Die Reise durch ein sehr bürgerliches Land

Winter Ade Der Film zeigt das über das Leben der DDR, was die Aufarbeitungsindustrie seit 1989 nicht einmal erahnen kann.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Wer im Potsdamer Barbarini-Museum aus dem Fenster blickt, bekommt von einen Eindruck von der revanchistischen Stadtentwicklung, die aus Potsdam eine preußische Puppenstube machen und alle Bauten aus der DDR zerstören und abreißen will. Jetzt sind die bereits gesperrten Gebäude der ehemaligen Fachhochschule dran, die Jahre lang verfallen gelassen wurden, damit sie so abstoßend aussehen und alle den schnellen Abriss fordern. Vor einigen Wochen haben noch einmal einige Oppositionelle einen Besetzungsversuch des FH-Gebäudesversucht. Die Räumung erfolgte schnell .Aberdie Besetzung hat auch deutlich gemacht, dass esinPotsdam noch Widerstand gegen die revanchistische Bourgeoisie gibt, die nach 1989 aus dem Westen in die DDR einmarschiert ist und die mit ihren Baukonzepten auch Rache an der DDR nehmen will. Es soll nichts mehr an den Versuch erinnern, ein Deutschland ohne BILD und Krupp aufzubauen. Ein Bild des US-Malers Hopper in der aktuellen Ausstellung über die US-Moderne in dem Barbarini-Museumpasst auch für die Potsdasmer Preussenkulisse gut. Ein Mann sitzt allein vor einer Häuserfassade. Es ist das Sinnbild des auf sich selbst zurückgeworfenen bürgerlichen Subjekts. Es gibt kein Leben in den Bild von Hopper und auch nicht in der Preussen-Puppenstube in der Potsdamer Innnenstadt. Dafür wurde sogar der Baum wieder neu gepflanzt, an denen die Bürger_innen in der preußischen Monarchieihre Bitten dranheften konnten. Wenn der König gnädig war, hat er manche Bitte erfüllt. Wir lesen auf dem Begleittext, dass heute ein solches Prozedere nicht mehr nötig sei. Schließlich gäbe es heute andere Möglichkeiten, die eigenen Anliegen durch Petitionen voranzutreiben. Die Versuche, sich gegen die revanchistische Stadtentwicklung zu wehren, zeigten aber, wie begrenzt diese Versuche sind. Eine geplante Befragung der Potsdamer Bevölkerung zu den Plänen wurde verboten, weil damit angeblich in irgendwelche Rechte eingegriffen würde. Die Besetzung wurde schnell von der Polizei beendet und so bliebe auch heute den Bürger_innen nicht viel mehr als der Baum mit den Fürbitten. Doch der heutige König ist nicht gnädig, sondern orientiert sich an den kapitalistischen Verwertungsbedingungen. Doch es gibt ganz in der Nähe dieser revanchistischen Stadt noch einen Ort, der in besonderen Weise die Geschichte der DDR widerspiegelt: Das Potsdamer Filmmuseum. Auf der Rückseite des Gebäudes ist noch ein kleiner schwarzer Rahmen zu sehen. Er hat es auf das Cover des kürzlich im Dampfboot-Verlag erschienenen Buches „30 Jahre Antifa in Ostdeutschland“ gebracht. Wo jetzt der Rahmen zu sehen ist, hing eines der Flugzettel mit der Aufschrift „Warnung, Neonazis auch in der DDR“, die die Autonomen Potsdamer Antifaschist_innen in den frühen Morgenstunden des 7.November 1987 in ganz Potsdam geklebt hatten. Damit hatte eine staatsunabhängige Antifa vor fast 30 Jahrengezeigt, dass sie auch unter den Augen von Stasi und Polizei agieren kann.

Eine Reise durch ein winterliches Land

Im Kino des Filmmuseum werden häufig Filme gezeigt, die viel mehr über die DDR aussagen, als all die Forschungsverbände und die boomende Aufarbeitungsindustrie auch nur erahnen lassen. Am vergangenen Donnerstag war dort Winter ade zu sehen, mit dem die Regisseurin Heike Misselwitz international bekannt wurde. Der Film beginnt an einen Bahnhof in Zwickau, wo die Regisseurin 1947 im Krankenwagen geboren wurde. 40 Jahre später startet sie dort für eine Zugreise durch die winterliche DDR, um ganz unterschiedliche Frauen zu treffen. Die junge Punkerin gehört ebenso dazu wie die Seniorin Margarethe Busse, die sich auf ihren 60jährigen Hochzeitsjubiläum noch mindestens fünf Lebensjahre wünscht, aber noch vor Fertigstellung des Films gestorben ist. Der Film bekam auf dem Leipziger Dok-Filmfestival die Silberne Taube als Auszeichnung, erfuhr aber Widerstand von Teilen der DDR-Kulturbürokratie, die ihn partout nicht im DDR-Fernsehen zeigen wollten. Es war dann allerdings die SED-Bürokratie um Kurt Hager, die in den Film verteidigte, erinnert sich Misselwitz am Donnerstag im Potsdamer Filmmuseum. Schließlich wurde er doch im November 1989 noch im DDR-Fernsehen unzensiert gezeigt, zwei Tage später war er dann auch im BRD-Fernsehen zu sehen. Doch bald erlahmte das Interesse an einen Film, der das Leben in der DDR jenseits ideologischer Schablonen zeigt. Es ist ein sehr ehrlicher Film, gerade weil die SED und ihre Propaganda nur eine sehr zweitrangige Rolle in dem Film spielt. Sie kommt eigentlich nur zwei Szenen vor und die zeigen auch, dass ihre Macht viel beschränkter war, als heute viele glauben lassen. Den festlichen Empfang des ZK der SED zum Internationalen Frauentag am 8.März 1987 sehen wir im Film durch Filter von mehreren Fernsehgeräten, über die die Zeremonie übertragen wurde. Hier wird besonders deutlich, wie stark die Realität der bürokratischen Speerspitze der Arbeiter_innenklasse und der Lebensrealität vieler Frauen auseinanderklafften. Während hier verdiente Arbeiterinnen geehrt wurden, erzählten die Interviewpartnerinnen im Film über die realen Sorgen und Probleme im Nominalsozialismus. So berichtet die Arbeiterin Christine Schiele, welche Probleme sie mit ihrer behinderten Tochter hat, eine Wohnung zu finden. Die Punkerinnen Kerstin und Anja erzählen in den ersten Szenen noch recht vergnügt von ihrer großen Verweigerung und dass sie keine Bock auf die Schule haben. In einer späteren Szene ist die Freude aus ihren Gesichtern verschwunden. Sie sind auf den Weg zu einem Jugendwerkhof, wo in der DDR Menschen, die sich nicht in die Gesellschaft eingliedern wollten, gefügig gemacht werden sollte. Sie hatten ähnliche Funktionen wie die Jugendheime in der BRD. Die Jugendwerkstätten sind also keineswegs mit NS-Einrichtungen zu vergleichen, wie es heute in der BRD gerne gemacht wird. Sie sind aber auch meilenweit von den Reformvorstellungen entfernt, mit denen Pädagoge wie Anton Makarenko in der frühen Sowjetunion eine Alternative zur bürgerlichen Erziehung schaffen wollten.

Film zeigt, wie viele bürgerliche Vorstellungen es in der DDR kam

Überhaupt zeigt der Film in fast jeder Szene, wie viele bürgerliche Vorstellungen in den Köpfen der meisten Interviewten zu finden waren. Nicht nur bei Margarethe Busse, die von den Zeiten schwärmte, als sie als Hausmädchen bei Reichen arbeitete. Ob in der Tanzschule oder in der Puppenklinik, überall wird ein konservatives bürgerliches Familienideal gefrönt und der SED fiel nichts Reaktionäreres ein, als zur750 Jahresfeier Berlins Teenagern im Ostberliner Jugendtouristenhotel Egon Schultz eine Nacht in einen im französischen Stil eingerichteten Hochzeitszimmer zu spendieren. Das ist meilenweit entfernt von den feministischen Vorstellungen einer Alexandra Kollontai, die in der frühen Sowjetunion gegen die autoritäre Institution der Ehe mobilmachte. In Albanien gab es 1967/68 eine Kulturrevolution, die wesentlich von Frauen in- und außerhalb der Partei getragen wurde. Sie gingen von der Prämisse aus, dass auch einem nominalsozialistischen Staat, die Pfaffen in Sachen Ehe und Familie noch immer das letzte Wort haben und die Macht der Männer zementiert. Der Film zeigt, wie dringend eine solche Kulturrevolution auch in der DDR nötig gewesen wäre und wie sehr sie die SED-Bürokrat_innen gefürchtet haben. Und 1989 kam nicht die Kulturrevolution sondern die Wende in den Kapitalismus.

Winter ade konnte nur in der DDR gedreht werden

Der Film zeigt aber auch, wie in einer Gesellschaft, in der Großteil der Frauen im Lohnarbeitsprozess standen, deren Selbstbewusstsein gewachsen war. Scheidungen waren Alltag und die Abhängigkeit von den Männern war nicht mehr so groß. Besonders deutlich wurde das bei Erika Banhardt zum Ausdruck, mit deren Interview der Film schließt. Sie leitet ein Kinderheim und hatte politische Funktionen, die nicht weiter benannt werden, aber deutlich machen, dass sie staatsnah war, wie nach 1989 die diffamierende Bezeichnung für alle Menschen hieß, die ihren Widerstand gegen die DDR nicht nachweisen konnten. Wer mit der BRD konform ging, wurde allerdings nie als systemnah bezeichnet. Wenn man den Film heute sieht, fragt man sich schnell, wie haben die Frauen den Umbruch nach 1989 erlebt und verarbeitet? Wie hat sich ihr Leben danach weiterentwickelt? Es wäre doch eine Herausforderung, wenn Misselwitz sich 30 Jahre später noch einmal auf die Reise begeben und die Frauen heute noch einmal interviewen könnte. Es wäre sicher ein genau interessanter Film wie Winter Ade. Doch wir wissen auch, ein solcher Film konnte nur in der DDR gedreht werden. Er passt nicht ein System, in dem auch ein Film nur eine Ware ist, die sich schnell verwerten und amortisieren muss. Winter Ade wie auch die Langzeitdokumentation „Die Kinder von Golzow“ zeigen, dass selbst in der nur nominal sozialistischen DDR schon Spurenelemente einer nachkapitalistischen Gesellschaft aufschienen. Was wäre erst ein einer rätebasierten kommunistischen Gesellschaft auch auf dem Gebiet der Kunst möglich, denkt man, wenn man nach der Filmaufführung durch die revanchistische Potsdamer Preußen-Kulisse geht.

Peter Nowak

Link zur Film-Homepage:

http://www.filmportal.de/film/winter-ade_288ebdb9fb3b43ddb18e49e1f003ca7a

und hier:

http://www.defa-stiftung.de/DesktopDefault.aspx?TabID=412&FilmID=Q6UJ9A005EHU&qpn=0

Link zum empfehlenswerten Buch "30 Jahre Antifa in der DDR" auf desen Cover der Rahmen an der Rückseite des Potsdamer Filmmuseums abgebildet ist, wo vor 30 Jahren die Autonome Antifa Potsdam Flyer geklebt hat:

https://www.dampfboot-verlag.de/shop/artikel/30-jahre-antifa-in-ostdeutschland

Hier der Link zur aktuellen Ausstellung im Museum Barbarini:

https://www.museum-barberini.com/von-hopper-bis-rothko/

Am 27.8. wird die finnische Regisseurin Kirsi Liimatainen mit Misselwitz im Filmmuseum Potsdam über Mühen des Alltags in der DDR diskutieren. Sie hat Winter Ade 1988 in der DDR gesehen und wurde dadurch in ihrer künstlerischen Arbeit (https://www.freitag.de/autoren/peter-nowak/sie-haben-den-traum-vom-sozialsimus-bewahrt-1) beeinflusst.

http://www.filmmuseum-potsdam.de/Pein.html

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden