Eine unabgegoltene Geschichte

Rebellisches Schlesien In dem Film wird eine Region, die oft mit deutschnationalen Ansprüchen konnotiert ist, als Ort von Kämpfen und Streiks vorgestellt.

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Der Titel mag manche Linke irritieren. Denn wenn es um Schlesien geht, sind oft die Vertriebenenverbände nicht weit und deren Rebellion gegen die Anerkennung von historischen Tatsachen nach der Niederlag des NS ist manches noch in schlechter Erinnerung. Doch darum geht in dem Film nicht. Er ist vielmehr eine einstündige Lektion in Geschichte von Unten in einer Region in Polen, die einmal Schlesien hieß. Der Film beginnt am Ende der Epoche, die die Historiker_innen aus Verlegenheit Mittelalter genannt haben. Der Begriff soll nur dazu diesen, eine Brücke zwischen der Antike und der Neuzeit herzustellen. Was weniger bekannt ist: Mitte des 16. Jahrhunderts gab es wichtige Neuerungen im Bergbau, aber auch massive Kämpfe der Beschäftigten. Mit den blutig niedergeschlagenen Protesten der Bergleute beginnt der Film und endet in den 90er Jahren als sich erneut Lohnabhängige gegen die Abwicklung ihrer Arbeitsplätze wehren. Dazwischen finden sich fast 500 Jahre Geschichte von Unten am Beispiel einer Region, die ein Zentrum der Arbeiter_innenklasse war.

Abwechselnd auf deutsch und polnisch berichten die Chronist_innen von den unterschiedlichen Kämpfen. Was sich viele Jüngere vielleicht nicht vorstellen können. Es gab ein Leben vor dem Internet und auch damals verbreitete sich die Kunde von Streiks, Kundgebungen und Demonstrationen schnell. Dafür sorgten unter Anderem Lieder, in denen die Kämpfe besungen, Ausbeuter_innen verspottet und Opfer der Repression des Staates und der Polizei besungen wurden. Wir lernen in dem Film auch davon einige dieser Lieder kennen.

Die beste Gedenkpolitik ist die Fortsetzung der Kämpfe

Regisseur des Filmes, der bereits vor Wochen in Katowice Premiere hatte, ist Dariusz Zalega. Er stößt damit auch eine Diskussion über eine Gedenkpolitik an. Schließlich gibt es bis heute keinen Erinnerungsort für die 17 vom Militär während eines Streiks im Januar 1919 Ermordeten. Sie demonstrierten für Lohnerhöhungen im damaligen Königshütte, dem heutigen Chorzów, als das Militär schoss. Nun sollte sich in Deutschland bloß niemand über eine ungenügende Gedenkpolitik in Polen empören. Für die über 40 Toten, die vor Januar 1920 vor dem Reichstag erschossen wurden, als Berliner Arbeiter_innen gegen die Entmachtung der nach der Novemberrevolution gestärkten Arbeiter_innenräte protestieren, gibt es bis heute ebenfalls keinen Erinnerungsort. Es gäbe viele Beispiele mehr. Rebellisches Schlesischen macht an einen Landstrich deutlich, dass es eine Geschichte der Kämpfe und Revolte gab, die durchaus nicht abgeschlossen ist. Wenn wir uns mit ihr auseinandersetzen, sollten wir uns auch fragen, ob wir die unabgegoltenen Forderungen der damaligen Kämpfe heute nicht noch immer aktuell sind. So sollte eine aktuelle Beschäftigtung mit der rebellischen Geschichte in Schlesien und anderswo nicht bei einer Diskussion über Gedenkorte stehen bleiben Am besten erinnern wir an die Kämpfe und die, die daran beteiligt waren, die in diesen Kämpfen verfolgt, verwundet und ermordet wurden, wenn wir die damaligen Forderungen heute wieder aufnehmen und dabei auf darauf verweisen, dass dafür schon lange vor uns Menschen auf den Barrikaden gestanden haben. Es ist die alte Frage, woher wir kommen, wohin wir gehn. Dafür ist es notwendig, dass wir die Kämpfe von damals kenne, dass wir mehr über die Protagonist_innen erfahren, ihre Träume, ihre Utopien, ihre Erfolge und ihre Niederlagen. Daher sind Filme wie „Rebellisches Schlesien" so wichtig. Nachdem der Film vor einigen Wochen in Polen Premiere hatte, ist er jetzt, übersetzt von Norbert Kollenda, auch in Deutschland zu sehen. Am 12. 4. wird der Film um 19 Uhr im Lichtblickkino gezeigt. Im Anschluss diskutieren Kollenda und linke linken DDR-Oppositionelle und Gewerkschafter Bernd Gehrke über eine unabgeschlossene Geschichte, die in dem Film zu sehen ist.

Peter Nowak

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Rebellisches Schlesien

Geschichten über soziale Kämpfe in Oberschlesien

Eine Geschichte ohne Ende

Im Lichtblick Kino

Kastanienallee 77, 10435 Berlin

Telefon:030 44058179

http://www.lichtblick-kino.org/film/dokumentarfilm/Rebellisches_Schlesien

Aufführungstermine:

Di 12.04.19:00 Uhr

mit anschließender Diskussion mit Norbert Kollenda und Bernd Gehrke

Do 14.04.18:45 Uhr

Sa 16.04.17:00 Uhr

So 17.04.15:00 Uhr

Do 21.04.17:00 Uhr

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Autor: Dariusz Zalega/ Katowice 2015 Realisierung: OM Studio Filmowe Producent: Grupa Twórcza OCOCHODZI

Übersetzt und Bearbeitet: Norbert Kollenda - Sprecherin: Bibiana Malay - Ton: Mathias Ramson

60 Minuten

Die Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt hat die Realisierung des Filmes unterstützt

Hier gibt es Informationen zum Film auf deutsch und polnisch:

http://zbuntowanyslask.eu/index.php?id=rebellisches-schlesien

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Geschrieben von

Peter Nowak

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