Frontstaat wider Willen

Jordanien Ein US-Angriff auf Bagdad könnte das Land zerreißen

Die Regierung in Amman setzt sich vehement für eine Friedensmission in allerletzter Minute ein, schließlich hätte der kleine, zwischen dem Irak und Israel eingeklemmte Staat durch einen Krieg viel zu verlieren. Über Wochen andauernde Kampfhandlungen und hohe Opferzahlen bei der irakischen Zivilbevölkerung dürften für Jordanien höchst destabilisierend wirken. Diese Prophezeiung mag zur Zeit noch wie eine unbegründete Schwarzmalerei erscheinen, denn in Amman ist von Kriegsangst oder gar Panik wenig zu spüren.

Während der vergangenen Jahre hat sich die nationale Ökonomie erholt, der jordanische Dinar avancierte zur werthaltigsten Währung in der Region - und auf dem Jabal Al Amman, einen der sieben Hügel Ammans, imitiert die Mittelschicht ein europäisch gefärbtes savoir vivre. Auch in den ärmeren Quartiers hält sich sichtbare Armut in Grenzen. Selbst die Flüchtlinge aus dem Irak und Ägypten finden noch ihr kärgliches Auskommen. Obwohl sie oft keine gültigen Einreisepapiere haben, werden sie von der jordanischen Bevölkerung weitgehend akzeptiert. Wenn sich das vollbesetzte Teehaus blitzartig leert, kann man sicher sein, dass die Fremdenpolizei unterwegs ist und vor ihr rechtzeitig gewarnt wurde.

Inzwischen scheint sich die Haschemiten-Monarchie Reformen nicht mehr verschließen zu wollen. König Abdullah, der 1999 nach dem Tod seines Vaters Hussein die Regentschaft übernahm, spricht vom Wandel zur konstitutionellen Monarchie nach europäischem Raster. Mit einer PR-Kampagne wird an den Patriotismus in der Bevölkerung appelliert. »Jordanien zuerst!« lautet der Spruch auf ungezählten regierungsoffiziellen Plakaten. Ein Slogan, der mehr innenpolitischen Sprengstoff birgt, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Rund 60 Prozent der knapp drei Millionen Jordanier sind Palästinenser, sie kamen nach den Kriegen von 1948 und 1967 aus den von Israel eroberten Gebieten und besitzen größtenteils die jordanische Staatsbürgerschaft, vollwertige Staatsbürger sind sie deswegen noch lange nicht.

In den 17 Flüchtlingscamps, die vorwiegend in der Umgebung von Amman liegen, ist den Menschen jede politische Betätigung untersagt. Sämtliche palästinensische Organisationen sind verboten. Jeder Demonstrationsversuch wird von der Polizei mit Knüppeln und Tränengas sowie Massenverhaftungen beantwortet. Schon ein kritischer Artikel kann zu einer Festnahme führen. Vor diesen Hintergrund klingt die Parole »Jordanien zuerst!« in den Ohren vieler Palästinenser eher wie eine Drohung. Die Älteren können sich noch an die Zeit von 1970/71 erinnern, als bei Kämpfen zwischen der jordanischen Armee und Yassir Arafats Fatah Tausende Palästinenser ums Leben kamen. Heute wird ungern an diese blutige Episode erinnert. »Das ist nun einmal geschehen und nie wieder rückgängig zu machen«, erklärt die in Amman lebende Aktivistin der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) Leila Khaled. Unverkennbar passen die von den »jordanischen Brüdern« angerichteten Verbrechen nicht ins Kalkül des palästinensischen Willens zum Konsens.

In den Camps träumt man noch immer von der Rückkehr in Dörfer, die teilweise vor einem halben Jahrhundert verlassen wurden. Jeder Zweifel an der Verheißung dieses Traums, wird als Beleidigung empfunden. »Unser unverbrüchliches Recht geben wir nicht auf«, heißt der Standardsatz, um jeden Einwand abzuwehren. In einer solchen Atmosphäre fällt auch die pro-palästinensische Rhetorik eines irakischen Präsidenten auf fruchtbaren Boden. Viele sehen in Saddam einen Propheten der arabischen Einheit, der von den USA nur deshalb bestraft wird, weil er sich nicht unterwirft.

»Unser Land ist zum Helfershelfer der israelischen Regierung geworden«. Diese Meinung vertreten nicht etwa islamistische Fundamentalisten, sondern oft auch Menschen, die in den USA oder Großbritannien studiert haben und perfekt Englisch sprechen. Viele von ihnen haben sich in den »Antinationalisierungskomitees« organisiert, die Mitte Dezember von der Regierung verboten wurden. Dort wandte man sich gegen die prowestliche Außenpolitik Ammans. Besonders das 1994 zwischen Jordanien und Israel abgeschlossene Friedensabkommen wurde vehement abgelehnt. Auch die 15 industriellen Sonderzonen, die mit israelischem Kapital in Jordanien aufgebaut wurden, sind in der Bevölkerung nicht beliebt. »Diese Zonen nützen nur Israel. 20 Prozent der Rohstoffe müssen laut Gesetz aus Israel importiert werden, während der jordanische Staat für die Infrastruktur zu sorgen hat«, monieren die Kritiker.

Auch die Checkpoints, die in der Nähe der palästinensischen Grenze eingerichtet wurden, um den Waffenschmuggel in die Westbank zu verhindern, stoßen auf Ablehnung. Man hört schließlich jeden Tag, wie die israelischen Flugzeuge palästinensische Siedlungen bombardieren. Die Verbitterung und Wut gerade unter der jungen Generation wächst. Viele Beobachter befürchten, ein US-Angriff auf Bagdad könnte das Land zerreißen. Die Ereignisse im kleinen südjordanischen Maan dürften dafür ein Vorgeschmack gewesen sein. Dort löste im Dezember die Verhaftung mehrerer Stammesmitglieder tagelange Kämpfe zwischen der Armee und großen Teilen der Bevölkerung aus. Die Verhafteten wurden beschuldigt, Waffen in die palästinensischen Autonomiegebiete geschmuggelt zu haben. Gerade deswegen genossen sie viel Sympathie.

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