Ein Film gibt den Verfolgten ein Gesicht

Johann Trollmann Der Film Gibsy und das Buch "Das Schwarze Wasser" rücken die Verfolgung von Sinti und Roma im NS und darüber hinaus in das Blickfeld

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Tausende Sinti und Roma sind im Nationalsozialismus ermordet wurden. Die Überleben wurden auch nach 1945 weiterhin verfolgt und stigmatisiert. Es gibt wenige Biographien, die eine solche Verfolgung ganzer Bevölkerungsgruppen nachvollziehbar machen. Mit „Gibsy – die Geschichte des Boxers Johann Rukeli Trollmann“ hat der Filmemacher Eike Besunden daher wahrlich Pionierarbeit geleistet. Er hat das Leben eines Mannes rekonstruiert, der in der Weimarer Zeit zumindest unter Freund_innen des Boxsportes bekannt war. Er zeigte ihn zunächst im Kreise seiner Familie, die fernab von Politik in Berlin der 20er Jahre vor allem überleben wollte. Das Geld war knapp, das Essen ebenso und so war Johann Trollmann, der bald den Spitznamen Rukeli erhielt, in diesen Kreisen ein Held. Schien ihm doch mit seinen Boxsport etwas zu gelingen, wovon seine Freunde und Verwandten träumten. Gesellschaftlicher Aufstieg, Anerkennung, ein Ende der finanziellen Not. Schließlich erfüllte sich der junge Johann Trollmann einen Wunsch, den auch schon damals viele junge Leute hegten, er zog nach Berlin. Dort nahm er erstmals wahr, dass die Nationalsozialisten auf dem Sprung zur Macht waren und mit einem großen Teil der Bevölkerung im Rücken aus Deutschland einen arischen Staat machen wollten, wo auch Menschen wie Trollmann nicht mehr leben sollten. Zunächst fühlte er, der wie seine ganze Familie mit Politik nichts am Hut hatte, sich nicht bedroht. Doch als er bei einem Boxkampf nach dem Willen der NS-Funktionäre im Boxverband als Sinti auf keinen Fall gewinnen sollte, begann er zu ahnen, dass die Nazis auch sein Leben beeinflussen könnte.

Ein Akt des Widerstands

Hier kamen die Filmemacher einen eher unbekannten Akt des Alltagswiderstands auf die Spur. Als die Nazifunktionäre zu offen das Ergebnis gegen Rukeli manipulieren wollten, der aus dem Boxkampf klar als Sieger nach Punkten hervorgegangen war, tobte das Publikum und die NS-Funktionäre gaben zunächst nach. Trollmann wurde Sieger, doch zwei Wochen danach wurde ihm der Titel doch noch aberkannt und es regte sich kein Protest mehr. Eine kleine Lektion in die Begrenztheit dieses Alltagswiderstands, der zumindest in den ersten Jahren des NS-Regimes noch geleistet wurde, wird im Film dokumentiert. Trollmann schminkte sic h bei einem Boxkampf weiß, um so den Ariern, wie ihn sich die Nazis wünschten, ähnlich zu sein. Ein aus Sinti- und Romajugendlichen zusammengesetztes Theaterprojekt, das in dem Film mehrmals zu Wort kommt, interpretiert die Aktion als bewusste Widerstandshandlung von Trollmann, mit der er die Nazis lächerlich machen wollte. Dies ist tatsächlich eine Interpretation seines Verhaltens. Es könnte allerdings auch sein, dass sich Trollmann tatsächlich ganz ohne Hintersinn bemühte, ein deutscher Boxer zu sein, wie er von den NS-Machthabern gewünscht wurde. Schließlich freute er sich auch, dass er im zweiten Weltkrieg als Soldat eingezogen wurde, weil er so behandelt werden wollte wie die anderen. Doch die Nazis hatten anderes vor. Alle Sinti und Roma wurden als wehrunwürdig entlassen und in Konzentrationslager deportiert. Trollmann konnte gar nicht fassen, dass er, der doch schon Soldat gewesen sei, nun endgültig ausgegrenzt wurde. Die SS-Männer, die ihn noch als Boxer kannten, entwickelten im Konzentrationslager Neuengamme, wohin Trollmann gebracht wurde, eine besondere Methode der Qual und Demütigung. Sie forderten immer wieder zu Boxkämpfen heraus, was für den schon körperlich stark geschwächten Gefangenen mit großen gesundheitlichen Strapazen und Verletzungen verbunden war. Seine genauen Todesumstände sind bis heute unklar. Im Film wird die These vertreten, dass der offizielle Todestermin, der der Familie mitgeteilt wurde, falsch ist, weil Trollmann von Häftlingen versteckt und in ein anderes KZ gebracht werden konnte. Dort sei er auch wieder erkannt worden und die Quälereien seien weitergegangen. Nach der Filmversion ist er von einem SS-Mann erschlagen worden, den er selbst im geschwächten Zustand beim Boxen besiegt hatte. In anderen Berichten ist er erschossen worden. Wenn die Filmversion zutrifft, stellt sich die Frage, wer an der versuchten Rettungsaktion von Trollmann beteiligt war und mit welchen Hintergründen. Schließlich braucht eine solche Aktion akritische Vorbereitung und war mit der Todesgefahr aller Beteiligten verbunden. Hierzu bekommen wir r im Film keine Informationen. Die Unklarheiten in Trollmanns Biographien machen deutlich, wie lange die Verfolgung von Sinti und Roma im Nachkriegsdeutschland ignoriert wurde. Dass zeigte sich auch an der Reaktion der Boxverbände, nachdem Trollmanns Biographie vor einigen Jahren bekannt wurde. Über den Akt seiner Rehabilitation schreibt die Neue Züricher Zeitung. „Nahezu unbeachtet von größerer Öffentlichkeit vollzieht sich im Hinterhof späte Rehabilitation für einen beinahe vergessenen Boxer. Unglücklich wirkte in diesem Zusammenhang die Beschwichtigung des BDB-Vorsitzenden Eckmann, es sei «nicht klug», aus der Personalie Trollmann „eine große Sache“ zu machen. Und schon brüsk klang die taktlose Vorahnung seines Vize Hans Högner, die avisierte Würdigung mache den Ermordeten „auch nicht mehr lebendig“. Dass sind tatsächlich bei einer Gedenkfeier selten taktlose Töne. Sie machen auch noch mal deutlich, dass die Hierarchisierung der Opfer des Nationalsozialismus bis heute anhält. Eike Besuden hat mit seinem Film einen ermordeten Sinto dem Vergessen entrissen und damit über Trollmanns Fall hinaus einen Blick auf die Verfolgungsgeschichte von Sinti und Roma geworfen. Sehr eindrucksvoll ist das im Film eingeblendete Foto einer jungen Roma-Frau, die aus einem Waggon blickt, in dem sie nach Auschwitz abtransportiert worden ist.

Buch zu Erinnerungsarbeit und heutigem Widerstand

Die Frau wurde in der Forschung lange für eine Jüdin gehalten, erfahren wir in einem Buch mit dem Titel „Das Schwarze Wasser“, das den langen Kampf um einen Erinnerungsort für Sinti und Roma dokumentiert. Am 24. Oktober, 20 Jahre nach dem Beschluss für die Errichtung, wurde endlich das „Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas“ doch noch feierlich eröffnet. In dem kürzlich von Lith Bahlmann, Moritz Pankow und Matthias Reichelt herausgegebene Buch wird noch einmal auf den langen in verschiedenen europäischen Ländern geführten Kampf für die Fertigstellung des Erinnerungsortes erinnert. Die Aktionen sind von den Medien in Deutschland kaum wahrgenommen worden. Völlig ignoriert wurde eine Kunstperfomance, mit der die US-Künstlerin De Laine Le Bais am 27.Januar 2012 auf der damaligen Denkmalbaustelle gegen die Ignoranz der politisch Verantwortlichen protestierte. Auch über eine von Romaktivisten aus ganz Europa im Rahmen der diesjährigen Berlin-Biennale am gleichen Ort initiierten Protestkundgebung am 2. Juni dieses Jahres berichten nur wenige Medien. Am Ende der knapp einstündigen Kundgebung wurden Zettel an dem Bauzaun angebracht, auf denen Angriffe, Brandschläge schwere Körperverletzungen und Morde gegen Roma und Sinti in ganz Europa dokumentiert sind. Die Tatorte befinden sich in Rumänien und Ungarn aber auch in Dänemark, Italien und Frankreich. Der Inhalt der erschreckenden Liste von rassistischem Hass ist in dem Buch auf mehreren Seiten abgedruckt. Das Buch ist aber auch ein Dokument des Widerstands von Romaaktivisten gegen Entrechtung und Diskriminierung. Besonders der Beitrag der ungarischen Kunsthistorikerin Timea Junghaus macht deutlich, dass dabei die europäischen Institutionen und Rechte genutzt werden sollen. In einer von den Romaaktivist_innen am 2. Juni 2012 angenommenen Resolution wurden Empfehlungen an das Europäische Parlament verabschiedet, in denen es um das würdige Gedenken geht. So soll der 2. August vom EU-Parlament zum Gedenktag für den Massenmord an den Roma im Nationalsozialismus erklärt werden. Zudem sollen an allen Orten der Verfolgung Archive eingerichtet werden, in denen die Entrechtung der Menschen dokumentiert werden. Für die Gegenwart sollen in allen EU-Staaten Gesetze garantieren, dass Roma als gleichwertige Bürger ohne Diskriminierung leben können.
Die europäische Dimension nimmt in mehreren Aufsätzen in dem Buch eine zentrale Rolle ein. Die Historiker Wolfgang Wippermann, Silvio Peritore und Frank Reuter untersuchen hingegen verschiedene Aspekte der NS-Vernichtungspolitik gegen Sinti und Roma. Beeindruckende Fotos von Verfolgung und Widerstand der Sinti und Roma, sowie von dem Denkmal in den verschiedenen Perspektiven und Bauphasen machen das Buch zu einem kleinen Katalog zum Erinnerungsort. Das Buch, der Film und die Arbeit der Berliner Galerie Kai Dikhas , die sich der Präsentierung von Kunst von Roma und Sintis widmet, sind einige Anzeichen dafür, dass das Beschweigen auch dieser Verfolgungsgeschichte nun ein Ende hat.

Peter Nowak

Gibsy - die Geschichte des Boxers Johann Rukeli Trollmann

D 2012, 90 min., Regie: Eike Besuden mit: Hannes Wegener, Hannelore Elsner

Bahlmann, Lith, Pankok Moritz, Reichelt Matthias, Das schwarze Wasser, Das Denkmal für die Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas, Berlin 2012, Edition Braus, 96 Seiten, 14,95 EURO, ISBN 9783862280384

http://www.editionbraus.de/Kultur/Das-schwarze-Wasser::142.html

Galerie Kai Dikhas

http://www.kaidikhas.de/de/gallery

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Geschrieben von

Peter Nowak

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