Die Gentrifizierung frisst ihre Kinder

Haus Bartleby Die kapitalismuskritische KünstlerInnen müssen wegen hoher Mieten Neukölln verlassen. Zum Abschied gibt es eine Ausstellung und Diskussionen im Kunstraum Neukölln.

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Peter Nowak sprach mit Alix Faßmann (A.F.), Hendrik Sodenkamp (H.S.), Anselm Lenz (A.L.) und (B.N) Batty Ndiaye über ein ungewöhnliches Projekt der Generation „Ich möche lieber nicht“

1.) Wie würdest Du die Arbeit des Hauses Bartleby beschreiben?

A.F.: Das Haus Bartleby ist eine freie Assoziation von Journalistinnen, Buchautoren, Programmierern, Arbeitern, Dramaturgen, Ingenieuren, Biochemikern und Lobbyisten. Viele von uns waren Karrieristinnen, oder zumindest Leute, die mit den vielbeschworenen «Chancen» ausgerüstet sind, die bei Anpassung ans Konkurrenzsystem ein Leben im Wohlstand der 20%-Gesellschaft ermöglichen würden. Doch was macht ein Mensch, wenn er weiß, dass etwas im großen Maßstab falsch ist? Wenn er dieses Wissen hat? Wird er seinen Verstand einsetzen – oder das Falsche fortsetzen und unter den Schutzschirm der herrschenden Klasse kriechen? Das machen im Moment doch eh schon fast alle. Links-Sein ist heute die totale Karriereverweigerung, die 68er hattens vergleichsweise sehr leicht.

2.) Euer größtes Projekt war das Kapitalismustriubnal. Kannst Du es kurz beschreiben und wie ist der aktuelle Stand?

H.S.: Der Kapitalismus, zumindest wie wir ihn kennen, ist pleite – und jeder weiß es. Die europäischen Republiken und die EU sind weitgehend deligitimiert und das befördert im folgerichtigen Umkehrschluss die nationale Restitution. Der linksliberale Kampf gegen die Symptome eines schrumpfenden und zunehmend kollabierenden Systems sind wertlos, denn die Katastrophe findet bereits statt. Mit dem Kapitalismustribunal haben wir einen zivilgesellschaftlichen Gerichtshof konstituiert, aus dessen fairen Urteilen ein neuer Gesetzestext entsteht, was in der künftigen Ökonomie nie wieder geschehen darf, übrigens auch das Eigentumsproblem betreffend. Das Kapitalismustribunal ist in der Welt und wird von unserer Publikation «Das Kapitalismustribunal – zur Revolution der ökonomischen Rechte» begleitet, das im Passagen Verlag Wien erschienen ist. Wer das gelesen hat, dürfte keinen Zweifel mehr daran haben, was durch die Errichtung dieses Gerichtshofes geschehen ist, und welch dezidierte und systematische Grundlage es hat. Dahinter geht es nicht mehr zurück. Es hat einen Verlag, einen Ort und eine massive Abstützung durch die Koryphäen der Wissenschaft Europas und der Welt.

Als Partner haben wir unsere politischen Parteistiftungen um Unterstützung für die Finanzierung gebeten, inhaltlich konnten sie uns von Anfang an kaum weiterbringen. Die Arbeit unserer Parteistiftungen, die so schillernde Namen wie Rosa Luxemburg und Heinrich Böll tragen, hat sich leider weitgehend als dysfunktional erwiesen, was uns im größeren Maßstab nicht überrascht, jedoch uns persönlich vor Probleme in diesem Jahr stellt. Organisationen, die wir, die linke Intelligenz in der BRD erschaffen haben, befürworteten bei der Konferenz zur Prozessordnung im Haus der Kulturen der Welt am 01. und 02. Dezember 2015 auf einer Zweiteilung des Tribunals in eine Woche der Anklage und eine Woche der Urteilsfindung. Die Woche der Anklage fand vom 01. bis 12. Mai 2016, alle rund 400 eingegangen Anklagen gegen das derzeitge ökonomische System und die Gesetze, die es legalisieren, wurden unter den Augen der Weltöffentlichkeit und mit dutzenden der akzeptierstesten Wissenschaftlerinnen des Planeten verlesen und verhandelt. Interessant übrigens, dass die Parteistiftungen darauf bestanden, dass unsere eigene Arbeit nicht entschädigt werden dürfe. Danach stiegen unsere feinen Genossen Förderer aus, vermutlich, um 2017 vor dem Wahlkampf kein Kapitalismustribunal zu haben. Rot-rot-grün hat ja im derzeitigen deutschen Bundestag bereits eine Mehrheit, die Schulz-Option ist also ein ausgemachter Schmu, denn sie könnten bereits jetzt rot-rot-grüne Gesetze beschließen und etwa Hartz IV abwickeln oder die notwendigen Enteignungen vom Großgrundbesitzern in unseren Städten durchführen, damit es nicht zu Unruhen kommt. Die meisten zahlen inzwischen ja 20% oder 30% ihrer stagnierenden oder schrumpfenden Einkommen für Wohnungen, in Häusern, die längst gebaut und abgezahlt sind. Mancheiner buckelt bis zur Monatsmitte für niemand anderen, als seinen Landlord.

4.) Ihr seit nun ebenfalls von Gentrifzierung in Neukölln betroffen. Wie wirkt sich das auf Eure Arbeit aus und wie geht Ihr damit um?

B.N.: Neukölln ist unsere Heimat, hier leben und arbeiten wir für Europa. Dass unsere Büro- und sogar Wohnräume seit Beginn unserer öffentlichen Arbeit im Jahr 2014 durch ökonomisch motivierte Angriffe in Frage gestellt werden, ist einfach nur ein Menetekel für die liberale Demokratie. Am Morgen des 15. Januars wurde der Kinderwagen der Tochter von Alix Faßmann und Anselm Lenz im Hausflur angezündet. Der Eigentümer des Mietshauses mit 30 Wohnparteien war es wohl nicht. Zu solchen Mitteln muss er auch nicht greifen, denn der junge Erbe klagt auf Eigenbedarf, um seine eigene Wohnung zu erweitern, wobei inzwischen noch zwei oder drei weitere Wohnungen leer stehen. Er könnte sich seinen Wohntraum also auch in eine andere Richtung erfüllen, nach oben, unten, links, oder rechts, aber er will das Haus Bartleby weghaben, obwohl wir dort seit 12 Jahren wohnen und ihm unser erschuftetes Geld überweisen. Unsere Nachbarn hat er ja auch schon rausgekündigt, vermutlich, weil sie jung, gutaussehend und Phase-2-Abonenntinnen waren. Er selber wählt die Grünen und experimentiert mit Gesundheitssandalen. So funktioniert das. Den Spielplatz vor unserer Tür wird unsere Tochter wohl nicht mehr bespielen können. Hätten wir keine Rechtsschutzversicherung, hätte uns der sogenannte Rechtsstaat bereits aus unserem Zuhause abgeholt. Es gibt keine bezahlbaren Wohnungen mehr, wir müssten unseren Kiez, Neukölln und letztlich auch Berlin verlassen. Und dazu können wir heute nur sagen, dass das definitv nicht geschehen wird. Wir bleiben alle!

5.) Ihr habt sehr politisch unterschiedliche Referent_innen zu Euren Veanstaltungen eingeladen, von Hegemann (Volksbühne) zu Wertmüller (Bahamas). Ist diese politische Breite bei Euch Programm?

A.L.: Die Republik bröckelt und die linke Intelligenz ist demgegenüber in einem fürchterlichen Zustand, völlig aufgerieben durch dysfunktionales linksliberales Lifestyle-Gequatsche und, so aufrichtig sollte man sein, auch durch einen gewissen Braindrain nach rechts und ins Ausland. Jedenfalls: Alle Menschen sind gleichwertig! Von dort aus gehen wir weiter. Wie Alon Harel bei der Siebten Internationale, den Gesprächsabenden nach den Verhandlungstagen im Gerichtsgebäude sagte: Die Arbeit des Hauses Bartleby mit dem Kapitalismustribunal der avancierteste Vorstoß linken Denkens seit Jahrzehnten, die realisierte Utopie einer zivilgesellschaftlich getragenen, fairen Gerichtsbarkeit über die gesellschaftliche Entscheidung über die Produktionsweise. Dabei ist uns durchaus bewusst – Kontingenz –, dass es bei den Ergebnissen des Kapitalismustribunals nur darum gehen kann, den Kapitalismus ein letztes Mal vor seinen falschesten Feinden zu retten, was allerdings erhebliche Einschnitte in die Privilegien der herrschenden Klasse bringen muss. Warum so viele einladen? Nun, die Katastrophe hatch bereits stattgefunden, jetzt müssen die klügsten Menschen zusammenfinden. Unsere Absicht ist, sozusagen, die linke Gelehrtenrepublik. Hegemann ist der beste lebende linke Theatertheoretiker Mitteleuropas in der Tradition von Heiner Müller. Justus Wertmüller ein brillanter Polemiker und Entwickler wissenschaftlicher linker Diskurse, der seit zweieinhalb Jahrzehnten das plumpe Einmaleins der Kaderfunktionäre bei weitem überragt. Das kann man mal anerkennen. Der Club of Rome bietet seit 40 Jahren die besten und zutreffendesten Analysesysteme zum Thema des Erdklimas im Zusammenhang mit der Produktionsweise.

Interview: Peter Nowak

Abschiedsausstellung des Hauses Bartleby aus Neukölln mit Werken von Daniel Richter, Can Elbasi, Heiko Sievers, Rudi Kargus, Franziska Becher, Ingrid Gilcher-Holtey, Carl Hegemann, Ángela Lambea, Andreas Voigt, Stadtsoziologie der Humboldt-Universität zu Berlin, Haus Bartleby, Das Kapitalismustribunal u.v.a.

im Kunstverein Neukölln, Mainzer Str. 42

Samstag: 1.April, 17.30 Uhr, Diskussion mit Justus Wertmüller (Bahamas)

Finissage: Sonntag, 2. April 2017, 19.30 Uhr

http://www.kunstverein-neukoelln.de/haus-bartleby/

Link zur KünstlerInnengruppe:

http://hausbartleby.org/

Peter Nowak

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Geschrieben von

Peter Nowak

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