Den Verhältnissen ihre Hymne vorspielen

DerFirmenhymenhandel Das erste von Thomas Ebermann geschriebene Theaterstück verbindet Gesellschaftskritik mit Humor. Unbedingt empfehlenswert!!!

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Satire oder Realität? Nein, um eine Realsatire handelt es sich, wenn VW-Beschäftigte trällern: "Wir sind VW, wir sind okay“. Und wenn dann der von den Nazis gegründete Konzern mit den Zeilen besungen wird: „Wir geben Gas“, dann wundern man sich schon nicht mehr über soviel Geschichtsvergessenheit. Es ist halt Deutschland 2012 und das VW-Liedchen steht am Beginn eines Theaterabends, der wie kaum ein anderer die deutschen Verhältnisse auf die Melodie bringt. Geschrieben hat es Thomas Ebermann, der regelmäßigen Leser_innen der Hamburger Zeitschrift „Konkret“ als radikaler Kritiker der kapitalistischen Verwertungszwänge besonders in ihren deutschen Ausprägungen bekannt ist. Dass Ebermann auch mal parteipolitisch aktiv war soll hier im Gegensatz zum Großteil der anderen Medien als Jugendsünde großzügig verschwiegen werden. Denn, selbst wenn Ebermann hier mal auf der falschen Fähre war, und vielleicht auch andere mit darein gezogen hat, er hat es schon längst wieder gut gemacht.

Denn es ist Ebermanns besondere Kunst, diese deutschen Verhältnisse auch dort zu entdecken, wo man sie gemeinhin nicht vermutet. So hat Ebermann auf einer Zugfahrt in der Zeitung gelesen, dass das Singen von Firmenhymnen die Arbeitsproduktivität erhöht. Es handelte sich dabei nicht um einen Beitrag im Satiremagazin Titanic sondern in einem Artikel in einem völlig humorfreien Blatt. Daraufhin hat Ebermann verschiedene Firmenhymnen von bekannten Künstler wie Rocki Schamoni, Bernadette de la Hengst singen lassen und drum herum ein Theaterstück geschrieben.

Die jungen „Kreativen“ und Mister Tengelmann

Die Story ist recht einfach. Zwei junge Männer, die wohl in dem Gewerbe arbeiten, dass man Kreativwirtschaft nennt, versuchen einem Firmenchef eine Hymne schmackhaft zu machen, der dem Talkshowdauergast Wolfgang Grupp nachempfunden ist . Er wettert gegen Manager ohne Unternehmenshaftung, wie manche verkürzte Kapitalismuskritiker_innen und wird deswegen sogar schon mal selbst von einem Oskar Lafontaine als ehrlicher Kapitalist gelobt. Gleichzeitig geriert er sich als Rebell, der aus dem Unternehmerverband ausgetreten ist, weil er dessen Kompromisse mit der Gewerkschaft nicht mitträgt, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für entbehrlichen Luxus hält und den gibt es für einen wie Grupp zumindest für seine Lohnabhängigen nicht. Bezahlt wird nur nach Leistung, lautet seine Devise und er ist stolz auf den Erfolg, der darin besteht, das der Krankenstand in seinen Unternehmen zurückgegangen ist. Ob der Grund darin liegt, dass die Leute tatsächlich weniger krank werden oder ob sie sich aus Angst vor Entlassung mit Medikamenten vollpumpen, ist deren Privatsache, wie der Grupp-Imitator mit offenem Zynismus betont.

Bei so einem Mann muss man sich schon etwas einfallen lassen, um ihm eine Firmenhymne aufzuschwatzen, die die Arbeitsproduktivität noch mehr erhöhen soll. Der Kontakt ist auch nur über die Unternehmertochter zustande gekommen, die in ihrer Zeit als Studentin mal Adorno und Marcuse gelesen hat gemeinsam mit der einen Hälfte des Teams, das die Hymnen entwirft.

Hier wird von Ebermann unverkennbar auf die vielen Kurzzeitlinken angespielt, die die an Universitäten und in der politischen Arbeit erworbenen Fähigkeiten nun im Interesse der Optimierung des kapitalistischen Systems nutzen. Nicht von ungefähr wird die Schlichtung beim Projekt Stuttgart 21 als ein besonders gelungenes Beispiel von Politik im Interesse der Wirtschaft angeführt. Es wird nicht nur in dem Theaterstück, sondern auch in Handbüchern der Managerschulung Analysen über dieses gelungene Beispiel geben, Interessen von Politik und Wirtschaft so durchzusetzen, dass noch die schärfsten Kritiker den Eindruck haben, es handele sich um ein besonderes Stück Demokratie.

In der durchaus humoristischen Demaskierung dieser (Vor)urteile, die auch in der Linken und der linken Bewegung weitverbreitet sind, liegt die Stärke dieses Theaterabends. Die eingespielten Firmenhymen von Tengelmann, Airberlin und vielen anderen Unternehmen sorgen zudem für einen zusätzlichen Humorfaktor. Wenn einen auch manchmal das Lachen im Hals stecken bleibt, wenn da geträllert wird:

„Ob Kaffee, Bohnen oder Fertiggerichte/ Wir alle schreiben Geschichte/ Wie das Herz braucht das Blut/ Brauchen wir unsere Kunden"

Leider wird keine Hymne ausgespielt

Allerdings vermeidet das Stück auch, die trällernden Angestellten nur als Opfer darzustellen. Schließlich ist eine Sorge des Unternehmers, dass die Hymne die Vorlage für Satiren geben könnte.

Gesellschafts- und Kapitalismuskritik vom Feinsten liefert der Theaterabend, nur eine kleine Enttäuschung bleibt am Ende. Keine Hymne wird voll ausgespielt. Auch nicht der gelungene Beitrag, den der Kolumnist und ständige Konkret-Autor Horst Tomayer für die 35 Stunden-Wochen-Kampagne der Gewerkschaften getextet hat und die man hier nachlesen kann: http://sprusko.blogspot.de/2006_08_01_archive.html

Peter Nowak

Der Firmenhymnenhandel: Text/Regie: Thomas Ebermann. Mit: Pheline Roggan, Robert Stadlober, Tillbert Strahl-Schäfer, Rainer Schmitt. Musik: Bernadette La Hengst, Honigbomber, Schorsch Kamerun, Jens Rachut, Harry Rowohlt u. a. Musikalische Leitung: Ted Gaier, Thomas Wenzel.

Aufführungen: 10. 12., um 20 Uhr im Heimathafen Neukölln, Berlin

http://www.heimathafen-neukoelln.de/spielplan?url=Firmenhymnenhandel

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Geschrieben von

Peter Nowak

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