Gericht, Prozess und Macht

Milo Rau Drei Tage konnte man sich in den Berliner Sophiensälen in die Arbeiten des Schweizer Künstlers vertiefen

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Die letzten Tage der Ceausescus. Idee, Buch und künstlerische Leitung: Milo Rau, Regie: Milo Rau und Simone Eisenring (2009)
Die letzten Tage der Ceausescus. Idee, Buch und künstlerische Leitung: Milo Rau, Regie: Milo Rau und Simone Eisenring (2009)

Foto: Karl Bernd Karwasz

Michel Friedman war in seinem Element. Ein leidenschaftlicheres Plädoyer gegen einen rechtspopulistischen Rassismus, der sich auf das Recht auf freie Meinungsäußerung beruft, hat man selten gehört. Seine Rede hatte nichts zu tun mit den routinierten Betroffenheitsreden, die an bestimmten Gedenktagen von Politikern zu hören sind. Friedman war Anfang Mai 2013 als Zeuge der Anklage bei den Züricher Prozessen aufgetreten, auf denen der rechtspopulistischen Zeitschrift Weltwoche wegen ihrer wöchentlichen Dosis an Hetze gegen alles, was der braven Schweizer über die Schnur ihres Geßlerhuts geht, Migranten, Linke, Juden, Moslems zovorderst, der Prozess gemacht wurde. Natürlich nicht vom Schweizer Staat.

Es handelte sich um eine künstlerische Intervention des Regisseurs Milo Rau, der mit seinem Internationalen Institut für politischen Mord (IPPM) in den letzten Jahren auf vielen Bühnen zu sehen war. Drei Tage machte das Institut nun Station in den Berliner Sophiensälen, die in dieser Zeit eine große begehbare Bühne waren. Die Zuschauer konnten sich in die großen Räume setzen und auf Videos die Prozesse verfolgen. Daneben gab es weitere Videos in den Seiten Gängen oder in den nachgebauten Gerichtsräumen. Der Prozess gegen die Weltwoche konnte im Parterre verfolgt werden. Am Ende wurde die Zeitschrift von der Jury mehrheitlich freigesprochen. In der Begründung wurde aber betont, man wolle der Zeitschrift noch eine Chance geben, ihren rechtspopulistischen Kurs zu korrigieren. Bis heute hat sie die Chance nicht ergriffen, aber das war wohl auch nicht zu erwarten.

Der Prozess lenkte die Öffentlichkeit auf Medien, deren Geschäftsmodell die Hetze gegen Minderheiten ist. Das Ziel des Prozesses war dann auch nicht ein Urteil, sondern eine Diskussion darüber, wann eine freie Meinungsäußerung zur Hetze wird. Friedman hat eindringlich daran erinnert, dass auch in Deutschland die Shoa mit Hass gegen Jüdinnen und Juden lange vor der NS-Herrschaft begonnen hat. Davon, dass die Weltwoche in dieser Tradition steht, konnte sich das Publikum in den Sophiensälen selber überzeugen. Dort lagen Exemplare mit den besonders hetzerischen Artikeln, die im Prozess verhandelt wurden, aus. Wenn man dieses Amalgam von Rassismus, Ressentiment gegen alles, was jenseits der Schweizer Alpen passiert und Berufung auf den Normalautofahrer liest, kann man fast froh sein, dass wir hier nur die Bildzeitung haben.

Soundcheck zum Massenmord

Eine Etage höher konnte man in den Räumen eines Studios spazieren, das einen Massenmord angefeuert hat. Dort war die Radiostation Libre de Mille Collines nachgebaut. In dem Sender wurde m Frühjahr 1994 in Kigali zur Vernichtung der Tutsiminderheit in Ruanda aufgerufen. Die Hassbotschaften bekamen eine größere Wirkungsmächtigkeit dadurch, dass sie von beliebten Popsongs unterbrochen wurden. Der Sender, in denen sich ein ruandischer Nachwuchspolitiker im schwarzen Anzug, ein in Afrika gestrandeter junger belgischer Traveller und eine selbstbewusste Moderatorin in ihren Hassbotschaften übertreffen, wird in Milo Rau Reactment, das unter dem Titel Hate-Radio auf vielen Theatertreffen gezeigt wurde, einem Publikum nahegebracht, das noch immer Mythen über die angeblich vorzivilisatorische Gewalt in Afrika pflegt. Rau zeigt mit seinen Arbeiten, wie modern die Mittel für den Massenmord in Ruanda waren. Wenn wir sie uns erklären wollen, müssen wir nicht nach einer ominösen afrikanischen Seele suchen.

Natürlich wurden in den Sophiensälen auch die „Moskauer Prozesse“ gezeigt, in denen über die Repressalien gegen missliebige Künstler aktuell in Russland verhandelt wurde. Im März 2013 sollten mitten im Moskauer Zentrum die Kontrahenten gegeneinander antreten. Rechte Putin-Anhänger versuchten die Vorführung zu stören. Vor einigen Wochen wurde Rau die Einreise nach Russland verweigert. Es mindert etwas die Stärke von Raus Arbeiten, wenn im Programmheft eine Eindeutigkeit suggeriert wird, die die künstlerischen Interventionen gerade nicht haben. So beißt es im Begleittext zu den „Moskauer Prozesse“ über das Verfahren gegen die Punkband Pussy Riot. „Es war nur der Endpunkt einer unterdessen 10jährigen Reihe von Schauprozessen gegen Künstler und Dissidenten, mit denen das System Putin jeden demokratischen Wandel verunmöglicht.“ Hier soll Rau in den Dienst für jene Menschenrechtskrieger genommen werden, denen Freiheit und Demokratie besonders dann wichtig ist, wenn keine eigenen ökonomischen Interessen mit den Machthabern verbunden sind. Doch die Arbeiten von Rau verweigern sich dieser Zuordnung und gerade das macht ihre Bedeutung aus.

Die Ceausescus als widerständige Angeklagte

Während der Schweizer Prozess gegen die Weltwoche fiktiv blieb, handelte es sich um den Videofilm „Die letzen Tage der Ceausescus“ um das Nachspiel einer realen historischen Situation. Er setzte in dem Augenblick ein, als die Gorbotschiwisten mit Unterstützung Moskaus im Dezember 1989 in Rumänien eine ihnen genehme Regierung an die Macht bringen wollte. Dabei nutzten sie die große Unzufriedenheit in der rumänischen Bevölkerung aus, die vor allem wegen des Mangels an Grundnahrungsmitteln aber auch Heizmaterial und Strom entstanden ist. Der Hintergrund bestand darin, dass das rumänische Regime die Schulden, die es beim IWF in den 70er und 80er Jahren gemacht hatte, schnell zurückzahlen wollte, um wieder unabhängig zu sein. Erst als fast alle Schulden getilgt waren, begann der Putsch. Im Film bezeichnen die Ceausescus den Prozess als Farce einer neuen Herrschaftsclique, die sie als Konterrevolutionäre bezeichnen. Damit haben sie nur zur Hälfte recht. Wenn die Putschisten Konterrevolutionäre waren, dann waren es die Ceausescus ebenfalls. Mit Kommunismus oder auch nur einer emanzipativen Gesellschaft hatten beide längstnichts mehr zu tun.

Man sieht dann am Ende, wie sich das zum Tode verurteilte Ehepaar mit Händen und Füßen dagegen wehrt vor der Hinrichtung gefesselt zu werden. Dann sieht man die beiden Leichen. Dass sie mit den Rufen „Es lebe der Kommunismus“ in den Tod gingen, erzählten hinterher einige Augenzeugen. Sie räumen auch ein, dass es hier nicht um Gerechtigkeit ging, sondern um Rache. Schließlich hatte das rumänische Bürgertum den Ceausescus nie vergessen, dass sie als Aufsteiger aus der Arbeiterklasse auf allen Ebenen das letzte Wort haben wollte.

Vor allen an den Universitäten hatte sich ein regelrechter Hass gegen Elena Ceausescus herausgebildet, die als Kind aus der Arbeiterklasse die Schule mit 14 Jahren verlassen musste, und trotzdem der bürgerlichen Wissenschaft den Weg wies. Obwohl es natürlich kein Kommunismus war, hatte ein Machtkampf in Rumänien stattgefunden, der für einige Jahrzehnte für das alte Bürgertum nicht erfolgreich verlaufen war. Die Brechung des bürgerlichen Bildungsmonopols kam aber nicht den Unterklassen sondern den Aufsteigern an der Macht zugute. Daher blieb auch ein Großteil der rumänischen Bevölkerung in der Auseinandersetzung zwischen der bürokratischen Arbeiterelite und den alten Eliten entweder neutral oder griff für letztere Partei.

In dem Berliner Kino Brotfabrik wurde vor einiger Zeit ein seltenes Filmdokument gezeigt. Es handelt sich um eine mehrstündige Dokumentation von Auftritten der Ceausescus seit den 60er Jahren. Dort ist auch zu sehen, wie die Arbeitertochter Elena den bürgerlichen Exzellenzen bei ihren Reden in den Hörsälen den Weg wies und deutlich machte, dass sie einmal in Bukarest nicht mehr zu bestimmen haben. Auch wenn man weiß, dass es nicht der Hauch von Kommunismus war, konnte man sich doch einmal daran erfreuen, wie das bürgerliche Bildungsmonopol konkret zurück gedrängt war.

In dieser Langzeitdokumentation sind auch Szenen zu sehen, wie die Ceausescus auf Massendemonstrationen nach dem Einmarsch der Warschauer Paktstaaten in Prag 1968 deutlich machten, dass in ihrem Land ein solches Vorgehen nicht widerstandslos hingenommen worden wäre. Denn Rumänien unterstützte den Prager Frühling und die Ceausescus wurden ihre vehementesten Fürsprecher. Damals hatten sie nicht nur große Teile der rumänischen Bevölkerung auf ihrer Seite. Damals sahen europäische Linke, die nach dem Ende des Prager Frühlings endgültig mit den Nominalsozialismus à la Moskau gebrochen hatten, in Rumänien eine liberale Alternative.

Wenige registrierten, dass die rumänische Regierung auch als einziger Mitgliedschaft des Warschauer Vertrages nach 1967 die Beziehungen zu Israel nicht abgebrochen hatte. Als die Ceausescus später zu der Ausgeburt des Bösen mutierten, wollte kaum noch jemand an diese Zeit erinnert werden. Daher stieß der kurze Prozess, den die Gorbatschiwisten den Ceausescus machten, in Rumänien und in vielen anderen Ländern auf erstaunlich wenig Kritik. Milo Rau gehört nicht zu denen, die das Hohelied auf die emanzipatorische Wirkung von nationalen und internationalen Gerichtshöfen überall in der Welt singen. Das macht die Stärke seiner Arbeiten aus. Er öffnet damit den Raum für Fragen, die mit diesen Prozessen oft eher verdrängt als beantwortet werden. Daher bleiben die Züricher Prozesse, gerade weil es zu keinen Urteilsspruch kommt, ein wichtiges Dokument einer Intervention in einen rassistischen Diskurs und die Verantwortlichen.

Peter Nowak

lo Rau / IIPM - International Institute of Political Murder

Die Enthüllung des Realen

WERKSCHAU: EIN BEGEHBARES SZENISCHES ARCHIV, IN DEM SICH DAS IIPM IN FILMISCHEN UND INSTALLATIVEN PRÄSENTATIONEN UND DISKUSSIONEN DEN DÜSTERSTEN MOMENTEN DER JÜNGEREN VERGANGENHEIT ZUWENDET.

Das IIPM um den Autor und Regisseur Milo Rau holte in den letzten Jahren unter anderem die Erschießung des Ehepaars Ceausescu (Die letzten Tage der Ceausescus), den ruandischen Völkermord (Hate Radio) und den norwegischen Terroristen Anders B. Breivik (Breiviks Erklärung) auf die Bühne, boxte per Theaterperformance das Ausländerstimmrecht ins Parlament einer Schweizer Großstadt (City of Change) und hob im vergangenen Frühjahr mit zwei mehrtägigen Justiz-Spektakeln (Die Moskauer Prozesse und Die Zürcher Prozesse) ein völlig neues Theaterformat aus der Taufe.

Drei Tage lang verwandeln sich nun die Sophiensæle in ein begehbares szenisches Archiv, das sich auf den Spuren des IIPM den düstersten Momenten der jüngeren Vergangenheit zuwendet. Neben der filmischen und installativen Präsentation und Diskussion von vergangenen Produktionen wie Die letzten Tage der Ceausescus, Hate Radio oder Die Moskauer Prozesse gibt die Ausstellung auch Einblicke in die laufenden Projekte Milo Raus: die für 2014 vorbereiteten Inszenierungen The Civil Wars und Die Geschichte des Maschinengewehrs sowie die im Rahmen der Ausstellung erstmals öffentlich aufgezeichnete Talk-Show-Reihe Die Berliner Gespräche.

www.international-institute.de

http://www.sophiensaele.com/produktionen.php?IDstueck=1168

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Geschrieben von

Peter Nowak

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