Die Frauen der Lagergemeinschaft Ravensbrück

Henning Fischer Der Historiker setzt mit seinen Buch über die Lagergemeinschaft Ravensbrück Maßstäbe für eine historische Forschung in einer Zeit, in der die Zeitzeug_innen fehlen

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Doris Maase wurde die Rente, die die sie als NS-Verfolgte erhielt, später in der BRD gestrichen.
Doris Maase wurde die Rente, die die sie als NS-Verfolgte erhielt, später in der BRD gestrichen.

Foto: Eulenberg/Wikimedia (CC BY-SA 3.0)

„Diese Arbeit ist von einer großen Empathie für die Frauen der Lagergemeinschaft Ravensbrück geprägt“, erklärte der Historiker Mario Keßler kürzlich im Salon der Rosa Luxemburg Stiftung. Dort stellte der Historiker Henning Fischer seine Kollektivbiographie der Frauen vor, die die Lagergemeinschaft Ravensbrück gründeten. Keßlers Lob ist gut begründet.

Fischer ist es gelungen, die Frauen, die in der Öffentlichkeit als politisches Kollektiv handelten, in ihrer Individualität mit ihren Ängsten und Sehnsüchten zu beschreiben.

Fischer der seit mehreren Jahren zur Geschichte des KZ-Ravensbrück forscht, verfolgt den Lebensweg der Frauen von ihrer Politisierung in der Weimarer Republik und beschreibt ihr Engagement in der kommunistischen Bewegung. Er beschreibt sehr anschaulich, wie sie nach 1933 unter der völligen Entrechtung des KZ-Systems eine solidarische Gemeinschaft bildeten, die sich allerdings auf die eigene politische Gruppe beschränken musste. Wer nicht auf der Parteilinie lag, hatte es schwer. Das beschreibt Fischer an der Biographie von Margarethe Buber-Neumann, die im Exil in der Sowjetunion unter der Stalin-Ära mit ihrem Mann als Parteiabweichlerin verfemt, verfolgt und schließlich in der Zeit des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts an Nazideutschland ausgeliefert wurde. Sie war bis zur Befreiung vom NS in Ravensbrück inhaftiert. Obwohl sie noch bis 1946 KPD-Mitglied blieb, wurde sie als Dissidentin auch unter ihren Genossinnen mit Argwohn beobachtet. Nach ihrem KPD-Austritt schrieb Buber-Neumann ihre Erinnerungen auch in der KZ-Haft, die zur Abrechnung mit ihrer ehemaligen politischen Heimat wurde. Ihre nach ihren Erfahrungen in der Sowjetunion nur zu verständliche Aversion gegen autoritäre Sozialismusmodelle brachte sie aber immer mehr in die Nähe von ultrarechten Gruppen und Einzelpersonen. Noch bis in die 1980er Jahre bewegte sich Buber-Neumann in diesen Kreisen. Das schmälert nicht ihre Kritik am Stalinismus, die Henning Fischer als eine Facette der Geschichte der Frauen in Ravensbrück erwähnt.

Die meisten von ihnen stürzten sich in Ost- und Westdeutschland sofort wieder in die politische Arbeit, was Fischer auch als eine Form der Traumabewältigung deutete. Der Kalte Krieg führte dazu, dass die Ravensbrückerinnen in der BRD bald wieder an den Rand gedrängt und oft kriminalisiert wurden. Einige von ihnen konnten ab Mitte der 1980er Jahre als Zeitzeuginnen ihre Erfahrungen an eine jüngere Generation vermitteln. Am Beispiel der Ärztin Doris Maase zeigt Fischer, wie ehemalige NSDAP-Mitglieder nun als Richter in der BRD die Verfolgung gegen die Kommunistinnen fortsetzten. Maase wurde die Rente, die die sie als NS-Verfolgte erhielt, gestrichen. Schon gezahlte Gelder sollte sie zurückzahlen, weil sie weiterhin als Kommunistin aktiv geblieben ist. Sehr sensibel schildert Fischer auch den Prozess gegen die Kommunistin und Ravensbrück-Gefangene Gertrud Müller, die 1947 angeklagt war, jüdische Zwangsarbeiterinnen geschlagen zu haben. Zunächst schuldig gesprochen und zu einer mehrjährigen Haft verurteilt, musste Müller ihre Zelle mit ehemaligem NS- Aufseherinnen von Ravensbrück teilen. In einen zweiten Prozess wurde Müller schließlich freigesprochen. Fischer betont, dass letztlich nicht mehr geklärt werden kann, was damals tatsächlich geschehen ist und beschreibt die Tragik, dass in dem Prozess eine kommunistische und zwei jüdische Opfer des NS-Systems gegeneinander klagten und die Hauptverantwortlichen des NS sich darüber nur freuen konnten. Gertrud Müller war noch bis ins hohe Alter in der Organisation von NS-Verfolgten aktiv und hatte in den 1980er Jahren ehemalige Zwangsarbeiterinnen zu einer Podiumsdiskussion über die vom BRD-Staat nicht gezahlte Entschädigung eingeladen.

In der DDR waren die Ravensbrückerinnen Teil der offiziellen Erzählung vom antifaschistischen Staat, den viele von ihnen auch bedingungslos verteidigten. Zwei der Frauen sahen ihre Arbeit für das Ministerium für Staatssicherheit als Fortsetzung ihres kommunistischen Kampfes. Fischer zeigte aber auch den Eigensinn einer Frau wie Erika Buchmann auf, der es gelungen ist, eigene Akzente in der Gedenkarbeit zu setzen. Dabei machte sie sich bei ihren Genossinnen nicht nur Freude. Der Kampf um die Erinnerung wurde auch unter den linientreuen Kommunistinnen hart ausgefochten. Ungleich schwerer hatte es Johanna Krause, die als Jüdin und Kommunistin während der NS-Zeit verfolgt, bald als renitent aus der SED ausgeschlossen wurde.

Fischer gelingt es, den Frauen in all ihrer Widersprüchlichkeit als handelnde Individuen zu beschreiben. Diese Empathie ließ die Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück Insa Eschebach bei der Buchvorstellung vermissen. Weil sie von einer totalitären Note bei den Ravensbrücker Frauen in der DDR sprach und einige von ihnen beschuldigte, ihre Verfolgungsbiographien retuschiert zu haben, wurde sie von einigen der auf der Buchvorstellung anwesenden Angehörigen dieser NS-Verfolgten heftig kritisiert. Am 20. und 21. April fanden in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück die Festlichkeiten zum 73. Jahrestag der Befreiung statt, an der keine von den Zeitzeuginnen mehr teilnehmen konnten. Fischer hat mit seinen Buch gezeigt, wie eine Geschichtsschreibung in dieser Zeit aussehen kann.

Peter Nowak

Henning Fischer: Die Frauen der Lagergemeinschaften Ravensbrück: Biografische Erfahrung und politisches Handeln, 1945 bis 1989. 542 Seiten, zahlr. Fotografien, 29 Euro, Universitätsverlag Konstanz.

Link zum Buch:

http://www.uvk.de/buecher/alle/db/titel/details/titel/ueberlebende-als-akteurinnen/ch/b0e07c4e616daf3f65c98b44adb9e6d7/

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Geschrieben von

Peter Nowak

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