Dokumentarist des Thatcherismus

William Raban Im Kino Arsenal sind heute noch einmal einige Arbeiten des britischen Experimentalfilmers zu sehen, der die Verheerungen der Thatcher-Ära einfing.

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Wenn wir an das britische sozialkritische Kino denken, fällt uns sofort Ken Loach ein. In Filmen wie Navigator hat er den Thatcherismus und die Folge auf die Leinwand gebracht. Sein Kollege Willam Raban ist in Deutschland viel weniger bekannt. Anders als Loach versteht er sich nicht auf Sozialkritik mit Herz, die man auch Sozialkitsch nennen könnte. Daher ist der Experimentalfilmer Raban, der 1977 einen Beitrag auf der Kasseler Documenta hatte, in Deutschland nur wenig bekannt, zumal seine Arbeiten auch nicht in deutscher Sprache untertitelt wurden. Das Berliner Arsenal-Kino, das unter Cineasten seit Langem einen guten Namen hat, zeigte kürzlich nicht nur einige Werke von Raban, auch der Regisseur stand für Diskussionen zur Verfügung.

Wie die Londoner City die Docklands eroberte

Zu Entdecken gab es einen Künstler, der in seinen Werken dokumentiert, wie der Thatcherismus, als besonders aggressive Variante des Spätkapitalismus, in das Lebensumfeld der Menschen eingreift. So sehen wir in dem Kurzfilm Sundial, wie der Bau des Canary Warf, einer Nobelmail den ehemaligen proletarischen Stadtteil an der Themse verändert. Lange Zeit war es der Stadtteil der Docker und fest in der Hand der sozialdemokratischen Labour-Party. Nach den Plänen der Torys sollte die Londoner City den proletarischen Stadtteil erobern. Während wir im 1992 gedrehten Film "Sundial" noch die Reste der proletarischen Lebenswelt sehen, dominieren im zwei Jahre später gedrehten "A13" Autokolonnen und Überwachungskameras die Szene. So können wir deutlich die Gewalt stehen, die hinter dem politisch gewollten Angriff des Kapitals auf einen proletarischen Kiez steht. 1996 hat Raban "Island Race" gesehen und damit künstlerisch sehr überzeugend eine weitere Folge des Thatcherismus einfangen. Teile des in die Enge getriebenen proletarischen Milieus verloren mit ihren Stadtteilen, auch ihre Treffpunkte und ihre in der Arbeiterbewegung verankerte Vereinskultur. Profitiert hat die faschistische British National Party (BNP), die gerade in der Hochzeit des Thatcherismus einen Aufschwung hatte. Wir sehen im Film BNP-Funktionäre, die sich als Biedermänner geben, aber wir sehen auch den sehr vielfältigen Widerstand gegen diese Partei. Dabei fällt auf, dass neben Proletarier_innen viele Migrant_innen einen sehr aktiven Part auf den antifaschistischen Manifestationen jener Jahre spielen. Selbstbewusst gehen junge Migrant_innen mit Flyern gegen die BNP in die Wohnquartiere, in denen sich die Wähler_innenbasis der Rechten befindet. Wir sehen auch Migrant_innen, die über Megaphon zur Einheit von Migrant_innen und Einheimischen im Kampf gegen Rechte und Kapital aufrufen. Wir sehen auch zahlreiche Plakate mit ähnlichen Slogans, aber auch faschistische Parolen, in denen zur Ermordung von Pakistani aufgefordert wird. Wir sehen ganze Ortsverbände der Labour-Party und ihrer Jugendorganisationen, die mit Gesang und Traditionsfahnen gegen die Rechten agieren.

Der Krieg gegen die Prolls

Es ist dieses sozialdemokratisches Arbeiter_innenmilieu, dem die Thatcher-Konterrevolution den Krieg erklärt hat. Es ist auch jenes sozialdemokratische Arbeiter_innenmileu, dem der britische Historiker Owen Jones in seinen vielgeboten Buch Prolls etwas zu nostalgisch nachtrauert. Doch Jones, das sich in seiner Qualität angenehm von deutschen SPD-Verklärungen a la Albrecht von Luckes „Die schwarze Republik und das Versagen der Linken“ unterscheidet, beschreibt sehr prägnant, den Krieg des Thatcherismus gegen die Arbeiter_innenklasse. William Raben fasst diesen Krieg sehr präzise in Bilder. Dabei verzichtet er auf jegliche agitatorischen Momente. Er beschreibt den Alltag von Menschen, die immer wieder mit Begriffen wie „kleine Leute“ abgewertet werden. Für ihn sind es die Held_innen des Alltags, die sich der rechten Propaganda wiedersetzen. Im 2013 gedrehten Film „Time and The Wave“ wird das berühmte Occupy-Camp in einer schneebedeckten Londoner Winterlandschaft gezeigt, Ein Zeltinsasse entfernt dick vermummt den Schnee von seinen Protestbau. Das Licht auf diese Szenerie, kann als magisch bezeichnet werden. Der Film endet mit der Beerdigung von Margreth Thatcher. Ihr Staatsbegräbnis hat in Großbritannien noch einmal für Kontroversen gesorgt. Wir sehen Bürger_innen, die den Spektakel applaudieren, während Pfiffe und Anti-Thatcher-Slogans zu hören sind. „Ich hatte für einen kurzen Moment die Hoffnung, dass mit Thatcher auch der Thatcherismus gestorben ist. Ich musste erkennen, dass ich naiv war“, erklärte Rabin im Gespräch im Arsenal. Der Kapitalismus als Struktur wurde sicher von Charaktermasken wie Thatcher weiterentwickelt. Aber nach ihrem Tod machen dieses Geschäft andere. Sterben wird eher nur, wenn die Ausgebeuteten ihn sich nicht mehr bieten lassen. In ihren Alltagspraktiken können sie dafür die Voraussetzung schaffen Möge William Raban noch weiter der akribische Beobachter und Dokumentarist diese Alltagspraktiken bleiben. Diesen Wunsch hat man, nach dem man die Gelegenheit hatte, einen Teil seiner Arbeiten zu sehen. Und man sieht sich nach seinen Kolleg_innen um, die hierzulande mit Filmen wie Mietrebellen oder „Verdrängung hat viele Gesichter“ eine ähnliche Arbeit machen.

Peter Nowak

Heute besteht um 19 Uhr und um 21 Uhr noch einmal die Gelegenheit, im Kino Arsenal Filme von Willian Raban zu sehen:

http://www.arsenal-berlin.de/kalender/filmreihe/calendar/2016/march/08/article/5892/3004.html

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Geschrieben von

Peter Nowak

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