Ein Film und sein Mythos

Film Kürzlich lief im Berliner Arsenal der Klassiker "Die Schlacht um Algier" und danach "Die Schlacht von Algier – ein Film und seine Geschichte", der den Mythos knacken will

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Ein Film und sein Mythos

Bild: Filmplakat

Es gehört heute zum Commense Sense linke Geschichtsmythen zu entlarven. Doch meistens affirmieren die Entlarver nur die alte Geschichte von Herrschaft und Macht. Daher war ich erst mal distanziert, wenn der algerische Filmemacher Malek Bensmaïl erklärt, er wolle mit seinen Film den Mythos um den Klassiker „Die Schlacht von Algier“ dekonstruieren. Bensmaïl hat 2017 den Film „Die Schlacht von Algier – ein Film und seine Geschichte“ gedreht. Im Berliner Filmhaus Arsenal waren kürzlich beide Filme zu sehen und zudem stellte sich Bensmaïl noch der Diskussion des Publikums. Sein Film, dass stellte sich schnell heraus, gehörte nicht zu der Sorte von linken Mythenknackern, der die alte Herrschaft verewigen will. Der 1966 gedrehte Schwarz-Weiß-Film „Schlacht um Algier“ behandelt den Beginn des bewaffneten Unabhängigkeitskampfes in der Altstadt von Algier. Zwei Hauptfiguren stehen im Mittelpunkt, der französische Oberkommandierenden Jaques Massu, der die Guerilla zerschlagen will. Dort ist die Hauptfigur Ali Ammar, der unter dem Kampfnamen Ali la Pointe im Film verewigt worden, der „Held“. Die Anführungsstriche sind durchaus angebracht. Denn einerseits wird la Pointe im Film als Identifikationsfigur dargestellt. Ein Mann aus den ärmsten Segmenten der Lohnabhängigen, Analphabet, der immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt kommt. Weil es ein französisches Gesetz ist, verschreibt er sich der Sache der algerischen Befreiung und verschafft auch durch seine Rücksichtslosigkeit Ansehen. So schießt er einen ehemaligen Freund nieder, weil der sich nicht den Regeln der FNL in der algerischen Kasbah beugen will, führt einen Kampf gegen Prostitution und Alkohol und schickt junge Frauen mit Bombentaschen in Bars und Restaurant, wo sie ein Blutbad unter Zivilist*innen anrichten. Dieser Ali la Pointe wäre heute ein Held aller Islamist*innen, denen er wohl auch in vielen näher stand als irgendwelchen emanzipatorischen Bestrebungen. Wenn man sieh, wie er Frauen als Bombenausträgerinnen behandelte, wird das im Film „Die Schlacht um Algier“ schnell klar. Dass er dann lieber in den Tod ging, als sich den französischen Militärs zu ergeben, dürfte auch seinen religiösen Hintergründen geschuldet sein. Mit ihm gingen weitere Kämpfer in den Tod, darunter ein Junge, der vielleicht 14 Jahren war und La Pointe anhimmelte. Es gäbe also tatsächlich genug Mythen zu knacken an einer solchen Figur, die eben in ihrer Ambivalenz dargestellt und nicht verherrlicht wird. Das macht die künstlerische Qualität des Films "Die Schlacht um Algier" aus. Auch La Pointes Gegenspieler Massu wird in der Ambivalenz dargestellt. Es wird sich gezeigt, dass er in Algerien für Folter und Kriegsverbrechen verantwortlich war und gleichzeitig betonte, dass er als Militär gegen die Nazis gekämpft hatte, Damit wird einmal mehr deutlich, dass Staatsrepression eben nicht das Privileg der Faschisten ist sondern zum bürgerlichen Staat gehört.

Film zur Herrschaftslegitimation

Malek Bensmaïl geht nun auf die Entstehung des Films ein. Er diente der algerischen Unabhängigkeitsregierung in einer Zeit als Legitimation, wo deutlich wurde, dass sie für eine Großteil der Jugend und der Lohnabhängigen keine Perspektive hat. Der Unmut stieg, nun konnte man für die Misere nicht mehr nur die Kolonialmacht verantwortlich machen. Da eignete sich mit La Pointe ein Mann als Held, der früh genug gestorben ist, dass er den neuen Machthabenden nicht mehr gefährlich werden konnte. Denn er war nicht der Typ, der sich unterordnete. Entweder er hätte selber seine autoritären Machtstrukturen aufgebaut oder er wäre in Konflikt mit de Mächtigen gekommen. Dass der Film trotzdem kein Heldenepos wurde, lag vor allem an den bekannten Regisseuren und ihrer Unabhängigkeit. Während des Drehs wurde Ben Bella gestürzt, der für die revolutionäre Phase der algerischen Unabhängigkeit steht. Sein Nachfolger Boumedienne stand für einen forcierten Staatskapitalismus und der Förderung des Islamismus, wie Bensmail im Gespräch im Arsenal betonte.

"Ab diesem Zeitpunkt sind alle Träume von sozialer Befreiung und umfassender politischer Emanzipation der algerischen Bevölkerung, die mit der Entkolonialisierung einher gegangen waren, zerstoben: Die Diktatur installiert sich in Algerien", bewertet der Frankreich-Korrespondent Bernard Schmid diesen Coup.

Der Film in seiner Geschichte

Bensmaïl dokumentiert in seinen Film auch, wie „Die Schlacht um Algier“ von Bewegungen in aller Welt angeeignet und mit eigener Bedeutung gefüllt wurde. An erster Stelle sind die Black Panther zu nennen, die Anfang der 1970er Jahre sogar eine Botschaft in Algier eröffnet hatten. Eldridge Cleaver war der eloquente Sprecher. Ein Jahrzehnt war er Anhänger des rechten Republikaners Ronald Reagan geworden. Doch im Film kommen auch andere Black Panther Aktivist*innen zu Wort, die auch kritisieren, damals die Situation in der eigenen Organisation, aber auch in Algerien, zu blauäugig eingeschätzt zu haben. Doch ihre Konsequenz war nicht zu ihren größten Feinden überzulaufen, sondern die eigenen Utopien noch umso vehementer ohne Protektion eines Staates weiterzuverfolgen. Wie die Gegenseite den Film nutzt, wird von Bensmail am Beispiel von US-Anti-Terrorexperten gezeigt, die bei internen Schulungen Szenen unter dem Aspekt analysieren, wo die französische Seite bei der Bekämpfung der FLN Fehler gemacht. Der Film endet mit den Song eines algerischen Rappers, der La Pointe als Held darstellt. Eine Frage aus dem Publikum blieb unbeantwortet. Könnte der Ali la Pointe aus allen nationalen und religiösen Zuschreibungen gelöst, zum Vorbild einer verarmten Großstadtjugend werden, die sich für die soziale Befreiung und den Kampf gegen alle Unterdrückungs- und Ausbeutungsformen engagiert, wie es dem Black Panther-Aktivisten vorschwebt?

Peter Nowak

Hinweis auf die Veranstaltung im Arsenal

https://www.arsenal-berlin.de/kalender/filmreihe/calendar/2018/december/06/article/7552/3004.html

Mehr Infos zum Film "Die Schlacht um Algier:

https://www.imdb.com/title/tt0058946/

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Geschrieben von

Peter Nowak

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