Djihad. Terror und Martyrium

Milo Rau Während der zweiten Folge der Berliner Gespräche des Schweizer Künstlers übt sich ein Imam in einer Surenexegese. Dafür hätte man sich mehr kritische Fragen gewünscht.

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Wer den Begriff „Berliner Gespräche“ hört, denkt an sicher an eines der vielenTalkrunden,bei denen mehr oder weniger bekannte Politiker_innen zu Themen befragt werden, die gerade auf der politischen Agenda stehen.DerSchweizer Theaterregisseur Milo Rau kopiert mit seiner neuen Talkrunde dieses Format. Die zweite Folge seiner Berliner Gespräche fand am Samstagabend in der Schweizer Botschaft in Berlin statt. In einen relativ kleinen Raum saßdas Publikum. Um einen runden Tisch auf einem Podest über dem eine helle Leuchte für gleißendes Licht sorgte, waren die Gesprächspartner gruppiert.

„Djihad. Terror und Martyrium" hieß das Thema, zu demder französische Islamwissenschaftler Gilles Kepel, der belgisch-libanesische „Politaktivist“Dyab Abou Jahjah undder belgische RechtsanwaltChristopheMarchand eingeladen waren.

Natürlich spielte die aktuelle islamistische Präsenz in Nordafrika und Syrien eine zentrale Rolle bei der Debatte. Dazu hat Kepel einige zutreffende Anmerkungen zu Beginn der Rundegemacht. Er sieht in dem Kampf eine Auseinandersetzung zwischen der russisch-syrischen Achse und dem mit den USA verbündeten Saudi Arabien. Um Menschenrechte geht es dabei genauso wenig wie um die Interessen der in der Region lebenden Bevölkerung. Besonders die zivilgesellschaftlichen Gruppen, die in Syrien den Widerstand begannen, sind von dieser Entwicklung überrannt worden.

Erstmals klappt das Feinbild Israel nicht mehr

Kepel wies auch auf die Verwirrung hin, die Auseinandersetzungen in Syrien in der arabischen Welt ausgelöst haben. Es ist ein innerarabischer Kampf, bei denen neue Allianzen geschmiedet und alte Verbindungen gelöst werden. Während sich die Hamas auf die Seite der Assad-Gegner_innengeschlagen hat, kämpfen die Hisbollah undihre iranischen Förderer weiter auf Seiten des Regimes. Einen positiven Nebeneffekt erwähnte Kepel auch. Erstmals gibt es einen großen Konflikt im Nahen Ost, bei dem Israel nicht als Ersatz-Feindbild dienen kann. Jahrzehntelang haben die meist autoritären arabischen Herrscher die sogenannte Wut der Straße gegen Israel gelenkt. Das ist im Syrien-Konfliktnicht möglich. Beginnt hier eine Entwicklung, die Beobachter_innen der politischen Situation schon mit den arabischen Aufständen erhofften? Der Fokus in diesen Ländern könne endlich auf die Menschenrechtsverletzungen der autoritären Herrscher in den arabischen Ländern gerichtet werden und nicht immer durch den Verweis auf den Blitzableiter Israel abgelenkt werden. Die Frage wurde nicht gestellt. Denn schon erläuterte Rechtsanwalt Marchand, wie die islamistischen Anschläge vom 11. September die Rechtssprechung veränderte. Danach konnten Menschen, die in als Terrororganisationen bezeichneten Organisationen irgendwo in der Welt aktiv waren, in ihren Heimatländern bestraft werden. Darunter sind viele, die sich freiwillig irgendwelchen islamistischen Gruppen anschließen.

Im Libanon Hisbollahkämpfer, in Belgien Sozialdemokrat?

Gehört die Hisbollah ebenfalls dazu? Dyab Abou Jahjah, einer der Teilnehmer der Berliner Gespräche war auf einem Foto als Hisbollah-Kämpfer beim letzten israelisch-syrischen Krieg zu sehen. Das sei seine Pflicht als Libanese, erklärte er dazu nur knapp. In Belgien habe er eine andere Rolle. Er baue eine panarabische Partei auf, die gleiche Rechte für die arabischen Migrant_innen in Belgien einfordere. Abou Jahjah betonte, dass er aus Linken komme und sein Engagement zur Gleichberechtigung beitrage. Nachfragen über sein politisches Engagement in Belgien oder im Libanon für die Hisbollah vermisste man doch. Dabei hätte sich doch zumindest die Nachfrage angeboten, wie Jahjah die massive Unterstützung der Hisbollah für das syrische Regime und ihre antisemitische Agenda bewertet. Dafür übte sich Abou Jahjah in kruder Volkskunde. So hätten schon belgische Flamen vor 80 Jahren als Freiwillige im Spanischen Bürgerkrieg und später im zweiten Weltkrieg gegen die Sowjetunion gekämpft. Aktuell würden einige flämische Konvertiten eben für den internationalen Djihad die Waffe in die Hand nehmen. Da hätte man schon erwartet, dass Milo Rau oder einer seiner anderen Gesprächspartner da einiges klarstellt. Es waren Linke der verschiedenen Fraktionen, die die spanische Republik vor den von den Nazis und Mussolini unterstützten Franco-Faschisten verteidigten. Es waren flämische Nazikollaborateure, die sich am deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion beteiligten. Manche wurden zum Dank in Deutschland eingebürgert und blieben es auch nach 1945. Die politischen Nachfolger der belgischen Nazikollaborateure fanden nach 1945 im Vlaams Block ihre neue politische Heimat, der aktuell als VlaamsBelang Teil der europäischen Rechten ist. Mit den belgischen Djihadisten will der Vlaams Belang nicht unbedingt in Verbindung gebracht werden. Schließlich pflegen sie die Migrant_inen aus dem arabischen Raum als Feindbild. Zugunsten von etwas mehr Aufklärung in den Berliner Gesprächen hätte man sich die Auslegung der Messer-Sure im Koran, die zum Mord an Ungläubigen ausruft, durch einem ehemaligen Iman durchaus abkürzen können.Denn die interessantere Frage ist doch nicht, was in dieser oder jener Koran—Sure steht, sondern warum sie hier und heute Menschen zum Djihad motiviert. Da wäre doch eher die Frage interessant, wer sind die modernen Interpreten und welche politische und religiöse Agenda haben sie.

Peter Nowak

Link zu dem Berliner Gespräch:

http://www.afteramerica.net/?p=29

Zu Milo Raus Kulturunternehmen:

http://international-institute.de/

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Geschrieben von

Peter Nowak

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