Festival in NRW setzte musikalische Maßstäbe

Krach am Bach Über das Festival schreibt mein Kollege André de Vos.

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Schon zum dritten Mal hintereinander ausverkauft war das zweitägige Festival „Krach am Bach“ in Beelen, das mit gigantischen Soundwällen der us-amerikanischen Band „Elder“ Samstagnacht zu Ende gegangen ist. Vom Freitag, 4. August, an bespielten 20 Bands aus dem internationalen Heavyrock-Sektor im Wechsel eine größere und eine kleinere Bühne auf dem Gelände von „Fliesenstudio Hartmann“ an der „Hörster 7“. Der gemeinnützige Verein „Krach am Bach“ und über 100 freiwillige Helfer machten es möglich, dass bei wechselhaftem Wetter in relaxter Stimmung ein musikalisches Feuerwerk abgebrannt werden konnte, das in dieser Zusammenstellung als einzigartig in der gesamten Region Münster-Bielefeld-Gütersloh angesehen werden muss. Jetzt beim 24. Mal kann man eindeutig konstatieren, dass „Krach am Bach“ in der Lage ist, Augenmerk und Konzentration auf die maßgeblichen Bands der heutigen Zeit – bei einem Eintrittspreis von 40€ - zu lenken. Die kommen wie „The Legendary Flower Punk“ als Instrumentalband mit langem Songaufbau, rhythmisch und mit Trompete interessant akzentuiert, aus Russland, reisen wie die total überdrehten und ekstatischen „Dearly Beloved“ aus Kanada an, während die Band „Shawn James & The Shapeshifters“ irgendwo aus den dreckigen Sümpfen aus der Gegend um Fayetteville in Arkansas gekrochen ist. Dieser brachiale, von umherwirbelnden Vollbartträgern mit Banjo und Geige vorgetragene „Swampy Blues Stoner Rock“, scheint ganz und gar nicht von dieser Welt zu sein – zumindest ist er hierzulande gänzlich unbekannt.

Diese unterschiedlichen Musikformen aus dem Blues-, Hardrock- und Psychedelic-Spektrum werden vorschnell mit dem Etikett „Retro-Rock“ versehen, sind aber ganz und gar nicht „Retro“, weil sie technisch die Beschränkungen der Sechziger und Siebziger längst überwunden haben und in vielen Fällen nur noch spieltechnisch die Grundelemente dieser Zeit aufnehmen. „Shaman Elephant“ aus Norwegen klingen jazzig-verspielt, manchmal sogar zappaesk, „Mother Engine“ aus Plauen bestehen als Instrumentalband quasi aus einer einzigen aufeinander abfolgenden Riffwalze und spielen fast nur Material ihre zukünftigen neuen Platte, „Motorpsycho“ als Headliner am Freitag aus Trondheim entwickeln seit Jahren ihr eigenes Soundschema: Ihre neue Musik löst sich von einem stringenten Strophe-Refrain-Strophe-Schema. Sie kann man sich musikalisch, trotz aller musikalischer Filigranität, wie ein startendes Düsentriebwerk vorstellen – bei dem man dahintersteht. Nur Schlusssongs wie „Into The Sun“ von „Grand Funk Railroad“ und „Vortex Surfer“ von 1998 erinnern noch an ihre alte Zeit. Die musikalische Tradition wird aber immer präsent sein, und es gibt auch keine Band - viele Musiker haben schon angegraute Bärte -, die den musikalischen Kanon von Bands wie „Black Sabbath“ über „Deep Purple“ bis „Pink Floyd nicht auswendig herunterbeten könnte, auf und aus dem sie sich über die Jahrzehnte - soundspezifisch gegliedert und weiterentwickelt - ihr eigenes Klanggerüst zusammengezimmert haben. Auch bei überaus vielen der 2300 Zuschauern ist die musikalische Entwicklung auf ihren T-Shirts und Kutten bandspezifisch verewigt. Sie belagern in großen Trauben nach jeder Show die Plattenstände. Das ergibt für diese Musikkenner und das Festival eine Barriere gegen Hipster und ausschließliche Campingplatzbesucher – mittlerweile eine schlimme Entwicklung bei vielen Festivals, die bei „Krach am Bach“ außen vor bleiben. Die Fans schwingen sich bei Stücken in Überlänge langsam ein oder gebärden sich ekstatisch wie bei Gruppen wie die holländischen „Death Alley“, deren Paradestück „Supernatural Predetor“ sie hemmungslos ausleben. Bei so vielen freigesetzten Endorphinen braucht es gar nicht so viele andere chemische Steurungsmittel wie Alkohol und Haschisch, um „gut drauf zu sein“.

Die Optik ist ein wichtiges Element, um das musikalische Ganzkörpererfahrung umfassend zu machen, jedoch wird die „Acid Test Lightshow“ der alten Schule - noch bei Bands wie den australischen Psych-Bluesern „Child“ und der dänischen Instrumentalband „Causa Sui“ eingesetzt - wohl auch bald der Vergangenheit angehören: „Elder“ aus Bosten arbeiten live schon mit 3-D-Animationen, und es ist nur eine Frage der Zeit, wann holographische Einspielungen zum integralen Bestandteil einer Bühnenshow werden, die bestens zur Musik passen würde. So können sich die Musikfreunde auch schon auf eine 25. Veranstaltung mit „Krach am Bach“ freuen, wenn wieder eine neue Palette an Bands geboten wird, die musikalisch echte Standards setzen.

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(Rockradio 1955-today+beyond)
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Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

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