Gegen die Verkitschung von Pinocchio

Zucker1 Pinocchio, Er ist nicht diie verniedlichte Puppe, die Walt Disney kreiert hat. Die Theatergruppe bösediva setzte in einer mehrtätigen Performance andere Akzente.

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„In diesem Haus sind alle tot“. Diese Warnung auf einen Schild vor dem Sarglager des ehemaligen Weddinger Krematoriums hielt in den letzten Tagen die Besucher_innen nicht ab, dieses in der Regel unzugängliche Gebäude zu betreten. Denn vom 28. Mai 2015 bis 1.6 inszeniertedie Berliner Künstlergruppe bösediva dort eine Dauerperformance unter dem Titel „Zucker : I Pinocchio“.

„Walt Disney hat Pinocchio verkitscht. Übrig blieb nur 'was "Zuckersüßes". Dieses klebrige Image ist darum Thema der Installation im Berliner Untergrund, lautet der philosophische Begründung.“Walt Disney hat für seinen Zeichentrickfilm-Klassiker von 1940 tonnenweise Zucker auf diese Grausamkeiten gekippt. Zucker macht die Kinder froh, formbar und fett. Zucker macht alles gut. Walt Disney hat eindeutige Niedlichkeitsverhältnisse hergestellt, endgültige Kindchenschema. Und dann ist Ruhe im Karton“, lautet die Kampfansage der Theatergruppe an das Mainstream-Bild von Pinocchio.

"Die Geschichte ist nicht süss"

DasTheaterteam knüpft dabei an ein anderes Bild der Figur mit der langen Nase. „Die Geschichte ist nicht süß. Die Holzpuppe, die ein richtiger Junge werden soll, hungert, verliert die Füße, wird aufgehängt“, heißt es im Pressetext der Gruppe Bösediva. Ihr Ansatz, gegen die Verkitschung einer populären Figur anzugehen, ist sympathisch. Dazu schaffen sie es, dieses schwierige Thema so zu bearbeiten, dass das Publikum Spaß daran hatte. Denn wer nach den Einlassungen eine schwer theorielastige künstlerische Abhandlung erwartet hat, wurde angenehm enttäuscht. Das ganze ehemalige Sarglager war fünf Tage Spielstätte und das Publikum wurde von Anfang an mit einbezogen. Es gab keine Bühne, von der man die Schauspieler_innen beobachten konnte. Das Publikum stand mitten auf dem Spielfeld und konnte zusehen, wie die Künstler_innen vor den Mikrophonen kleine Ästen und Hölzer bearbeiteten, wie sie ein Gemisch aus Sägemehl und Gemüse zubereiteten, wie sie schließlich am letzten Abend eine der großen Pinocchio-Nasen, die überall in de Raum hingen, sprengten. Im ersten Stock liefen surrealistische Videos und immer wieder hörte man aus den zahlreichen in dem Gebäude befestigten Lautsprechern

Mut zu ungewöhnlichen Orten

Warm anziehen mussten sich die Zuschauer_innen. Schließlich ist es in den unterirdischen Kellern immer sehr kühl. Doch das besondere Flair dieses Orts bietet für Künstler_innen und Zuschauer_innen einen besonderen Reiz. Solche ungewöhnlichen Aufführungsorte sollten für künstlerische Darbietungen öfter genutzt werden. Doch leider werden solche Orte im gentrifizierten Berlin immer seltener.

Peter Nowak

Link zum Theaterstück:

http://zucker1-pinocchio.tumblr.com/

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Geschrieben von

Peter Nowak

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