Eine Generation, die nichts erlebt hat

Schaubühne Berlin Nachdem „Tratando de hacer una obra que cambie el mundo“ auf verschiedenen Theaterbühnen zu sehen war, wurde es im Rahmen des F.I.N.D. auch in Berlin gezeigt.

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Eine Generation, die nichts erlebt hat

Foto: La Re-sentida

Wenn man in den Theatersaal kommt, hat man den Eindruck, man würde einer Studierendengruppe in der letzten Phase ihrer Examensarbeit zugucken. Die Wände sind überfüllt mit handschriftlich beschriebenen Zetteln. Zwischendrin finden Fotos von Brecht, Benjamin und anderen Kulturtheoretiker_innen, was auf eine geisteswissenschaftliche Lerngemeinschaft schließen lässt. Fünf junge Menschen sind zu sehen, die angestrengt in Büchern und Zetteln blättern. Einer der Männer scheint eine Notiz zu suchen, die er in dem Zettelwust an der Wand zu finden hofft. Doch bald stellen sich Zweifel ein, dass hier tatsächlich eine Unigruppe zu sehen ist.Vor allem ein frisches Grab, dasmit Kerzen bestückt ist, irritiert.Das Foto eines bärtigen jungen Mannes ist darauf angebracht. Bald erfahren wir, dass es sich um einen Antonio handelt, der vor kurzen unter ungeklärten Umständen in dem Raum gestorben ist und in dem Raum beerdigt wurde. Handelt sich also eher um das geheime Domizil einer Guerillagruppe als um Studierende? Bald stellt sich heraus, dass es sich um eine Mischung aus beiden handelt. Die chilenische Theatergruppe Re-Sentida hat in dem 90minütigen Stück „Tratando de hacer una obra que cambie el mundo“eine Gruppe von Schauspieler_innen in den Mittelpunkt gestellt, die nach dem Wahlsieg einer rechten Regierung in ihren ganz speziellen Untergrund gegangen sind. Sie haben sich in eine Art Kellerwohnung zurückgezogen und suchen der Enklave nach dem ultimativen Theaterstück, das die Welt verändern soll. Wir sehen, wie sich die kleine Gruppe zunehmend auseinander dividiert, persönliche Animositäten lassen die kollektiven Vorsätze in den Hintergrund treten. Die einzige Frau in der Gruppe wird gemobbt, die Männer versuchen eine neue Führungsstruktur einzuführen, belauern sich dabei aber gegenseitig. Pedro wird dann schon aus der Führungsstruktur ausgeschlossen, weil er als Junge aus der Arbeiterklasse, dafür nicht geeignet sei. Seine Selbstkritik, die darin gipfelt, dass er bedauert, dass seine Eltern keine Ansprüche gestellt, nie mehr Lohn gewollt, keine Rechte für sich beansprucht hätten, sind ein Höhepunkt des Stückes, zeigen aber auch seine Schwächen auf. Denn Pedro verurteilt nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Menschen in diese Selbstgenügsamkeit zwingen, sondern die Eltern, von deren er sich barsch lossagt. In dem Stück stehen gruppendynamische Prozesse im Mittelpunkt, die aus einem Künstler_innenkollektiv mit gesellschaftlichem Anspruch erbitterte Konkurrent_innen machte. Das Scheitern ihres künstlerischen Anspruchs beschleunigt diesen Prozess noch. Wenn dann der Vorschlag kommt, dass man hungernde afrikanische Kinder und an AIDS erkrankte Menschen dieses Kontinents auf die Bühne bringen muss, während auf der Leinwand die brennende Moneda zu sehen sein soll, der Regierungssitz des 1973 von einer rechten Militärjunta gestürzten sozialistischen Präsidenten, enden gutgemeinte künstlerische Intervention in rassistischen Klischees und Polit-Kitsch.

Der anwesende Tote

Eine zentrale Rolle nimmt der tote Antonio in dem Stück ein. Seine Leiche ist begraben, aber unter den Überlebenden ist er immer anwesend. Seine natürliche Autorität wird beschworen, die der Gruppe Impulse gegeben haben soll. Als bei einer tätlichen Auseinandersetzung sei n Grab umgewühlt wird, fällt die Frau fast in Ohnmacht und richtet das Grab wieder her. Die Todesumstände von Antonio bleiben im Unklaren. Als in einem hitzigen Streit zwischen den Männern mal der beschwörende Satz fällt „Aber es war doch ein Unfall“ wird deutlich, dass es genau das gar nicht so klar ist. Wurde er getötet? Verübte er Selbstmord, weil er das Scheitern des Projekts erkannte? Diese Fragen drängen sich auf und bleiben offen.

Vielleicht ist auch der ungeklärte Tod von Antonio der Grund für die Verwirrung, den ein Brief von Victor unter der kleinen Gruppe auslöste. Die werden aufgefordert, ihr freiwilliges Exil aufzugeben. Denn mittlerweile seien all ihre Ziele ausgerechnet von der rechten Regierung, vor der sie flohen, verwirklicht wurden. Kunst und Theater sollen nicht mehr der Emanzipation und der Aufklärung sondern der Zerstreuung und Unterhaltung dienen. Hier verarbeitet die Theatergruppe die Erfahrung vieler chilenischer Linker, die nach den Jahren in Gefangenenschaft und Exil in ein von der Militärjunta befriedetes Chile zurückkehrten und sich wieder Fremde im eigenen Land vorkommen. Sie, die die Jahre des Aufbruchs in den Jahren der Unidad Popular im Exil vor Augen hatten, kamen in ein Land, in dem jeder subversiver Gedanke ausgetrieben worden schien. Terror, Einschüchterung und billiges Entertainment schienen hier Tabula Rasa gemacht zu haben.

Kein Ende der Geschichte

Am Ende läuft noch einmal die Hymne der Unidad Popular, während einer der Schauspieler schreibt, „Wir sind die Generation, die nichts erlebt“. Doch die Geschichte geht auch in Chile weiter. In den letzten Jahren haben Studierende und Indigenas mit ihren Protesten deutlich gemacht, dass auch dort das Ende der Geschichte nur eine Konstruktion ist. Und auch die Untergrundkünstler finden am Ende einen Weg, ihr Projekt doch weiterzuführen. Die chilenische Theatergruppe und die fünf Schauspieler_innen haben in ihren Stück viele Probleme angesprochen, die man in hiesigen Theaterproduktionen oft vergeblich sucht.

Peter Nowak

http://www.schaubuehne.de/uploads/FIND14_Zeitung_Deutsch.pdf

Die junge chilenische Theatergruppe La Re-sentida erzähltdie Geschichte einer Gruppe von Schauspielern, die ausProtest gegen die Regierung in den Untergrund gegangensind.

Regie: Marco Layera | Bühne: Pablo de la Fuente | Kostüme: Carolina Sandoval | Mit: Carolina Palacios,Pedro Muñoz, Benjamín Westfall, Nicolás Herrera, Ignacio Yovane

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Geschrieben von

Peter Nowak

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