Die Unwirtlichkeit winterlicher Städte

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Was durch Schnee und Eis unpassierbare Straßen und das Chaos im Berliner Nahverkehr mit dem Kapitalismus zu tun

Heute schon über schneeglatte Straßen geschlittert oder durch Stapfen durch getauten Schnee nasse Füße bekommen?Dann schnell in die S-Bahn gestiegen. Aber die hat mal wieder 10 Minuten Verspätung, und aus den Lautsprechern wird ihnen für ein Verständnis gedankt, dass sie längst nicht mehr aufzubringen bereit sind. Zumindest in Berlin ist das dieser Tage der ganz normale Alltag.

Doch was tun, außer schimpfen? Schließend kann sich gegen Naturereignisse niemand wehren. Doch da beginnt schon das erste Missverständnis.

Tatsächlich gehören Schnee und Eis zum Winter in Mitteleuropa, aber die fast unbegehbaren Straßen sind ebenso wie das S-Bahn-Chaos die Folge einer Politik, die sich an der Kapitalverwertung und nicht an den Interessen der Menschen orientiert.

Vor zehn Jahren standen in Berlin noch eine Reihe studentischer Arbeitskräfte bereit, die von Oktober bis März für das Schneeschippen undStreuen bezahlt wurden. Wegen der Sparpolitik und einer Serie milder Winter wurde ihre Zahl immer mehr reduziert. Das ist der Grund dafür, dass aus einen Winter ein Eis- und Schneechaos wird.

Auch die Ursachen für das Berliner S-Bahn-Chaos kann mittlerweile jeder Gewerkschafter präzise lokaliseren. In den letzten Jahren hat sich der Bahnkonzern fit für die Börse gemacht. Nicht mehr die allgemeine Versorgung sondern die Kostensteigerung war unter Bahnchef Mehdorn die oberste Maxime. Das Personal wurde massiv reduziert, die Wartung der eingesetzten Züge wurde auf ein Minimum reduziert. Ein Großteil der für die Reparaturen notwendige Infrastruktur wurde eingestampft.

Es gehörte zweifellos zu den Errungenschaften der Zivilisation, dass wir uns durch technische Hilfsmittel vor den Unbilden der Witterung und Natur schützen können. Eine allein an Kostensenkungen ausgerichtete Politik hingegen setzt die Menschen wieder der Natur aus, in der nur der Gesündeste und Vermögendste die besten Chancen hat.

Invielen Städten konnten in den letzten Wochen wegen der durch Eis und Schnee unpassierbaren Straßen alte oder kranke Menschen ihre Wohnung nicht verlassen. Wenn sie nicht auf hilfsbereite Verwandte oder Nachbarn zurückgreifen können, fehlten ihnen wichtige Medikamente und Lebensmittel.

Wer auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen ist und mehr Zeit durch Wartei auf einen Zug verbringt, erleidet massive Eingriffe in seine private Lebensplanung.

Doch selbst die richtige Erkenntnis, dass unpassierbare Straßen und das S-Bahn-Chaos kein Naturgesetz sondern Folgen des Kapitalismus sind, verändert noch nichts. Dochwarum nicht in den nächsten Wochen einen eintägigen Nulltariftag für den Berliner Nahverkehr ausrufen? Mit der Begründung, dass durch das ständige Ausfallen der Züge verbundene Warterei nicht mehr zumutbar ist, weigern wir uns, dafür auch noch zu bezahlen. Dann könnte sich die vielpropagierte Kooperation zwischenBahnkunden und –gewerkschaften in der Praxis bewähren. Warum rufen die Gewerkschaften ihre Mitglieder nicht dazu auf, während einer solchen Nulltarif-Aktion keine Ticketkontrollen durchzuführen. Ein solcher Aktionstag würde zumindest etwas bringen: das S –Bahn-Chaos würde als Folge der Politik und nicht mehr als Naturgesetz wahrgenommen.


Peter Nowak

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Peter Nowak

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