Esso-Häuser sind überall

"buy buy St. Pauli" Ein Film zeigt den jahrelangen Kampf um die Hamburger Esso-Häuser, der bundesweit Aufsehen erregt. Die ehemaligen Bewohner mussten ausziehen, doch die Debatte geht weiter

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„Einfach dokumentieren, was hier täglich passiert und denen, die hier wohnen, eine Stimme geben“, so lautet der Anspruch der Hamburger Filmemacher Irene Bude, Olaf Sobczak und Steffen Jörg. In ihren jüngsten Film „buy buy St. Pauli“ haben sie ihn gut umgesetzt. In ihrer Langzeitdokumentation begleiten sie Bewohner_innen und Unterstützer_innen der Essohäuser, eines Gebäudekomplexes aus den 60er Jahre. Die Plattenbauten wurden 2009 an die Bayerische Hausbau verkauft. „Wir werden unsere Projekte schon nach wirtschaftlichen Kennziffern und nicht nach politischen oder gesellschaftlichen Utopien ausrichten“, erklärte Bernhard Taubenberger von der Immobilienfirma. Solche Töne motivierten Bewohner_innen und Unterstützer_innen in ihren Widerstand. Der Film porträtiert einige der langjährigen Bewohner_innen in ihren Wohnzimmern. Die gute Nachbarschaft im Stadtteil und die günstigen Mieten sind die Hauptargumente für ihren Widerstand gegen die Vertreibung. Sie gründeten die „Initiative Esso-Häuser“ und bekamen Unterstützung von der außerparlamentarischen Linken in Hamburg. Auf vielen großen Demonstrationen waren die Esso-Häuser 2013 ein wichtiges Thema.

Mieter_innen wurden zerstreut

Für Mieter_Innen und Unterstützer_Innen war es ein Schock, als die Essohäuser am 15. Dezember 2013 wegen Einsturzgefahr geräumt wurden. Davor wurden von Bauarbeitern überdimensionale Holzpflöcke in die Balkone der Häuser gerammt. Sie dienten angeblich als Stütze. Viele Mieter_innen fragen sich, ob damit nicht erst die Häuser abrissreif gemacht wurden. Schließlich hat die Zerstreuung der Mieter_innen die gleiche Funktion wie die Räumung von Fabriken bei Arbeitskämpfen. Es geht um die Zerstreuung des Widerstandes und die Isolierung des Protestpersonals. Vereinzelung statt Kollektivität ist die Devise, die gut dokumentiert wird.

Im Film werden die Mieter_innen in Notunterkünften und die hilflose Wut der Unterstützer_innen auf Demonstrationen gezeigt. Mittlerweile leben die meisten Mieter_innen verstreut in ganz Hamburg. Auf Rückkehr wagen nur noch wenige zu hoffen. Im Film bleibt am Ende offen, ob das Beteiligungsverfahren, bei dem Bewohner von St. Pauli eigene Vorschläge für die Bebauung des Geländes einreichen können, zumindest ein kleiner Erfolg der Mieter- und Stadtteilbewegung ist. Viele sind skeptisch. Schließlich ist die Frage, wer sich daran beteiligt, wenn die Mieter_innen in ganz Hamburg verstreut leben. Zudem ist die Frage, ob die Bayerische Hausbau reagiert, wenn es um Pläne geht, die nicht den besseren Verwertungsinteressen diene.

Film als kollektiver Organisator

Der Film findet bundesweit Interesse, weil die Essohäuser mittlerweile überall sind, wie eine Parole der Bewegung lautete. Der Film ist das Hamburger Pendant zu den Filmen Mietrebellen und Verdrängung hat viele Gesichter, die nicht nur verschiedene Aspekte der Berliner Mieter_innenbewegung dokumentieren, sondern bereits die Rolle eines kollektiven Organisators eingenommen haben. Mieter_innen tauschen sich nach den Filmvorführungen aus, danach gründen sich manchmal spontan Protestinitiativen. Das ist auf jeden Fall sinnvoller, als auf die Rettung durch die Politik zu warten.

In Hamburg versucht ausgerechnet die SPD bei der demnächst anstehenden Wahl zur Bürgerschaft mit dem Thema Miete und Wohnraum zu punkten. Dabei zeigt der Film auch sehr schön auf, was sozialdemokratische Wohnungspolitik ist. Als in der Initiative Esso-Häuser erste Diskussionen über Enteignung begannen erklärte der SPD-Bezirksamtsleiter Andreas Grote: „Darüber kann man nach der Revolution diskutieren. Davor handeln wir im Rahmen des bestehenden Systems“. Doch manche profitieren durchaus von der Politik der SPD. Ein angesagter Club, der sich auf dem Areal der Esso-Häuser befand und auch von Grote gerne besucht wurde, bekam schnell eine neue Unterkunft gestellt. Andere Clubs suchen bislang vergeblich.

»Buy Buy St. Pauli«, Regie: Irene Bude, Olaf Sobczak und Steffen Jörg, 86 min 6.2. Hannover, 14.2. Freiburg, 15.2. München, 16.2. Dortmund, 17.2. Bochum, weitere Infos:

http://www.buybuy-stpauli.de/

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Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

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