Die Hufelandstraße war mein New York

co-Berlin Noch bis morgen sind in der Galerie im ehemaligen Amerikahaus zwei Ausstellungen zu sehen, die genau zu einanderpassen.

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Nur knapp einen Kilometer lang ist die Hufelandstraße, heute Wohnsitz der neuen Bourgeoisie. Wer wissen will, wie die Straße vor ca.30 Jahren aussieht, hat noch die Gelegenheit dazu. Unter dem Titel “Die Hufelandstraße war mein New York“ sind in de Galerie Co im ehemaligen Amerikahaus die frühen Fotoarbeiten des Fotografen Harf Zimmermann zu sehen. Er fotografiere Studium die Häuser und Bewohner_innen der Straße, die damals schon einen gewissen bürgerlichen Flair hatte und angeblich „ Kurfürstendamm von Ostberlin“ genannt wurde. Von wem, wurde nicht angegeben. Tatsächlich aber kann mensch, wenn man die Fotos betrachtet, hier ein Refugium des Berliner Bürgertums in der nominalsozialistischen DDR sehen. Das Programm helle Sozialwohnungen für das Proletariat wurde schließlich in den Berliner Ostbezirken realisiert. So hatten die Bürgerhäuser in der Hufelandstraße, die Chance zu überleben. Wenn man sich die Menschen anguckt, die Zimmermann vor rund 30 Jahren fotografiert hat, fragt man sich, ob und wie sie der Kapitalismus zugerichtet hat, der nur wenige Jahre später, als Schocktherapie über die DDR hinein gebrochen ist. Gehörten die Menschen, die hier zu sehen sind, vielleicht sogar zu denen, die in den Wendewochen selber nach dem schwarz-rot-goldenen Kapitalismus und seinen großen Zampano Helmut Kohl gerufen haben? Oder haben sie versucht, eine wirklich sozialistische DDR gegen die autoritären SED-Strukturen zu erkämpfen? Es ist gerade der große Reiz, dass die Fotos diese Fragen offen ließen. Sie zeigten eine Straße, in der die Reklametafeln noch nicht alles dominierten. So passt der Titel besonders gut. Tatsächlich war die Hufelandstraße vor 30 Jahren eine Alternative zu jenen New York, wie es im unteren Bereich des C0 ebenfalls noch bis zum 7.Juli zu sehen.

Sozialkritischer Impuls in all seinen Bildern

Dort sind Fotos und Kurzfilme von William Klein ausgestellt, der vielen nur als Modefotografen bekannt ist. Die Exposition zeigt seinen künstlerischen Wertegang, in der avantgardistischen Kulturszene. Die übertrug er dann auf die Modefotografie. Doch auch die war nur eine Etappe seines vielfältigen kulturellen Wirkens, das in der Ausstellung sehr gut dargestellt wird. Hier wird auch sein grundsätzlich sozialkritischer Impetus deutlich benannt, der in jeder seiner Arbeiten zu sehen ist. In Zeiten des gesellschaftlichen Aufbruchs der 1960er Jahre wandte sich auch Klein den sozialen Bewegungen zu. Er filmte Studierendendemonstration. Wir sehen in der Ausstellung kurze Ausschnitte. Die Internationale ist kurz zu hören. Auch bis in die Gegenwart filmt und fotografiert Klein soziale Proteste, Streiks in Frankreich. Aber auch die legendären Boxkämpfe des US-Dissidenten Muhammed Ali werden von ihm gefilmt. Im letzten Raum setzt sich Klein mit der allgegenwärtigen Werbung und Reklame in der City von New York auseinander. In einem Kurzfilm sind nur die Reklamezeichen aneinandergereiht. Nike, Coca Cola, McDonald sind aber für Klein keineswegs ein Freiheitsversprechen, wie es auch heute manche Linke wieder herbei halluzinieren. Für Klein sind sie Zeichen einer kapitalistischen Zurichtung des Menschen. Dazu passt eine Beobachtung des afroamerikanischen US-Schriftstellers James Baldwin. Eine Auswahl seiner Schriften wurde 1977 unter dem Titel „Schwarz und Weiß“ im Rowohlt-Verlag gedruckt. Ich habe das Buch vor Jahren auf einem Flohmarkt erworben und erst gelesen, nachdem ich den beeindruckenden Film „I am not your Negro" (http://www.filmportal.de/film/i-am-not-your-negro_3c00f3d2e9844e6887d0daff25c0df2a) gesehen habe. In einem seiner Essays habe ich ein Zitat gefunden, das als Geleitwort dieser beiden so unterschiedlichen und doch so passenden Ausstellungen stehen könnte.

„Ich habe durchaus nichts gegen Cadillacs, Kühlschränke und all das andere Zubehör des amerikanischen Lebens, und dennoch vermute ich, dass es etwas viel Wichtigeres und viel Realeres ist, dass die Cadillacs, die Kühlschränke und Atombomben herstellt und das die Triebfeder zu dieser Produktion ist und vor dem wir offenbar die Augen verschließen, und das ist der Mensch.“ Und genau um den Menschen geht es in beiden Ausstellungen, in der Hufelandstraße ging es um den Menschen, der noch nicht vom Kapitalismus zugerichtet wurde, die Ausstellung von William Klein zeigt Menschen, die im Kapitalismus zu überleben versuchen und oft untergehen.

Peter Nowak

Link zur Ausstellung: William Klein:

http://www.co-berlin.org/william-klein

Link zur Ausstellung von Harf Zimmermann zur Hufelandstraße:

http://www.co-berlin.org/harf-zimmermann

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Geschrieben von

Peter Nowak

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