Ende der (Volks)vertretung

Rebecca Sommer Das Theater der AFD-Besucher*innen im Parlament muss man verurteilen, ohne in das Lamento über die Würde des Parlaments einzustimmen

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Die Bloggerin und Autorin Rebecca Sommer war bisher nur wenigen bekannt. Manche Mitstreiter*innen von Sommer, als sie sich noch als Flüchtlingshelferin in Berlin engagierte, beschrieben im März 2019 ihren Weg nach rechts. Mit ihrem Blog Basisinitiative erregte Sommer einiges Aufsehen, weil der sich als ein Forum von Menschen vorstellt, die in verschiedenen Funktionen mit Migranten Kontakt hatten und eine Vermittlung europäischer Werte für die Zuwanderer forderten. Allerdings gab es dort damals noch Links zu Dokumenten wie den Wiener Appell oder der Kritischen Islamkonferenz, die aus einer Position des Säkularismus den politischen Islam kritisierten und von rassistischen Positionen abgrenzen. Doch wer Rebbeca Sommers Texte bei Tichys Einblick über den Brand im Flüchtlingslager Moria liest , wird keine Distanz mehr zur Diktion der Ultrarechten erkennen. Der gesamte Text strotzt von rechten Ressentiments gegenüber den Geflüchteten und ihren Unterstützer*innen. So ist Rebecca Sommer in rechten Kreisen bekannt geworden. Seit vergangenen Mittwoch ist sie bundesweit als die Frau im roten Kleid bekannt, die den CDU-Bundestagsabgeordneten Altmaier fotografiert und beschimpft habe.

Mit rechten Vokabular gegen Rechte?

So unschön es ist, wenn Rechte sich im Bundestag positionieren, so übertrieben ist auch die Aufregung und vor allem die Wortwahl, mit diese Aktion kommentiert wird. Wenn davon gesprochen wird, dass da "Störer eingeschleust" wurden, dann denkt man gleich an den diffamierenden Begriff des Schleusers, der gegen Menschen verwendet wird, die Geflüchtete oder Menschen in Not in sichere Gefilde bringt. In manchen Situationen werden solche Menschen auch Fluchthelfer*innen genannt .Bei Rebecca Sommer und Co. trifft der Begriff überhaupt nicht zu. Sie wurden nicht in den Bundestag geschleust, sondern wohl von einigen AfD-Bundestagsabgeordneten eingeladen. Es ist ja üblich, dassdie Bundestagsabgeordnete Menschen ihrer Gesinnung einladen. Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass mehr oder weniger ungebetene Besucher im Bundestag für Schlagzeilen sorgen. Erst vor einigen Wochen nutzten Klimaaktivist*innen den Bundestag für eine Protestaktion, auch im letzten Jahr gab es ähnliche Aktionen.

Als die Grünen noch jung waren - die Blutspritzeraktion

In der Vergangenheit haben auch schon Gäste von Bundestagsabgeordneten der Linken bzw. der PDS oder in früherer Vergangenheit auch der Grünen fürSkandale gesorgt. Als die Grünen noch frisch waren, sorgtensogar die Abgeordneten selber die Aufregung. So hat 1983 der hessische Landtagsabgeordnete der Grünen Frank Schwalba-Roth bei einem Empfang im hessischen Landtag einen US-General mit selbst gezapften Blut bespritzt. Bei Teilen der Friedensbewegung kam die Aktion gut an, bei vielen Politikern der Grünen weniger.

Nötigung von Bundestagabgeordneten – alter Vorwurf

Der Vorwurf, Bundestagabgeordnete zu nötigen, ist auch schon alt und wurde vor allem gegen Linke immer wieder erhoben, wenn sie gegen bestimmte politische Maßnahmen in Parlamentsnähe protestierten. Noch 2013 reagierten einige Bundestagsabgeordnete empört, wenn sie an eine der letzten großen politischen Aktionen vor dem Bundestag in Bonn erinnerten. Es waren die Blockaden von antirassistischen Gruppen und Flüchtlingsinitiativen gegen die massive Stutzung des Asylrechts im Jahr 1993. Auch damals sahen Medien und Politik das Parlament in Gefahr. Das las sich dann so:

"Der Bundestag ist umstellt, abgeriegelt von der hoheitlichen Gewalt gegen Demo-Gewalt, aber auch umgekehrt, abgeriegelt von Chaoten, die viele Bedienstete mit Anpöbeleien und Gewalt am Gang zum Arbeitsplatz hindern", schreibt der GA-Korrespondent.

Aus dem Bonner Generalanzeiger

Solche Töne waren immer dann zu hören, wenn sich politische Interessengruppen in Sichtweise des Bundestags Gehör und Platz verschafften. Nur handelte es sich dabei bisher in der Regel um linksoffene Proteste. Es ist auch ein bedenkliches Zeichen für den Bedeutungsverlust linker Opposition, wenn nun rechtsoffene Personen im Mittelpunkt der Aufregung um Parlamentsschädigung stehen. Dieser Bedeutungsverlust wird verstärkt, wenn Linke reflexartig in den Kanon der Empörten einstimmen, die lamentieren, dass die Würde des Bundestags beschädigt und ein gewählter Abgeordneter bedrängt wurde. Wenn vom Gewissen der Abgeordneten die Rede ist, dass ist damit erst einmal nur gemeint, dass ein Abgeordneter bei seinen Entscheidungen niemand rechenschaftspflichtig ist, auch nicht seinen Wähler*innen. Und viele dieser Entscheidungen, die auch von Altmaier und Co. mit abgestimmt wurden, beschädigen die Würde von Menschen. So verletzten die Hartz IV-Gesetze die Würde von Erwerbslosen und prekär Beschäftigten permanent, die Asylverschärfungen verletzen nicht nur die Würde sondern die körperliche Unversehrtheit von Migrant*innen. Das sind nur einige Beispiele. Diese Abgeordneten, das sollen zumindest Linke nicht vergessen, sind ein wichtiger Teil des Staatsapparats eines kapitalistischen Staates und damit Teil einesUnterdrückungsapparat.

Diskussionen über imperative Mandate oder Räte

Eine Linke sollte bei aller Kritik an den rechten Gästen im Bundestag nicht ihre eigene Kritik an den Prinzipien eines bürgerlichen Parlaments vergessen, wo ein Parlament ein imaginiertes Volks vertritt, aber die Bevölkerung allerhöchstens zum Applaudieren erwünscht ist. Sonst mutiert sie schnell zu Störer*innen, der lange Zeit in der Regel von links, manchmal aber auch von rechts gekommen sind. Manchmal waren die Störer sogar der Bundesregierung sehr erwünscht, beispielsweise als zwei angebliche aus sowjetischer Gefangenschaft entlassene ehemalige Wehrmachtsoldaten 1950 den KPD-Bundestagabgeordneten Max Reimann bei einer Rede im Bundestag nicht nur verbal angriffen. Sie kamen als Gäste von CDU-Abgeordeten in den Bundestag. Doch meistens waren Parlamente in aller Welt das Ziel von politischen Bewegungen, die Änderungen erzwingen wollten. Meistens blieben sie selber in bürgerlichen Vorstellungen verfangen und lamentierten wie auch Rebecca Sommer über ein angeblich fehlendes Gewissen von Abgeordneten. Es gab aber in der Geschichte immer wieder Bewegungen, die bei einen solchen Lamento nicht stehen geblieben sind. So wurde in revolutionären Zeiten das imperative Mandat von Abgeordneten diskutiert, die dann nicht mehr ihren Gewissen, sondern ihren Wähler*innen verantwortlich wären. Noch weiter gehen Konzepte einer Rätedemokratie, die überhaupt infrage stellen, dass ein Parlament ein imaginiertes Volk vertreten soll. Sie orientieren sich an dem Diktum von Karl Marx in der Nachbetrachtung der Pariser Kommune, dass die alte Staatsmaschine zerschlagen werden muss und mit den Räten endlich eine neue Form der Selbstverwaltung gefunden wurde. Es gab bereits eine Reihe von rätedemokratischen Modellen im Praxistest. Der begann oft damit, dass Gruppen von Aufständischen das alte Parlament, oder was sich dafür ausgab, besetzten. In Russland im Jahr 1917 waren es organisierte Arbeiter*innen von Petersburger Fabriken wie den Putilow-Werken, wie man in den im Verlag „Die Buchmacherei“ herausgegebenen Protokollen (https://diebuchmacherei.de/produkt/aufstieg-und-fall-der-arbeitermacht-in-russland/) der Betriebskomitees gut nachlesen kann. Daran knüpften in den letzten Jahren auch in verschiedenen arabischen und lateinamerikanischen Staaten, aber auch in Griechenland und Spanien, politische Bewegungen an, die mit der Parole „Alle sollen verschwinden“ ihre grundsätzliche Ablehnung dieser staatlichen Institutionen ausdrückten. Daher sollte man bei aller Kritik an den Theater von Rebecca Sommer und Co. nicht vergessen, diese lange herrschaftskritische Tradition gibt, die bewahrenswert ist. Wenn sich rebellische Lohnabhängige, Black Lives Matter- und Klimaaktivist*innen zu "Räten des schönen Lebens" zusammenschließen und den Bundestag besetzen würden, dann würden sie nicht das mangelnde Gewissen der Parlamentarier*innen lamentieren. Dann wäre ein altes Ziel der Rätebewegung nah, das Ende der (Volks)vertretung.

Peter Nowak

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Geschrieben von

Peter Nowak

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