Erinnerung an einen Apo-Theoretiker

Dutschkismus Carsten Prien leistet eine gute Einführung in die theoretische Arbeit von Rudi Dutschke, läßt aber gelegentlich eine kritische Distanz zu ihm vermissen.

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Rudi Dutschke ist heute vielen als wichtiger Kopf des studentischen Teils der außerparlamentarischen Bewegung bekannt. Dabei sind allerdings weniger seine theoretischen Schriften in Erinnerung. Bekannt ist das Attentat eines Neonazis auf ihn am 11. April 1968, das wesentlich zur Radikalisierung der außerparlamentarischen Bewegung führte. Den Beweis, dass der von Dutschke propagierte Marsch durch Institutionen in die Grüne Partei führen musste, wollen natürlich vor allem die heutigen Protagonist_nnen der längst neoliberal gewendeten Partei führen. Was würden die grünen DutschkefreundInnen wohl zu jenem Zitat sagen?

„ Sozialismus, jene Übergangsperiode der gesellschaftlichen Aufhebung des Wertgesetzes, ist ein Vergesellschaftungsprozess, ist nicht eine Brechung der Selbstinitiative, sondern deren qualitative Erweiterung“-

Es findet sich auf der ersten Seite eines Buches, dass der Hamburger Journalist Carsten Prien im Ousia Verlag herausgegeben hat und in die theoretische Arbeit Dutschkes einführt. Für alle, die von ihm nur das Bonmot über den Marsch durch die Institutionen kennen, ist es auf jeden eine Herausforderung. Denn Prien stellt Dutschke theoretische Arbeiten in die linkskommunistische Tradition neben einen Karl Korsch und Georg Lukacz. Prien liefert auf knapp 50 Seiten eine gut lesbare Einführung in die theoretische Arbeit Dutschkes. Dabei geht es um die Selbstbewusstsein der Klasse ebenso wie um die Organisationsfrage und Dutschkes christlichen Anteile in seinen Sozialismusverständnis.

Kritik schnell abgebügelt

Auch die heftig diskutierten Arbeiten Dutschkes zur nationalen Frage blendet Prien nicht aus. Allerdings wird an diesem Punkt auch deutlich, dass Prien den irritierenden Titel wohl doch nicht nur ironisch meint und tatsächlich einen Dutschkismus begründen will und dabei Kritik schnell abbügelt. So ist für ihn das Etikett „linker Nationalismus“ nur ein Vorwurf von Wolfgang Kraushaar vom „Hamburger Institut für Sozialforschung“. Dass antinationale Kritiker_innen bereits in den 70er Jahren Dutschkes Liebäugeln mit der nationalen Frage kritisierten und darauf aufmerksam machten, dass er damit zu einem Stichwortgeber auch für manchen Rechten wurde, blendet Prien hier aus. Ist er nicht der Meinung, dass die von ihm zitierten Vorstellungen Dutschkes einer sozialistischen Wiedervereinigung als „revolutionäres Kettenglied des Angriffs auf Spätkapitalismus und Revanchismus“ im Jahr 2015 kritisch betrachtet werden müsste?

Schwerpunkt des Buches ist der Nachdruck eines Aufsatzes „Über die allgemeine reale Staatssklaverei“, den Dutschke in den Jahren 1977 und 1978 gemeinsam mit den KPD-Veteranen und späteren scharfen Kritiker des Stalinismus Günther Berkhahn verfasst hatte. Beide Autoren greifen dabei eine in den 70ern viel diskutierte Theorie von Marx auf, dass in Russland historisch bedingt die asiatische Produktionsweise dominierend gewesen sei und sich ein Kapitalismus nicht entwickeln konnte. Im Stalinismus hätten sich nach dieser Lesart die „allgemeine Staatssklaverei“, die für Marx für die asiatische Produktionsweise kennzeichnend sei, mit der Bürokratie verbunden. Es ist verdienstvoll, dass Prien hier eine fast vergessene Debatte der antistalinistischen Linken wieder zugänglich macht. Doch auch hier wäre eine kritischere Rezeption notwendig, wenn in dem Text von Berkhahn und Dutschke mehrmals das Adjektiv mongolisch-moskowitisch dem Adjektiv westlich entgegengesetzt wird. So kann schnell aus einer ökonomischen Analyse, die Marx im Sinne hatte, ein Kulturkampf werden. Bereits Ende der 70er Jahre wurde der Text benutzt, um vor einem Nachgeben der Nato, die hier als der Westen fungierte, vor der "mongolisch-asiatischen" Sowjetunion zu warnen. Manche Formulierungen in dem Text leisten einen solchen Kulturkampf Vorschub. Es sollte bei einer Wiederentdeckung des historischen Textes vermieden werden, dass er als Blaupause für einen neuen Kulturkampf im Zeichen des Ukrainekonflikts genutzt wird.

Peter Nowak

Prien Carsten (Hg.) Dutschkismus, Ousia Verlag, 2015, 164 Seiten, ISBN: 978-3-944570-57-0, 10 Euro

http://www.ousia-verlag.de/rudi-dutschke/dutschkismus/

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Geschrieben von

Peter Nowak

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