Er schrieb als wäre er im Jahr 2006

Peter Weiss 100 Der deutsch-schwedische Schriftsteller gilt oft als aus der Zeit gefallen. Dabei zeigt das Festival, das noch bis 8.10. in Berlin geht, wie gegenwärtig er leider ist.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Der Bericht über Politiker_innen, die Geflüchtete mit Zwang zurück in die Diktatur deportierten, aus der sie geflohen waren, über Medien, die tagtäglich vor Migrant_innen warnten und alles unterstützen, was ihr Land weiter abschottete, scheint wie aus dem Europa des Jahres 2016 geschrieben. Doch es war kein aktueller Text, den die Schauspieler_innen Nina Kronjäger und Robert Stadlober am Sonntagabend im Berliner Theater Hebbel am Ufer (HAU) vorgetragen hatten. Sie lasen aus den Roman „Die Ästhetik des Widerstands“ auf der Konferenz „Peter Weiss 100“ (http://www.hebbel-am-ufer.de/programm/festivals-und-projekte/2016-2017/peter-weiss-100/ ), die sich noch bis zum 8.10. an drei Theaterorten in Berlin der Aktualität eines Schriftstellers widmet, der wie kein Zweiter für eine Synthese von Kunst und Revolution stand. „Ästhetik des Widerstands“ war kein Buch von Intelektuellen für Intelektuelle. Tausende Gewerkschafter_innen haben seit den 1980 er Jahren an Lesekreisen mit dem Roman teilgenommen. Sie haben damit praktisch mit umgesetzt, was das zentrale Thema des Buchs ist. Proletarier_innen erobern sich die Welt von Kunst und Kultur, um die besser kennenlernen und verändern zu können. Vor 40 Jahren war dieser Kampf der Proletarier_innen um Bildung durchaus nicht akademisch. Die Welt des Proletariats, dass Weiss schildert, kannten sie aus eigenen Erleben In der Zwischenzeit haben sich die Arbeitsbedingungen zumindest in Mitteleuropa so weit verändert, dass viele nicht mehr von Klassenverhältnissen sprechen wollen. Die Lektüre von Peter Weiss ging zurück, die Kurse, in denen Arbeiter_innen Weiss lesen, um die Welt kennenzulernen, sind selten geworden.

Vor dem Faschismus

Peter Weiss sei aus der Zeit gefallen, schlicht altmodisch wurde von Konservativen und Postmodernen in den Feuilletons nach 1989 behauptet. Doch das Berliner Festival zu seinem 100ten Geburtstag zeigte, wie absurd diese Behauptung ist. Peter Weiss ist im Gegenteil erschreckend aktuell, was nicht nur der oben erwähnten Textauszug deutlich machte. Die Aktualität ist deshalb so erschreckend, weil der Romanauszug, der oben zitiert wurde. in einer Zeit spielt, in der die Faschismen in aller Welt scheinbar nicht mehr aufzuhalten waren. Die Menschen konnten nur noch demoralisiert zusehen, wie die Spanische Republik von Nazis und Faschisten zerstört wurde und die Konservativen in den europäischen Ländern schon darauf warteten, mit den siegreichen Rechten zu kooperieren. Während in Barcelona nach dem Einmarsch der Francotruppen Hunderte Verteidiger_innen der spanischen Republik massakriert wurden, standen die Vertreter_innen der sogenannten demokratischen Wirtschaft Schlange, um von den neuen Machthaber_innen in Spanien empfangen zu werden. Die Profite der Konzerne wurden schließlich vom Franco-Regime garantiert. Während in Deutschland die Synagogen brannten, werden nach Schweden geflohene jüdische Familien zwangsweise zurück geschickt. Jüdinnen und Juden rangierten in der öffentlichen Meinung gleich hinter Kommunist_innen, was ihre Ablehnung betrifft. Weiss zeigt in dem Roman auch auf, wie sich aus einer linken Aufbruchsstimmung eine große Depression wurde. Am Beginn des Romans treffen sich drei junge Linke vor dem Pergamonaltar in Berlin. Sie sind entschlossen die spanische Revolution zu verteidigen und auf diesen Weg nicht nur dem Vormarsch des Faschismus und Nationalsozialismus zu stoppen, sondern auch den Sozialismus aus den tödlichen Klauen der stalinistischen Konterrevolution zu reißen. Und überall auf der Welt ließen sich Menschen von dieser Begeisterung anstecken und unterstützten die spanische Revolution oder die Republik.

Stalin, der Feind bist Du

In von der weltweiten Hoffnung durch eine weltweite Bewegung von unten, die die Faschisten nicht durchkommen lassen wollte, bis zu deren Niederlage ist der Bogen gespannt, den Peter Weiss in dem Roman skizziert. Auch die Stalin’sche Konterrevolution wird bei Weiss nicht ausgespart. Die Namen von bekannten Bolschewiki werden nur noch geflüstert. Sie standen im Roten Oktober auf den Barrikaden, sie waren wichtige Protagonist_innen der Kommunistischen Internationale. Jetzt sind inhaftiert und werden beschuldigt, die Konterrevolution anzuführen. Und dann ist da Willi Münzenberg, der uns in dem Roman immer wieder begegnet. Als junger Mann hat er in der Schweiz Lenin kennenlernt. Er war mit ihm Teil jener linken Sozialdemokrat_innen, die sich weigerten im 1. Weltkrieg Burgfrieden mit Staat, Kapital und Nation zu machen. Die Bolschewiki waren der vorwärtsweisende Teil dieser revolutionären Teile der Arbeiter_innenbewegung. Als der Oktoberaufstand in Russland siegte und die junge Sowjetrepublik als Fortsetzung der Pariser Kommune das revolutionäre Signal in alle Welt aussandte, es kann eine Welt ohne Herren und ohne Knechte geben, begann Münzenberg dafür zu arbeiten, dass dieser Traum Wirklichkeit wird. Die junge Sowjetrepublik wurde nicht im Blut erstickt von den alten Mächten wie die Pariser Kommune. Sie überlebte und versuchte in den ersten Jahren immer wieder die Unterdrückten der Erde aufzurufen, mit ihrer Bourgeoisie ebenfalls Schluss zu machen und die sozialistische Weltrepublik aufzubauen. Es kam anders. Die Sowjetunion überlebte, verstricke sich in Realpolitik und aus dem revolutionären Impuls der Anfangszeit wurde eine bürokratische Herrschaft, die schließlich in die Stalin‘sche Konterrevolution mündete. Am Ende wurde auch Willi Münzenberg ihr Opfer. Am Ende seines Lebens schleuderte er den neuen Herrscher in Moskau sein „Stalin, der Feind bist Du“ entgegen. –Wenige Wochen später wurde er tot in Frankreich aufgefunden. Ermordet von Faschist_innen, Stalinist_innen oder Selbstmord, das ist bis heute ungeklärt. Wie ein roter Faden zieht sich die Vita von Willi Münzenberg durch den Roman „ Die Ästhetik des Widerstands“. Insofern ist der Roman klar antistalinistisch. Aber er lässt auch den Kommunist_innen Gerechtigkeit widerfahren, die der Propaganda von Stalin und Co. glaubten, die auch dann glaubten, die Partei kann nicht irren, als die Bolschewiki der ersten Stunde in die Gefängnisse und vor die Erschießungskommandos wanderten. Auch sie haben sich in Spanien den Faschisten entgegen gestellt, auch sie haben an den verschiedenen Fronten die spanische Republik verteidigt, die Revolution Barcelona und Katalonien aber unterdrückt.

Warum wir von Peter Weiss mehr für eine neue Linke lernen kennen als von Ilija Trojanow

Das unterscheidet Weiss beispielsweise von dem Publizisten Ilija Trojanow (http://trojanow.de/ ), der immer wieder sehr prägnante Analysen über den real existierenden Kapitalismus liefert. Wenn es aber um die Geschichte geht, sieht er die Bolschewiki nur als Feinde, verteidigt sogar die Lenin-Attentäterin Vera Kaplan und bedauert in einer Veranstaltung im Buchladen Schwarze Risse in Berlin auf Nachfrage, dass es nicht analog zu den Nürnberger Prozessen gegen den NS auch ein solches Tribunal gegen den Bolschewismus gegeben hat. Damit bewegt sich Trojanow aber genau in dem Denkschema der Autor_innen des „Schwarzbuch Kommunismus“ und der Initiator_innen eines Gedenktages für die Opfer des Stalinismus und Nationalsozialismus am 23. August, was von linken Kritiker_innen des Stalinismus zurückwiesen wird. Trojanow billigt Stalinist_innen nicht zu, dass sie einmal revolutionäre Ideale hatten, sie waren Feind von Anfang an. Damit aber macht er es sich einfach, in dem er die Frage gar nicht zulässt, wie aus Menschen, die Teil der revolutionären Arbeiter_innenbewegung waren, die auf den Barrikaden dieser Welt kämpften, die in vielen Kerkern litten, später Teil der Stalin'schen `Terrormaschine wurden. Diese Frage aber müssen wir uns stellen, wenn wir eine linke Perspektive des 21. Jahrhunderts entwickeln wollten, die einen Rückfall in autoritäre Herrschaftsverhältnisse ausschließen soll. Mit Weiss können wir solche Vorstellungen entwickelt, weil er die Stalinist_innen ernst nimmt und nicht nur als Feinde von Anbeginn wie Trojanow klassifiziert. Dann brauchen wir uns nämlich gar nicht mehr die Frage stellen, wie Kämpfer_innen gegen de Unterdrückung selber zu autoritären Herrscher_innen werden können. Das ist ein Plädoyer das Peter Weiss-Festival zu besuchen, dass noch bis zum 8.10. in den drei Gebäuden des HAU in Berlin, in der Galerie District (http://www.district-berlin.com/current.php?categorie_id=24 ) in der Schöneberger Malzfabrik und ins Kino Arsenal (http://www.arsenal-berlin.de/kalender/filmreihe/article/6209/2796.html) Theateraufführungen, Filme, Diskussionen und Installationen bietet. Unter dem Titel "Eine Arbeiterin wird Schriftstellerin. MASCH, Agitprop, Margarete Steffin." (http://district-berlin.com/detail_full.php?categorie_id=19&article_id=264 ) erinnert die Künstlerin Ina Wudtke (www.inawudtke).com am Sonnabend 15. Oktober 2016 um 19 Uhr im Karl Liebknecht Haus an eine Kommunistin, die eine wichtige Rolle für die Arbeit von Berthold Brecht gespielt hat und von Peter Weiss in dem Roma gewürdigt wurde.

Wer noch nichts von Peter Weiss gelesen hat, denen sei eine der Lesungen im Rahmen des Festivals empfohlen. Sie motivieren dazu, das Buch zu lesen oder wieder zu lesen. Daneben gibt es weitere Veranstaltungen zum NSU und zur „Wiederkehr des europäischen Faschismus“, die von der Publizistin Bini Adamczak (https://www.unrast-verlag.de/gesamtprogramm/allgemeines-programm/anarchie-autonomie/kommunismus-178-detail ) kuratiert wurden. Der Titel wurde von vielen Referent_innen, unter Anderen der Historiker Zeev Sternhell, die Publizisten Thomacz Konicz Boris Buden und die Politikwissenschaftlerin Hanna Lichtenberg, aus unterschiedlichen Gründen kritisiert. So different allein der Begriff Faschismus schon von ihnen gesehen wurde, eines war doch klar. Die Faschismen konnten sich immer nur dort durchsetzen, wo die revolutionäre Arbeiter_innenbewegung zerschlagen wurde und meist war dies die erste Bluttat der Faschisten, bevor sie als solche firmierten. Erinnert sei an die Zerschlagung der Fabrikkämpfe und Streiks durch die Faschisten in Italien, die Morde der Freikorps in den Jahren 1919 bis 1921 an revolutionären Arbeiter_innen in der Weimarer Republik oder die Zerschlagung von spanischer Revolution und Republik durch den Internationalen Faschismus. Daher der Aufruf, lest Peter Weiss nicht nur als Buch einer abgeschlossenen historischen Epoche. Es ist ein Roman, der leider zu aktuell ist.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden