Ein Abend mit Heiner Boum Müller

Herzstück Die 80 minütige Vorstellung hat den Beweis erbracht, dass Heiner Müller auch der jüngeren Generation etwas zu sagen hat

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Um Heiner Müller war es in den letzten Jahren etwas still geworden. Wird er von der jüngeren Generation jetzt auch schon in die Kategorie „alter weißer Mann“ einsortiert? Ist er einfach nicht mehr hip genug für die Generation, deren kulturelle Sozialisation nach seinem Tod begann? Jetzt hat das Gorki-Theater mit „Herzstück“ den Beweis erbracht, dass man Heiner Müller auch für junge und jung gebliebene Menschen inszenieren kann. Ausgegraben haben sie einen „Elfzeiler“ Müller, der dem Stück dem Namen gab. Unter der Regie von Sebastian Nübling liefert ein 7köpfiges Schauspieler*innenteam kurzweilige Unterhaltung meist mit Witz.

Am Anfang steht Dominic Hartmann als etwas verloren wirkender Clown auf der Bühne und versucht ständig irgendwen zu begrüßen oder irgendwo hinzuschicken. Dabei wird er aber immer rüde abgewiesen. Die Angesprochenen ignorieren ihn oder werfen vor ihm die Tür ins Schloss. Erst allmählich füllt sich die Bühne. Es wird gewerkelt und gehämmert und der Clownvom Anfang steht immer irgendwo im Werk. Allmählich wird ein großes Herz aus Holz zusammengebastelt und dann geht es noch um die Frage, wie es wo befestigt werde soll. Wieder gibt es viel Gewusel, Geräte werden zusammengeschoben und um gestellt. Am Ende hängt das große Herz aus Holz über der Bühne und blinkt dann auch noch. Alle klopfen sich auf die Schultern und sind fröhlich. Auch der traurige Clown vom Anfang scheint zufrieden. Doch halt, es ist ja erst eine knappe Stunde vergangen und das Herzstück blinkt schon an der Decke. Aber das Stück ist noch nicht zu Ende.

Kritik am Kulturbetrieb

Eine Schauspielerin tritt nach vorn und bedankt sich erst überschwänglich bei allen beteiligten Künstler*innen und Mitwirkenden, dann besonders bei der Intendantin des Gorki-Theaters, dass sie hier auf der Bühne sein und das Stück spielen konnte. Der Glückwunschblock zieht sich und schnell merkt man, hier wird die Sprache derAusstellungen und Prämieren ironisiert wird. Wenn dann noch kurz vor Schluss noch ein Schauspieler mit einem Schild auf die Bühne tritt, auf dem er den Wunsch, nicht immer verfügbar zu sein, geschrieben hat, denkt man an das Lamento, das heute im Grunde das ganze Leben Arbeitszeit ist. Schon richtig. Doch, wo bleibt das Schild mit einer klaren Forderung „20 Stunden Arbeit sind genug“ oder auch „Streik“? Immer mal wieder tritt Marya Abu Khaled wie eine Cheerleaderin vor die Bühne, reckt die Arme in die Höhe und ruft „Ein Abend mit Heiner Boum Müller“. Eine Parodie der vielen Sendungen, in denen Menschen, die längst aus Teenageralter entwachsen sind, Jugendliche motivieren wollen? Eine Ironie des Jugendkults auch in der Kultur. Ist Heiner Müller nun am Boulevard oder in dem Welt der Casinos mit ihrer blinkenden Werbung angekommen? Darüber sollte man diskutieren. Aber die 80 minütige Vorstellung hat den Beweis erbracht, dass Heiner Müller auch der jüngeren Generation etwas zu sagen hat und das ist erfreulich. Ein Großteil des Publikums war unter 30. Vielleicht ist „Herzstück“ ein Ansporn, weiter in Müllers großes Zettelkasten zu graben und ihn auf der Höhe der Zeit auf die Bühne zu bringen. Das Gorki-Theater, seit Jahren eine gute Adresse für Theater der Menschen, die in Deutschland leben, was gerne mit den soziologischen Begriff postmigrantisch eher unzureichend umschrieben wird, hat hier Impulse gesetzt für eine moderne Müller-Rezeption gesetzt

Peter Nowak

Das vollständige Gedicht Herzstück, das dem Stück den Namen gab.

EINS Darf ich Ihnen mein Herz zu Füßen legen.
ZWEI Wenn Sie mir meinen Fußboden nicht schmutzig machen.
EINS Mein Herz ist rein.
ZWEI Das werden wir ja sehn.
EINS Ich kriege es nicht heraus.
ZWEI Wollen Sie, daß ich Ihnen helfe.
EINS Wenn es Ihnen nichts ausmacht.
ZWEI Es ist mir ein Vergnügen. Ich kriege es auch nicht heraus.
EINS heult
ZWEI Ich werde es Ihnen herausoperieren. Wozu habe ich ein Taschenmesser.
Das werden wir gleich haben. Arbeiten und nicht verzweifeln. So, da hätten
wirs. Aber das ist ja ein Ziegelstein. Ihr Herz ist ein Ziegelstein.
EINS Aber es schlägt nur für Sie.

.....

Nächste Vorführung: Gorki-Theater, 20 Uhr, Container:

Weitere Infos zum Stück gibt es hier:

https://gorki.de/de/herzstueck

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Geschrieben von

Peter Nowak

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