Die im Dunklen sieht man nicht

Dieter Schulz Er machte während der Wende als Bankräuber in Eisenhüttenstadt Schlagzeilen. Jetzt hat Robert Krieg eine beeindruckende Biographie über den Mann geschrieben

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Am 20. November 1990 wurde in Eisenhüttenstadt eine Bank überfallen. Die Tat erregte überregionales Aufsehen, weil es sich um den ersten Banküberfall auf dem Gebiet der DDR nach der Wende handelte. Die Tat ist längst vergessen. Doch jetzt hat Robert Krieg, der mit engagierten Filmen zum Thema Heimkinder und Nazi-Euthanasie bekannt geworden ist, über Dieter Schulz eine Biographie veröffentlicht. Schulz war an dem Überfall in Eisenhüttenstadt beteiligt, die Justiz sah im ihm sogar den Kopf der Tat. Kriegs Buch ist nicht nur kurzweilig zu lesen, sondern hat auch eine eminent gesellschaftskritische Komponente. Es ist kein Zufall, dass Robert Krieg sich für die Lebensgeschichte eines Mannes interessiert, der einen großen Teil seines Lebens in Heimen und Gefängnissen verbracht hat. „Schon seit Jahrzehnten beschäftigen mich die beiden Themen Marginalisierung und Devianz“, beschreibt Krieg die Motivation, die Lebensgeschichten eines Mannes aufzuschreiben, den viele lediglich als Kriminellen bezeichnen.

Fast wäre er SPD-Politiker geworden

Krieg hingegen zeigt Schulz als Menschen, der Hoffnungen und Träume hatte, der mehrmals Pläne für ein zutiefst bürgerliches Leben mit Frau und festen Beruf schmiedet und doch immer wieder scheitert. In Bochum ist Schulz sogar in die SPD eingetreten und wäre fast Kommunalpolitiker geworden. Doch wieder ist er geflohen und saß bald wieder im Gefängnis. Doch was ist das größere Verbrechen, sich als SPD-Politiker in den Aufsichtsrat einer Bank wählen zu lassen und damit auch finanziell ausgesorgt zu haben? Oder auf diesen Marsch durch die Institutionen zu verzichten und lieber mal eine Bank auszurauben? Auf Schulz ist Robert Krieg durch einen Pfarrer gestoßen, der seine früheren Arbeiten über Marginalisierte gelesen hatte. Dabei konzentrierte er sich auf die Generation der Kriegskinder, die traumatisiert waren, aber keine Möglichkeit hatten, sich damit auseinanderzusetzen. Im Buch wird beschrieben, wie der im heutigen Kaliningrad geborene Schulz das Ende der Naziherrschaft erlebte. Seine Eltern gehörten zu den wenigen, die nicht geflohen waren. 1948 musste er mit seiner Familie in die SBZ ausreisen und wurde wegen seiner in Kaliningrad erworbenen Russischkenntnisse bald zum Mittelpunkt einer Schmugglerszene im damals noch kriegszerstörten Leipziger Bahnhofsviertel. Diese Aktivitäten blieben auch der Polizei nicht verborgen. Schulz kam immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt und landete als schwer Erziehbarer in verschiedenen Heimen. Schnell wird klar, dass auch die DDR-Behörden mit dem jungen Mann, der sich bald den Ruf eines Ausbrecherkönigs verdiente, überfordert waren. Auch durch die Adoption eines Ehepaar mit SED-Mitgliedschaft wurde Schulz nicht zum braven DDR-Bürger. Als er wohl eher durch Zufall in eine Demonstration rund um den 17. Juni 1953 geriet, war klar, dass er nicht in der DDR bleiben konnte. Ihm gelang die Flucht blieb Schulz ein Außenseiter, der immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt kam. Angenehm ist, dass Krieg diesen Mann weder dämonisiert noch heroisiert. Er ist durchaus kein Sympathieträger. So hisste er bei einen Aufstand in einem Heim für Schwererziehbare in der DDR eine Nazifahne. Auch später wird er seine Interessen notfalls auch mit Gewalt gegen seine Umgebung durchsetzen und dadurch immer wieder Menschen verletzen, die ihn vertraut hatten, auch seine Frau und seine Kinder. Aber in der Erzählung von Krieger wird auch deutlich, dass das gesellschaftliche Umfeld einen wie Dieter Schulz wenig Chancen gibt. In der DDR wollte sich der junge Schulz nicht anpassen. In der der BRD versuchte er verzweifelt, seinen Platz in der bürgerlichen Gesellschaft zu finden. Aber er hatte letztlich keine Chance. Für den Banküberfall in Eisenhüttenstadt, der Schulz Geld für seinen Lebensabend bringen sollte, brachte ihn noch einmal eine längere Haftstrafe. Im Gefängnis erkrankte er schwer. Seine letzten Lebensjahre konnte Schulz in seiner Geburtsstadt Kaliningrad verbringen, wo er Menschen gefunden hatte, die ihm zuhörten. Noch zu Lebzeiten veröffentlichte ein Freund die Gefängnisaufzeichnungen, die Schulz die ganzen Jahre akribisch geführt hat. Sie sind auch Grundlagen dieses lesenswertes Buches, der das Leben eines Mannes höchst subjektiv nacherzählt, für den sich eigentlich in der Gesellschaft niemand interessiert.

Bert Brecht texte in der Dreigroschenoper:

Denn die einen sind im Dunkeln
und die andern sind im Licht
und man siehet die im Lichte
die im Dunkeln sieht man nicht.
Dieter Schulz gehörte zu den Menschen im Dunkeln. Robert Krieg sorgte posthum dafür, dass ihn zumindest einige sehen.

Peter Nowak

Robert Krieg • Blütenträume • Rhein-Mosel-Verlag, Zell/Mosel, 228 Seiten • Broschur • ISBN 978-3-89801-441-0 • 12,00 EUR

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Geschrieben von

Peter Nowak

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