Die Frauen mit den grünen Winkeln

Sylvia Köchl Die Wiener Politologin hat sich in einem im Mandelbaum-Verlag erschienenen Buch dem Schicksal von als Berufsverbrecherinnen Stigmatisierten gewidmet

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„Wieso werden die seinerzeitigen willkürlichen und dem NS-Regime genehmen Urteile noch anerkannt. Dagegen wehre ich mich entschieden“. Das schrieb Paula Kolo 1960 an die österreichischen Behörden. Sie kämpfte für Entschädigungszahlungen für ihre KZ-Haft. Doch sie trug den grünen Winkel. Damit wurden im NS-Regime sogenannte Berufsverbrecherinnen stigmatisiert. Und das Stigma hatte Einfluss bis in die Gegenwart. Die Wiener Politologin Sylvia Köchl leistete mit ihrem im Mandelbaum-Verlag erschienenen Buch „“Das Bedürfnis nach gerechter Sühne“ eine wahre Pionierarbeit. Sie rekonstruierte den Lebensweg von 8 österreichischen Frauen, die als Berufsverbrecherinnen klassifiziert wurden und in das KZ-Ravensbrück deportiert wurden. Verurteilt wurden sie als Diebinnen und sogenannte Engelmacherinnen, also Frauen, die anderen Frauen bei der damals illegalen Abtreibung unterstützten.

Auch die Politischen diskriminierten die Frauen mit den Grünen Winkel

Köchl ist seit Jahren in antifaschistischen Zusammenhängen und auch in der österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück und FreundInnen aktiv. Sie beschreibt die Probleme und Schwierigkeiten über die Frauen mit den grünen Winkel zu schreiben. Das liegt schon mal daran, dass es über sie kaum eigene Zeugnisse gibt. So konnte sie ihre Pionierarbeit nur leisten, wo es noch in den Ämtern Briefe und andere Schreiben gibt, mit denen die Frauen nach 1945 gegen ihre Diskriminierung kämpften. Es ist schon berührend, wenn Köchl den langen und vergeblichen Kampf um Gerechtigkeit der Paula Kolo so abschließt: „Viele Jahre später 1976, beantragte die mittlerweile 1976, beantragte die mittlerweile 6 3jährige Paulo Kolo ihre Alterspension und gab dabei auch an, dass sie vom November 1941 bis Mai 1945 in den KZs Ravensbrück, Auschwitz, und Wittenberg inhaftiert gewesen war. Als Beweis legte sie die Bescheinigung der ITS Arolsen vor. Sie wollte also die KZ-Haft bei der Berechnung ihrer Alterspension berücksichtigt wissen. Auf Nachfolge beim Opferfürsorgeamt Linz erhielt die Pensionsversicherungsanstalt die Antwort: „Die durchgeführten Erhebungen haben aber einwandfrei ergeben, dass keine Haft aus politischen Gründen vorgelegen hat. Bei Aloisia Oppal, einer weiteren Frau mit dem grünen Winkel, deren Schicksal Köchl bekannt gemacht hat, dauerte der Kampf um ihre Entschädigung noch länger. Sie wollte und konnte nicht akzeptieren, dass ihr eine Entschädigung vorenthalten wird, weil sie den falschen Winkel getragen hat. Selbst die Witwenpension ihres aus politischen Gründen ermordeten Mannes wurde ihr entzogen. Nur die Entlassung ihres Sohnes, der sich für den Beamtendienst beworben hatte, konnte noch verhindert werden.

Eine gute Politisch wollte mit den Kriminellen nichts zu tun haben

Köchl liefert einen guten Einblick in ein Denken, dass auch die Organisationen der politischen Gefangenen übernommen hatten. Die Frauen mit den grünen Winkeln, die sogenannten Kriminellen, wurden stigmatisiert und eine gute Kommunistin oder Sozialdemokratin wollte mit ihnen nichts zu tun haben. Nun ist Köchl weit davon entfernt, die Frauen mit grünen Winkeln zu romantisieren. So zitiert sie verschiedene Eingaben, wo sich die Frauen als überzeugte Nationalsozialistinnen inszenieren m Straferlass zu bekommen. Doch Köchl erwähnt auch Beispiele, wo Frauen aus der politischen Linken mit den Frauen mit den grünen Winkeln zunächst einmal aus der Position herangehen. Dass beide Gruppen von den Nazis ihrer Freiheit beraubt wurden und es daher auch darum geht, dort gemeinsam und nicht gegeneinander zu überleben. Dazu gehört der von Köchl mehrmals lobend erwähnte Roman „Das Höllentor“ der politischen Gefangenen Anja Lundholm. Auch die Wiener Sozialistin Rosa Jochmann wird erwähnt, die mit ihrer in Auschwitz ermordeten Freundin Käthe Leichter im KZ gezielt den Kontakt zu den als Berufsverbrecherinnen und Asozialen stigmatisierten Frauen suchten. „Die beiden „Politischen“ wollten wissen, wie die „Anderen ins KZ gekommen sind“, schreibt Köchl. „Die Käthe und ich“, so Jochmann, „haben im Lager direkt Studien gemacht, Interviews mit den Straßenmadln“.

Man möchte wissen, ob die von Köchl genannten Beispiele die Ausnahmen waren oder ob einfach die anderen Spuren und Zeugnisse einer Kontaktaufnahme zwischen Frauen mit unterschiedlichen Winkeln nur vergessen worden sind. Ihr Buch regt dazu man, mehr zu Erfahrungen über das Leben und den Kampf der Frauen, die den falschen Winkel hatten. Es bleiben auch einige Fragen offen. Gerade in der politischen Linke hat den Kampf für die Aufhebung der Abtreibungsverbote eine große Rolle gespielt. Das Theaterstück Zyankali von Friedrich Wolf war damals sehr populär. Daher ist es unverständlich, warum Frauen, die als Abtreiberinnen verurteilt wurden, die also eine für die Frauen notwendige Dienstleistung erbrachten in einer Zeit, als das Verbot noch wirkte, auch in der Linken als Kriminelle galten. Eigentlich hätte es nahegelegen, Frauen, die wegen Abtreibung verurteilt wurden, als Opfer eines Gesetzes zu sehen, dass ja nach den Willen der Linken abgeschafft werden sollte. Dieser Aspekt bleibt bei Köchl ausgeblendet. Zudem hat sie kurz den Zentralrat der Asozialen erwähnt, der von Künstler_innen gegründet wurde. Die AG Marginalisierte gestern und heute (http://www.marginalisierte.de/index.php/component/content/?view=featured ), die in den letzten Jahren auch über Berlin hinaus eine wichtige Rolle beim Kampf gegen Diskriminierung gespielt hatten, wurde aber leider nicht erwähnt.

Peter Nowak

Sylvia Köchl
»Das Bedürfnis nach gerechter Sühne«
Wege von »Berufsverbrecherinnen« in das Konzentrationslager Ravensbrück
340 Seiten, 24.90 €
ISBN: 978385476-507-3

Link zum Buch:

http://www.mandelbaum.at/books/764/7683

Heute stellt Köchl ihr Buch in Berlin im K-Fetisch in der Wildenbruchstraße 86 um 20 Uhr vor

http://kfetisch.blogsport.de/2017/04/20/unbequeme-opferberufsverbrecherinnen-als-kz-haeftlinge-zwischen-ignoranz-und-diffamierung/

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Geschrieben von

Peter Nowak

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