Gegen Luther und Papst

Q. Szenische Lesung, Thomas Ebermann und Berthold Brunner gelang aus dem Buch ein zweistündiges Theaterstück zu schaffen, das eine Geschichte der Aufständischen in den Mittelpunkt rückt.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Zum Glück ist der Reformations- und Lutherwahn, dem auch im Freitag viel Raum gegeben wurde, seit Anfang November etwas weniger aufdringlich. Höhepunkt war der bundesweite Feiertag für den Antisemiten Martin Luther. Es gab kaum Proteste aus linker, säkularer Sicht. Doch es gibt einige Ausnahmen. Potsdamer Linke verteilten nicht nur Plakate und Flyer gegen den Reaktionär Luther. Am Deutschen Luthertag 2017 luden Sie zu einer szenischen Lesung in den Potsdamer Spartacusclub ins Freiland (https://www.freiland-potsdam.de/?ID=7553), die einen ganz anderen Blick auf jene Epoche zwischen 1517 – 1555 zeigt, als die deutschen Lutherverehrer, die sich immer dann besonders laut zu Wort melden, wenn der deutsche Nationalismus besonders stark auftrumpft.

Angelehnt an den historischen Roman Q des italienischen Kollektivs Luther Blissett inszenieren die Schauspieler_innen Denis Moschitto, Jörg Pohl, Ruth Marie Kröger, Matthias Kelle zwei Stunden Gegengeschichte Auf der Bühne sind drei Stationen aufgebaut. In einer Szene blickt der alternde Revolutionär auf Jahrzehnte des Kampfes zurück. Er trauert um die vielen ermordeten Freund_innen und fragt sich, was aus den Utopien geworden ist. Er hat sich nach Konstantinopel gerettet und neben ihm sitzt die kongenial von Ruth Marie Kröger, eine aus Portugal und Venedig vertriebene Jüdin, die in der Inszenierung eine sehr wichtige Rolle spielt.

Über Emanzipation in revolutionären Situationen

Sie ist nicht die stille Zuhörerin oder gar Bewunderin des rebellischen Großvaters. Vielmehr stellt sie kritische Fragen und so wird die Szene zu einem Disput auch zur Frage, welchen Stellenwert die Emanzipation in revolutionären Zeiten. Habt ihr auch gegen Juden gehetzt, fragt sie streng, als der Protagonist über die Wirren im Münster der Widertäufer zu sprechen kam. Es war eine kurze Epoche, in der die kleinen Handwerker die Herrschaft in der Stadt übernommen hatten, der Domturm abgerissen und Adel und Klerus entmachtet worden. Doch für Revolutionsromantik ist schon in dem Roman Q kein Platz. Dort werden die Anführer der Widertäufer als Blender und Wichtigtuer kenntlich gemacht und wenn in dem Roman dann berichtet, dass in der Endphase der Wiedertäuferherrschaft Scharen von hungernden Kindern durch die Straßen liefen und alle, auf die sie mit Fingern zeigten, als Verräter hingerichtet wurden, hat man den Eindruck, es wäre eine Art Vorläufer des IS-Terrors auf der Grundlage von christlichen Fanatismus. Auch die anderen Stationen der Kämpfe von vor 500 Jahren werden durchaus kritisch dargestellt. Dafür sorgt schon Beatric mit ihren Fragen. Da ist in erster Linie Thomas Müntzer und der Bauernaufstand zu nennen. Die so blutige Niederlage für die Aufständischen bei Frankenhausen kam auch dadurch zustande, dass der ganz in einer mystischen Welt lebende Müntzer einen Regenbogen als Pakt Gottes und den Sieg der Bauern als gesichert sah. Die weniger bekannte Kommune von Antwerpen, eine weitere Station der Revolutionsgeschichte zogen aus der Niederlage der Aufstände den Schluss, dass man die Taktik ändern muss. Sie etablierten frühe Hippiekommune, betonten die Gleichheit der Menschen und wurden von der Reaktion doch vernichtet, als sie sich mit Münzbetrug ein Vermögen aneignen wollen.

Q und die Rolle des Verräters?

Die Reaktion hatte in dem Stück in Gestalt jenes ominösen Q, der dem Roman seinen Namen gab, eine eigene Rolle. Dabei ist er nie zu sehen, dafür liest einer der Großmeister der Inquisition ständig seine Berichte aus den Herzen der revolutionären Aufstände. E ist überall dabei, beschränkt sich aber nicht aufs Berichten, sondern gibt Empfehlungen, wie der revolutionäre Funke ausgetreten werden kann und legte selbst Hand an, wenn er ihn Briefen an wichtige Protagonist_innen der Kämpfe suggerierte, sie hätten ganz viel Unterstützung, die es gar nicht gab. So schrieb er Müntzer, dass eine Armee zu seiner Unterstützung unterwegs war, die aber nie ankamen, weil es sie gar nicht gab. Im Roman hat diese titelgebende Fokussierung auf diesen Spion durchaus negative Konsequenzen. Wird doch so suggeriert, dass Geschichte eine Kette von Verrat und Konspiration und nicht von Kämpfen der Subalternen. In den 1970er Jahren hat der Chansonnier Franz Josef Degenhaft mit der Ballade von Jos Fritz nicht einen Verräter sondern einen Kämpfer die Rolle des Protagagonisten, der überall dabei war, gegeben. Hier der Tet (https://www.golyr.de/franz-josef-degenhardt/songtext-ballade-von-joss-fritz-630056.html) und hier der Song auf Youtoube (https://www.youtube.com/watch?v=Zta90lMBqVo )

Es ist ein absoluter Pluspunkt der von Thomas Ebermann und Berthold Brunner bearbeiteten Fassung der Lesung, dass die Rolle des Verräters Q dort eben nicht im Zentrum steht. Wenn der Großmeister der Inquisition seine Briefe liest, wirkt er nicht wie ein bedrohlicher Strippenzieher, der alles im Griff hat sondern wie ein peinlicher Kunde, der die Welt nicht mehr versteht. Wenn dann sogar noch Beatric in einer Art Prophetie orakelt, dass einst auch andere Gesellschaften untergehen trotz vieler Spione und die Aufmerksamkeit fast schon etwas penetrant auf die DDR längt, denkt man im ersten Augenblick, muss dann diese Aktualisierung jetzt sein. Doch im Kontext des Stücks macht der Einschub Sinn. Schließlich soll damit an all die Männer und Frauen erinnert werden, die sich für eine Gesellschaft ohne Mühe und Not engagierten, dafür verfolgt und sogar ermordet wurden, die scheiterten, auch nicht zuletzt an den eigenen Fehler und auch Verbrechen, in der DDR ebenso wie vor 500 Jahren im Münster der Wiedertäufer. Es gehe nicht darum, zu suggerieren, man könne aus der Geschichte etwas lernen, schon gar nicht aus der von vor 500 Jahren, es geht aber darum im Sinne von Walter Benjamin diejenigen nicht zu vergessen, die zumindest versucht haben, die Welt zu einen vernünftigen Ort zu machen, beschrieb Thomas Ebermann in einem Radiointerview die Intention des Stücks. Und es geht auch darum, gegen die offizielle und offiziöse Geschichte, wie die Deutschen Luthertage 2017 ein Gegengewicht zu setzen. „Gegen Luther und die Päpste.

Peter Nowak

Q. Szenische Lesung nach dem Roman von Luther Blissett; bearbeitet von Thomas Ebermann und Berthold Brunner, es spielen und lesen: Denis Moschitto, Jörg Pohl, Ruth Marie Kröger, Matthias Kelle:

nächste Termine:

21.11. Frankfurt am Main, Landungsbrücken, Gutleutstraße 294; 22.11. Reutlingen, 20 Uhr, franz.K, Unter den Linden 23; 23.11. Göttingen, Lumière, Geismar Landstraße 19; »

HIer Link zum Roman Q:

http://www.assoziation-a.de/buch/186

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden