Die Hauptfigur ohne Namen

Checkpoint 16 In dem Stück, das heute das letzte Mal in Berlin gezeigt wird, geht es um die Ausbeutung des Elends durch liberale Künstler_innen und ihr Publikum.

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Fadi ist einer der vielen jungen Männer, aus der Westbank. deren Perspektive zwischen islamistischen Tugendterror, korrupten Fatah-Poltiiker_innen und israelischen Check Points endet. Der Weg nach Europa oder gar in die USA ist kaum möglich. Einfacher ist es da schon, den Verlockungen nachzugeben, die einen das Paradies im Jenseits versprechen, wenn schon die Erde nur Gewalt und Not bereit halten. Es gibt viele dieser Fadis. Einer ist die Hauptperson in der knapp 50miniütigen Theaterperformance „Checkpoint 16“, die heute das letzte Mal um 20 Uhr in der Vierten Welt im Neuen Kreuzberger Zentrum (NKZ) am Kreuzberger Kotti zu sehen ist. Der in Schweden in der postmodernen Kunstszene recht bekannte Regisseur Anders Carlsson leistet damit scheinbar auch ein Stück Selbstkritik. Er kam 2005 als junger Künstler, finanziert von schwedischen Instituten in die Westbank und lernte dort einen 15jührigen Jugendlichen kennen, der in einem Flüchtlingslager Blumen verkaufte. Carlsson freundete sich mit den Jugendlichen an, weil der besonders eloquent mit den Fremden seien es Tourist_innen oder NGO-Vertreter_innen kommunizieren konnte. Aber auch das Geschäft mit dem Blumenverkauf hatte der Jugendliche ein gutes Händchen. Manchmal machte er mehrmals den kilometerlangen Weg von seinen Heimatort, wo die gesamte Familie die Gärtnerei betreute bis zum Platz im Flüchtlingslager, in dem er sie verkaufte. Auch mit den israelischen Grenzsoldaten schien der junge Mann, den Carlsson den Namen Fadi gibt, meistens gut interagieren zu können. Mit einem hebräischen Spruch auf den Lippen zog er manchmal ohne Probleme an der Schlange der Wartenden vorbei. Doch es gab auch Tage, wenn der Trouble in der Gegend zugenommen hatte, da reichte ein hebräischer Spruch nicht, um die Grenze zu überwinden. Dann wagte Fadi auch gefährliche Schritte, wenn er die Checkpoints umgehen wollte und dafür Wiesen betrat, die Siedler_innen für sich beanspruchten. Ein gefährlicher Weg – denn dann könnte Fadi mit einen potentiellen Attentäter verwechselt und erschossen worden. Dafür zürnt Carlsson mit dem jungen Mann, weil der als sein Begleiter auch in Gefahr gerät, wenn er die Anwesen der Siedler_innen betritt. Der bringt ihn also in Gefahr, die er nicht eingehen will, wie der Künstler sagt. Fadis Leben oder auch die Frage, warum er diesen gefährlichen Umweg geht und nicht stundenlang vor den Checkpoints warten will und kann, macht sich Carlsson keine Gedanken. Er ist nur Material für sein Stück.

Warum hat Fahdi eigentlich keinen Nachnamen?

Wie wenig Carlsson seine Hauptperson interessiert zeigte sich schnell und berichtet er selber. 2006 produzierte er ein Theaterstück, das Fadi zum Gegenstand hat, ohne dass die Hauptfigur davon viel mit bekommen hat. Dabei heimste es zahlreiche Preise ein und wurde in den vielen Ländern der Welt gezeigt, auch in den USA. Carlsson bekam dafür den Olaf-Palme-Preis, Fadi aber hatte nicht einmal Nachnamen. Da wurde weiterhin die koloniale Praxis beibehalten, ihn mit den wohl noch ausgedachten Vornamen zu benennen. Ob Carlsson, der in dem Stück die künstlerische Ausbeutung des Elends der Welt darstellt, aber wirklich Selbstkritik zeigt, muss bezweifelt werden. Es hat wiederum etwas reißerisches, wenn er schreit und singt, wie sehr es dabei nur um ihn gegangen ist. Mehr noch aber kritisiert er ein linkes und linksliberales Publikum, das in solche Stücke geht und sich dabei ganz aufgeklärt und gut fühlt. Dass die Hauptperson, mit der mensch angeblich mitfühlt, nicht mal einen Nachnamen hat, wird gar nicht erwähnt. Dabei hätte der Name im Stück eine besondere Bedeutung. In der Vorbereitung nahm Carlsson nach mehr als 10 Jahren zu der palästinensischen Familie Kontakt auf, um zu eruieren, was aus seinen Protagonisten geworden ist. Erst da erfuhr er, dass der seit 2007 in israelscher Militärhaft sitzt. Carlsson ist dafür zu loben, dass er dabei keine bei diesem Thema sehr häufigen antiisraelischen Ressentiments bediente und in Ferndiagnose die Fama vom unschuldig Verfolgten erzählt. Carlsson bekennt ehrlich, dass er die Stichhaltigkeit der israelischen Anklage nicht beurteilen kann, nachdem Fadi mit anderen Jugendlichen über militante Aktionen gesprochen hat. Carlsson erinnert daran, dass in Fadis Welt an den Wänden nicht Fotos von Sportstars oder Musiker_innen zu sehen sind, sondern Gleichaltrige, die sich und andere in die Luft sprengten und jetzt als Märtyrer_innen verehrt werden und so immer wieder dafür sorgen, dass dieses Geschäft mit dem Tod Nachschub findet. Hier regt das Stück zum Nachdenken und zu kritischen Diskussionen ein. Im letzten Teil hält der Künstler eine Rede für die Freilassung Fahdis, nicht weil er von dessen Unschuld überzeugt ist, sondern weil er der Überzeugung ist, ein Junger Mensch soll nicht unter solchen Bedingungen leben müssen, egal was er getan haben soll.

„Auch wir lieben das Leben“

In der Mitte des Stücks zeigt Carlsson ein Video, auf dem ein Auszug aus Navid Kermanis Reisebericht nach Palästina im Frühjahr 2005 gelesen und performt wird. Der Bericht, der mit „Auch wir lieben das Leben“ überschrieben ist, steht in einer Reihe von Reiseberichten, die Kermani einige Zeit nach den islamistischen Anschlägen vom 11. September 2001 an einige Brennpunkte der Welt führte. Er ging der Frage nach, wie der Ausnahezustand nach den Anschlägen das Leben dieser Menschen verändert. Vor allem der Reisebericht aus Palästina sorgte für Aufsehen, weil er, der immer die israelische und die palästinensische Perspektive betonte, erstmals erklärte, dass ihm das bei dieser Reise nicht gelungen ist und das als Scheitern bezeichnet. Kermani, der immer ein Freund der israelischen Demokratie war, wehrt sich auch hier vehement dagegen, Israel mit einer Diktatur gleichzustellen, geschweige mit NS-Vergleichen zu überziehen. Seine Schlussfolgerungen sind gerade deshalb so eindringlich und sollten auch jene Menschen zum Nachdenken bringen, die auch die israelische Rechtsregierung bedingungslos verteidigen. Der Ausschnitt kann hier nachgelesen werden.

http://www.navidkermani.de/media/raw/Palaestina0405_Aufbau.pdf

"Das Leben in Israel gefiel mir so gut wie vor drei Jahren, aber ich konnte es nicht mehr genießen. Etwas in meiner Realität war eingebrochen wie eine Fassade aus Pappe. Etwas in mir sagte: Ihr seid Schuld, jene sind die Opfer. Sie sind nicht bessere Menschen als Ihr, aber die Besatzer seid Ihr, nicht sie.

Der Grund für diesen Wandel erfolgte, als Kermani am Checkpont auf dem Weg nach Gaza gefragt wurde, was er bei den Tieren wolle, ob er Tierarzt sei. Die Auseinandersetzung mit den Kermani aufgeworfenen Fragen böte Stoff für einen eigenen Abend. Dadurch geraten die Fragen von kultureller Ausbeutung von Not und Elend in aller Welt durch bürgerliche Künstler_innen und ihr bürgerliches Publikum in den Hintergrund. Und Fadi, der bis zum Schluss seinen Namen nicht bekommt, wird in einigen Jahren, wenn er die Militärhaft verbüßt hat, in ein Palästina zurückkehre, dass Kermani beim Gespräch mit seinen Schriftsteller kollegen Mahmud Darwisch bereits 2005 so klassifizierte.

"Darwisch ist tief pessimistisch. Mahmud Abbas sei ein ehrenwerter Mann, doch erstrecke sich seine Autorität nicht einmal bis zu seinem eigenen Ministerpräsidenten. Die palästinensische Gesellschaft zerfalle, nur damit deren Reste von den Islamisten aufgekehrt würden. Zu der äußeren Besatzung komme daher immer stärkerer Druck von innen, Zensur, Verbote, Angriffe. Als junger Mann habe er die Welt retten wollen, sagt Darwisch und lächelt spöttisch. Dann hätte er sich damit begnügt, Palästina zu befreien. Schließlich habe er sich mit der Westbank zufriedengegeben. Heute sei er schon froh, in Ramallah halbwegs unbehelligt leben zu können."

Peter Nowak

Weitere Infos zum Stück, das heute um 20 Uhr das letzte Mal von der Vierten Welt in der Adalbertstraße 4 aufgeführt wird:

http://www.viertewelt.de/archiv/produktionen/prod2016_17/checkpoint16.html

hier die Beschreibung des Wegs zu dem Kunstraum:

http://www.viertewelt.de/vierte-welt.html

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Geschrieben von

Peter Nowak

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