Faust zum Gruss, Genosse Feltrinelli

PraxismakesPerfect Das Künstlerduo Neon Neon und National Theatre Wales widmeten sich dem Leben und Sterben eines Verlegers und Revolutionärs.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Der Berghain im Ostenberlin, einst von sowjetischen Architekten als Heizkraftwerk für die DDR konzipiert, kam als Technoclub zu einiger Berühmtheit. Doch in den letzten beiden Tagen gastierte doch die moderne Theaterwelt. Im Rahmen des Festivals Foreign Affairs brachte das Nationaltheater Wales das Leben und Sterben des italienischen Verlegers Giangiacomo Feltrinelli auf die Bühne. Schon beim Eintritt in den Klub fragt man sich, ob hier schon das Theaterstück beginnt. Türsteher machen Taschenkontrolle wie beim Clubbetrieb. Im ersten Raum sind finden sich Bücher mit roten Einbänden in großen Mengen. Beim Eingang zum Hauptraum stehen junge Männer mit langen russischen Militärmänteln und den charakteristischen Mützen. Sie blicken immer wieder in die Menge und notieren eifrig irgendwas in Blöcke. Bald sind sie aber verschwunden und die Vorführung beginnt mit einen an die Wand gebeamten Konterfei von Feltrinelli, wie er Ende der 60er Jahre massenhaft auf den Steckbriefen zu finden war. Damals hatte er sich einer linken Untergrundgruppe angeschlossen und war zur Fahndung ausgeschrieben.

Im Begleittext erfahren wir vom antisubversiven Krieg der US-Geheimdienste und italienischer Faschisten gegen die Kommunistische Partei Italiens. Es ist nur nicht so recht ersichtlich, in welchem Zusammenhang diese historisch belegten Aktivitäten der Geheimorganisation Gladio mit Feltrinelli stehen. Soll hier auch wie so oft eine militante linke Praxis im Italien der 70er Jahre als Geheimdienstkonstrukt denunziert werden? Diese Frage bleibt an dem Abend offen.

Denn dann beginnt die eigentlich erst Feltrinelli-Saga, die Biographie eines jungen Mannes aus schwerreichem Haus, der durch die Überzeugungsarbeit des Gärtners bereits in jungen Jahren zum Kommunismus findet. Nach dem 2. Weltkrieg gilt er als vermögendster Kommunist. Doch seine Entscheidung, das Buch „Doktor Schiwago“ des sowjetischen Dissidenten Boris Pasternak zu verlegen, führt zum Bruch mit der poststalinistischen KP. „Wenn ein Verlegen des Buches ein Verbrechen an der Partei ist, so wäre ein Nichtverlegen ei n Verbrechen an der Kunst“, sagt der Feltrinelli-Darsteller pathetisch. Doch es war wohl er eine geschäftliche Entscheidung. Pasternaks Kitsch-Roman wurde weltweit als Dissidentenliteratur vermarktet und auch der CIA half dabei. Doch Feltrinelli endet nicht als zynischer Ex-Linker.

Bald wird er zum Mittelpunkt einer Gegenkultur und einer dissidenten kommunistischen Praxis, die die Behauptung, wer die Theorie und Praxis der kommunistischen Parteien kritisiere, wende sich gegen den Kommunismus, widerlegte. In Wirklichkeit waren diese nominalkommunistischen Parteien, die sogar die Unterdrückung der Arbeiterinnen Osteuropa verteidigten, längst Antikommun_innisten geworden.

Das zweite Erfolgswerk des Feltrinelli-Verlags nach Doktor Schiwaga waren die Worte des Genossen Mao. Wie in der neuen Linken spielte der er auch für Feltrinelli eine große Rolle, ebenso Fidel Castro, der damals auch für eine linke Opposition zum Nominalsozialismus osteuropäischer Prägung stand. Auf der Suche nach Che Guevara reist Feltrinelli nach Bolivien, wird von der Militärpolizei verhaftet und gefoltert. Wo ist Che Guevara, wollen die immer wieder wissen. Feltrinelli schweigt. Nur seine Prominenz und sein italienische Pass retten ihm das Leben. Bald geht er in Italien in den Untergrund, ist überzeugt dass nur eine klandestine linke Praxis dem faschistischen Militärpusch verhindern kann. Eine damals weitverbreitete Vorstellung, schließlich war der der Militärputsch in Griechenland noch frisch in Erinnerung und bald sollte in Chile das gleiche passieren.

Rästelhafter Tod

Als er im März 1972 in der Nähe eines Hochspannungsmastes bei Mailand tot aufgefunden wurde, lautete die staatliche Version schnell, es sei ein Unfall gewesen, weil die Sprengladung zu früh explodierte. Bis heute gibt es viele Ungereimtheiten und so wird auch ein staatlicher Mord nicht ausgeschlossen. Die Schauspieler_innen des Nationaltheaters von Wales bringen die einzelnen Stationen von Feltrinellis Biographie mit viel Ideenreichtum auf die Bühne, die aus alten Regalen auf Rollen besteht, die mehrmals durch den Raum rollt und das Publikum zur Mobilität zwingt. Etwas schwach ist die Szene, die Feltrinellis Besuch bei Fidel Castro ausdrücken soll. Der Darsteller des kubanischen Präsidenten ist allerdings sehr klischeehaft gehalten, erst beim historisch verbürgten Basketballspiel lockert die Szene etwas auf. Gut ist die Darstellung von der italienischen Konsumgesellschaft Mitte der 60er Jahre, die mit zwei Einkaufswagen und der entsprechenden genormten Produktpalette dargestellt wird. Doch von dieser Konsumwelt ist der Weg in den Faschismus nicht nur in Italien kurz. Sensible Menschen aus dem Bürgertum haben das erkannt und daraus die Konsequenzen gezogen. Hier gibt es durchaus Parallelen in den Biographien von Ulrike Meinhof und Feltrinelli.

Ein Gruß an den toten Genossen

Der Schluss des Theaterabends ist auch künstlerisch der Höhepunkt. Auf Feltrinellis Beerdigung sind fast 10000 Menschen. Im Theater wird Feltrinellis Leichnam von einer Menge durch die Straßen getragen, die Revolutionslieder sangen, Parolen skandierte. Nicht nur die Schauspieler, auch einige Theaterbesucher_innen stimmen ein und reckten die Fäuste. Auf von den Künstler_innen vorbereiteten Plakaten werden Parolen gegen den Faschismus und gegen die Unterdrückung von Flüchtlingen getragen. War es nur radikal chic oder zeigte die Szene nicht was politisches Theater auch heute noch leisten kann? Die Aufführung hat wohl zu Fragen bei Menschen geführt, die sich wenig mit politischen Themen beschäftigen. Mir ist aufgefallen, dass wie bei Feltrinelli auch die Todesumstände von Pier Paolo Pasolini bis heute nicht aufgeklärt wurden. Auch bei dem linken Filmemacher wiesen Spuren zum tiefen Staat hin.

Peter Nowak

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden