Ein Anarchist im Rathaus Kreuzberg

Gustav Landauer in Berlin Bisher war wenig über das Leben von Gustav Landauer in Berlin bekannt. Diese Wissenslücken kann eine Ausstellung beheben, die im Rathaus Kreuzberg zu sehen ist.

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Am 2. Mai wird es 100 Jahre her sein, dass der Anarchist Gustav
Landauer nach der Niederschlagung der bayerischen Räterepublik, durch
Konterrevolutionär*innen im Auftrag Noskes (SPD), ermordet wurde. In den Wochen darauf gab es in Berlin mehrere Gedenkveranstaltungen für den Anarchisten. Denn Landauer hat jahrelang in Berlin gelebt und war dort auch künstlerisch und politisch sehr aktiv. Darüber informiert uns sehr kenntnisreich die Ausstellung "Gustav Landauer in Berlin".

P.S.: Kleiner Hinweis an den Kollegen Lutz Herden: Wer sie besucht hat, hat vielleicht auch gelernt, dass Anarchismus nichts mit den Zuständen in Libyien zu tun hat, in dem verschiedene Kapitalfraktionen um die Macht streiten. (https://www.freitag.de/autoren/lutz-herden/der-ruf-verklagt-sein-echo-2)

Peter Nowak sprach mit Jan Rolletschek über die Ausstellung und die Aktualität von Gustav Landauer. Der Kulturwissenschaftler hat die Ausstellung mitkonzipiert, die noch bis zum 9. Mai in der ersten Etage im Kreuzberger Rathaus in der Yorkstraße zu sehen ist.

Frage: Das Wirken Landauers in Berlin war bisher nicht so bekannt. Wie seit ihr auf ihn aufmerksam geworden und wie konntet ihr soviele Informationen sammeln?

A.: Wir sind alle unabhängig von einander vor längerer Zeit auf Landauer aufmerksam geworden und beschäftigen uns schon seit vielen Jahren mit Landauer, sowohl in theoretischer als auch historischer Hinsicht.

Nachdem sich einige von uns dann aber wiederholt bei Landauer betreffenden Vorträgen in der Bibliothek der Freien getroffen haben, haben wir beschlossen, die Gelegenheit des 100. Todestages und des seit einiger Zeit wieder erwachenden Interesses an Landauer zu nutzen und die Denkmalinitiative zu gründen.

Frage: Haben Sie damit Neuland betreten?

A.: Wir haben uns auf viele Vorarbeiten stützen können. Die Landauer-Forschung war in Deutschland seit den späten 1960er Jahren ein stetes aber schmales Rinnsal; in den 90er Jahren hat es einige wichtige Kongresse mit anschließenden Sammelbänden gegeben und eine sensationelle Ausstellung in Düsseldorf („...die beste Sensation ist das Ewige ...“. Gustav Landauer – Leben, Werk und Wirkung), die Ulrich Klan (von der Armin T. Wegner Gesellschaft) nun für den 9. Mai nach Wuppertal geholt hat. Auf den sehr materialreichen Katalog der Düsseldorfer Ausstellung haben wir uns gemeinsam beziehen können.

Nachdem einige Anläufe zu einer Gesamtausgabe der Schriften Landauers gescheitert sind, gibt es seit 2008 eine Ausgabe Ausgewählter Schriften , herausgegeben von Siegbert Wolf, die viele Texte wieder verfügbar macht.

Ein Einschnitt für die Wiederentdeckung Landauers war 2014 die zweibändige, in ihrer gedruckten Fassung fast 900 Seiten starke und sehr gründlich recherchierte politische Biographie von Tilman Leder. Diese beiden Bände waren sicherlich unser wichtigstes Referenz-Werk für die Erarbeitung der Ausstellung, also eine Arbeit, auf die wir uns massiv haben stützen können, und ohne die es die Ausstellung in dieser Form nicht gäbe.

Seit 2017 erscheint zudem die kritische Briefedition, eine Veranstaltung mit der Herausgeberin der Edition Hanna Delf von Wolzogen machen wir am 11. April im Rahmenprogramm.

Aber vor allem: All die Leute aus der Forschung, die seit Jahrzehnten mit Landauer beschäftigt sind, haben sich sofort und sehr unkompliziert bereit erklärt, Texte zu einzelnen Themen beizusteuern.

Frage: War es schwierig an die Informationen zu kommen?

A.: Wie gesagt, es gab Vorarbeiten und wir haben uns selber länger schon mit Landauer befasst. Auch haben ja die Autor*innen über ihre speziellen Themen geschrieben. Zum Teil ist es ja nicht so, als hätte es das Wissen gar nicht gegeben; nur war es, wie Du selber richtig sagst, nicht sehr bekannt. Die Arbeit von Tilman Leder ist gleichwohl wie ein Blitzschlag, gefolgt von einem etwas verzögerten lang anhaltenden Grollen; die kritische Briefedition ist eine weitere solche Sensation, ein massiver Schub für die Forschung. Danach ist Landauer nicht mehr wegzukriegen und die ganze Breite seiner Bezüge, sein Rang als Autor, Praktiker und Intellektueller wird für alle sichtbar sein; naja, für alle, die einige hundert Euro erübrigen können oder eine gute Bibliothek in der Nähe haben. Die Edition erscheint bei Vandenhoek & Ruprecht. Was wir machen, ist also ein Art Vermittlung an der Schnittstelle von Wissenschaft und Stadtgesellschaft.

Frage: Wie lang habt ihr für die Ausstellung gebraucht und wurdet ihr finanziell unterstützt?

A.: Konkret haben wir recht spät, nämlich erst Ende November die Text-Beiträge angefragt; alle waren sofort dazu bereit. Es ist eine im Grunde naheliegende Sache, zum 100. Todestag am Ort seines fast drei Jahrzehnte währenden Wirkens eine Ausstellung für Landauer zu machen. Wenn es dann eine Initiative gibt, an der man sich leicht beteiligen kann, geht es seinen Gang. Außerdem haben wir eine intensive Kommunikation mit den verschiedensten Archiven und Sammlern entfaltet, und dann war noch die gestalterische Seite zu klären. Alles erst sehr spät, Ende vergangenen Jahres. Wir haben alle ehrenamtlich gearbeitet; und wie es immer so ist, geht es nicht ohne etliche Nachtschichten ab.
Das Netzwerk Selbsthilfe (politischer Förderfonds) und die Kulturförderung des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg haben uns finanziell bei der Produktion der Tafeln und der Drucksachen unterstützt.

Frage: Was bedeutet Landauer für euch heute noch, ist er nur historisch von Interesse oder seht ihr noch eine politische Relevanz?

A.: Landauer ist heute hochaktuell; zur intensiven Beschäftigung mit einer Person oder einem Werk gehören der Glaube an deren Relevanz und eine gewisse Faszination doch wohl dazu; aus rein historischem Hobbytum macht das doch keiner. Landauer war im Grunde ein radikaler Demokrat und Föderalist. Schon Ina Britschgi-Schimmer hat dies in ihrer Arbeit an der ersten Briefedition von 1929 sehr genau erkannt. Auch Nietzsche wusste übrigens sehr gut, dass der Anarchismus nur die konsequenteste Ausprägung der demokratischen Bewegung ist. Landauer sprach von „wirklicher Demokratie“ und der „Abschaffung des Proletariats“. Das ganze Projekt war gegen die „Abdankung“ der Leute zugunsten von Chefs und expertokratischen Regierungen gerichtet. Es geht im Grunde darum, gemeinsam die Kontrolle über das eigene Leben zurückzuerlangen, sich gemeinsam zu organisieren, um Politik in der ersten Person. Vielleicht, hoffentlich, werden wir da bald etwas erleben, die neue Jugendbewegung macht mich sehr froh. Ohne einen wirklichen Demokratiserungsschub ist die Alternative im 21. Jahrhundert nur die Barbarei.

Frage: Wie sehen die Planungen des Gedenkorts für Landauer aus oder wäre nicht die Exposition als Dauerausstellung ein guter Gedenkort für Landauer?


A.: Die Ausstellung soll auf Reisen gehen, erst durch Berlin, dann auch in andere Städte. Klar wäre eine Dauerausstellung über die anarchistische Stadtgeschichte gut; Berlin-Kreuzberg war ja sozusagen das Zentrum des anarchistischen Sozialismus im Kaiserreich. Da gibt es ja nichts; wie auch nach den Verwerfungen des 20. Jahrhunderts? Aber eine Initiative hat einen bestimmten Zweck, und der Zweck, den wir uns gesetzt haben, ist ein Denkmal in der einen oder anderen Form. Ein Denkmal für einen Anarchisten, das ist natürlich in alle Richtungen eine Provokation. Das Denkmal ist beschlossen, welche Form es annehmen wird, das werden wir jetzt mit den involvierten Akteuren diskutieren. Da ist ja heute viel denkbar. Schon beim Entwurfsprozess lassen sich ganz unterschiedliche Wege einschlagen. Etliche bekannte Künstler*innen haben sich schon interessiert gezeigt. Aber wir haben uns nun erst einmal darauf konzentriert, über Landauer zu informieren. Die Leute sollen ja wissen, mit wem sie es zu tun haben und wir wollen nicht einfach irgendwo ein Denkmal hinstellen, sondern Landauer, seine Ideen und sein Wirken ins Gespräch bringen. Dazu ist eine Ausstellung fast noch besser geeignet. Was die konkrete Realisation des Denkmals angeht, streben wir nunmehr den 150. Geburtstag Landauers am 7. April 2020 an. Auch ohne eine Spendenkampagne wird es eventuell nicht abgehen.

Interview: Peter Nowak

Link zur Ausstellung Gustav Landauer in Berlin

https://gustav-landauer.org/ausstellung

und zum Begleitprogramm:

https://gustav-landauer.org/sites/default/files/pdf-download/gustav_landauer_in_berlin_1889-1917_flyer_ausstellung.pdf

Link zum Blog der Denkmal-Initiative für Gustav Landauer

https://gustav-landauer.org/blog

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

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