Ermordet in einer Kaufhalle

Kiomars Javadi Wenn dieser Tote ein Deutscher gewesen wäre, dann wäre er heute nicht tot, denn sein Leben wäre nicht da eines Flüchtling gewesen, den sein Elend zu Fall bringt. E. Fried

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Tausende vor allem junge Menschen sind im letzten Jahr auch in Deutschland nach dem Tod von George Floyd auf die Straße gegangen. Ein weißer Polizist hat 12 Minuten auf seinen Nacken gekniet und ihn erstickt. Er ist mittlerweile zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden.

Wohl kaum jemand dürfte bekannt gewesen sein, dass im Jahr 1987 in der süddeutschen Universitätsstadt Tübingen der iranische Geflüchtete Kiomars Jamadi von einem Mitarbeiter des Lebensmittelhandels Pfannkuch erstickt wurde. Er kniete 18 Minuten auf seien Gesicht. Der Film "18 Minuten Zivilcourage" dauerte genau solange, wie der Todeskampf des Mannes, der vor dem Terror des islamistischen Regimes geflohen war, andaurte. Am Beginn sehen wir die Uhrzeit. Es war ein Nachmittag im Sommer 1987, als Kiomars Javadi im Lebensmittelladen bemerkte, dass sein Geld für die Waren nicht reichte, die er in seinen Einkaufswagen gestapelt hatte. Er nahm daher nur einen Teil seies Einkaufs, bezahlte es und ließ den Rest im Wagen. Er hat sich also völlig korrekt verhalten. Trotzdem hatten die völkischen Beobachter*innen im Lebensmittelladen Javadi längst als Fremden ausgemacht und lautstark gezetert, er habe Waren im Korb gelassen. Darauf wurde er von Angestellten des Marktes brutal gepackt und in einen Hinterraum getragen. Er konnte in den Hof fliehen und wurde dort von den Augen vieler Kund*innen von einen Mitarbeiter erstickt.

"Den lassen wir nicht mehr los"

Im Film, der sich jeglicher Polemik enthält, kommen ein Augenzeuge zu Wort, die eingreifen wollten und riefen, der Mann sollte sein Opfer loslassen. Er bekam zu hören: "Den lassen wir nicht los". Er solle sich nicht einmischen, sonst bekäme er selber „in die Gosch“. Der Mann mit Zivilcourage sagt selber, er sei auch Ausländer und mit ihm hätte eine kleine Gruppe gegen den Mord auf offener Bühne protestiert. Die große Mehrheit hingeggen habe zugeguckt, wie der Mann, der vor dem Terror des islamistischen Regimes geflohen war, erstickt wurde. Der Film dauert genau so lange, wie der Todeskampf von Kiomars Javadi. Der Mörder und seine Helfer*innen wurden anders als George Flyod nicht verhaftet. Vielmehr wurde den Toten von der Polizei noch Handfesselns angelegt, als sie nach getaner Mordtat eintraf.

Ein furchtbar deutscher Richter

Den Richter interessierte dann, ob Pfannkuch durch die Medienberichterstattung nach dem Mord Schaden entstanden sein könnte. Ob er womöglich die Witwe des Getöteten dafür noch belangen wollte? Bei ihrer Zeug*innenaussage wies er sie mit den Worten zurecht: "Mäßigen Sie sich, auch wenn sie aus dem Orient kommen“. Kein Wunder, dass ein solch furchtbar deutscher Richter den Mörder zu einer Bewährungsstrafe verurteite. Im Film kommen dann die „normalen Tübinger*innen zu Wort, als die Pfannkuch-Filiale, also der Tatort, nach einer Pause wieder eröffnet wurde. Die meisten regten sich nicht über den Tod des Mannes auf, sondern über die Schließung ihres Landes. Ein Mittvierziger zitierte zudem das Alte Testament, um den Mord zu rechtfertigen. Schließlich stünde dort, man könne einen Mann töten, wenn man ihn auf frischer Tat ertappt, nicht aber einige Stunden später. Dass hier von dem Opfer gar keine Straftat verübt wurde, spielte natürlich keine Rolle. Die Filmemacher*innen enthielten sich jeden Kommentars. Das macht aber um so eindringlicher den Alltagsrassismus im Tübingen im Sommer 1987 deutlich. Nur zwei Personen vertreten im Film Positionen einer selbstverständlichen Menschlichkeit. Im Film wird auch deutlich, dass es nach der Tat Proteste und Mahnwachen von Flüchtlingsorganisationen und Antirassist*innen vor dem Tatort gegeben hat. Umso erstaunlicher, dass dieser Mord auf offener Bühne vor knapp 34 Jahren heute fast völlig aus dem Bewußtsein verdrängt wurde. Selbst als vor 7 Jahren in einer Edeka-Filiale in Berlin-Lichtenberg ein Ladenmitarbeiter am 17.September 2017 einen osteuropäischen Mann mit Quarzhandschuhen ermordete, weil er angeblich etwas geklaut hatte, wurde an den Tübinger Mord, an Kiomars Javadi nicht erneut erinnert. Das hat sich erst geändert, weil das Filmhaus Arsenal in ihrer Reihe Forum Expanded im Rahmen der Berlinale 2021 den Film "18 Minuten Zivilcourage" wieder ausgegraben hat. Es ist erfreulich, dass so das Gedächtnis an ein deutschs Verbrechen wieder erinnert wird. Denn es ist auch diese Amnesie, die dazu geführt hat, das selbst erklärte Linke, die Mordserie des NSU lange nicht als Taten von Neonzais erkannten. Anders als viele Migrant*innen, die bereits im Jahr 2006 eine Demonstration unter dem Motto „Kein zehntes Opfer“ nach dem Mord an Halit Yozgat in Kassel organisiert hatten. Für die Opfer aller rechten Gewalt gilt, was der jüdische Dicher Erich Fried in einem Gedicht nach dem Mord in Tübingen geschrieben hat: Der jüdische Flüchtling vor den Deutschen beginnt es mit dem Satz: "Die Geschichte von Kiomars und ich". Weitere Zeilen von Erich Fried finden sich in der Einleitung.

Peter Nowak

Hier ist eine gute Zusammenfassung zum Mord an Kiomars Javdi zu finden:

http://unvergessen.blogsport.de/javadi-kiomars/

Dort finden wir auch die Informationen, dass 2007, also zum 20 Jahrestag des Mordes auf offener Bühne, der Versuch scheiterte, am Tatort an den Ermordeten zu gedenken. So viel hat sich als nicht geändert in Deutschland seit 1987.

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Geschrieben von

Peter Nowak

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