aktuell Geflüchteten anwesend, die mit Kinobesuchen auch ein Stück unbekannte Geschichte in Deutschland kennen lernen wollen. Sie könnten durch die Pioniergruppe auch anregt werden, ebenfalls Zeitungen i n Sprachen ihrer Länder herauszugeben und so eine Organisation innerhalb der migrantischen Community fördern. Dabei würden sie aber sicher nicht vom Staat aber von einer solidarischen Zivilgesellschaft unterstützt. So leuchtet die Kamera, die am Ende von Sandbergs Film zu sehen ist, auch die deutsche Geschichte aus.

Peter Nowak

Link zum Filmabend im Kino Arsenal:

http://www.defa-stiftung.de/DesktopDefault.aspx?TabID=5083

Bericht über die Filmtour von Claudia Sandberg und Velez in Chile und Argentinien:

https://www.goethe.de/ins/cl/de/kul/sup/fil/20843903.html

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Geschrieben von

Peter Nowak

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