Gewerkschaftliche Organisierung am Campus

unter_bau Kürzlich gründete sich an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main diese Hochschulgewerkschaft. Peter Nowak sprach mit Manuell Müller von der Unterbau-Pressegruppe.

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* IM LETZTEN JAHR SEID IHR MIT EURER INITIATIVE FÜR EINE HOCHSCHULGEWERKSCHAFT IN DIE ÖFFENTLICHKEIT GETRETEN. WIE WAREN DIE REAKTIONEN?

Der Großteil der Reaktionen war äußerst positiv: Zum einen haben wir seither einen permanenten Zulauf an Interessierten und Neumitgliedern zu verzeichnen, zum anderen hat auch Berichterstattung der Medien all unsere Erwartungen übertroffen. Diverse Gruppen haben sich über unser Projekt informiert und uns noch neue, durchaus positive Impulse gegeben. Natürlich gab es auch kritisches Feedback - auch das hat uns geholfen. Wir sind inhaltlich gestärkt und mit einer vergrößerten Basis an Aktiven aus dieser Phase hervorgegangen. Insgesamt muss man aber wohl auch sagen, dass wir durchaus überrascht waren über die Reichweite des Gangs an die Öffentlichkeit. Wir waren ja bisher bloß ein Initiative und noch keine Gewerkschaft.

  • HABT IHR BEREITS ARBEITSKÄMPFE GEFÜHRT?

Viele von uns waren und sind beispielsweise an der HiWi-Initiative beteiligt und haben dort durchaus Praxis in Arbeitskämpfen sammeln können. Andere Mitglieder konnten in diversen weiteren Strukturen und Gruppen ähnliche, für uns sehr wertvolle, Erfahrungen sammeln. Ich war beispielsweise seit 2012 bei den Aktionstagen und Demonstrationen für eine Entlohnung im Praktischen Jahr von uns Medizinstudierenden beteiligt. Dort wurde einiges verbessert und zumindest eine, wenn auch zu niedrige, Entschädigung erkämpft. Dies ist ein Feld, in dem ich mir auch in Zukunft weitere Aktionen sehr gut vorstellen könnte. Denn Menschen Vollzeit arbeiten zu lassen und dafür lediglich knapp über 300€ monatlich zu zahlen ist aus unserer Sicht unverschämt. Weiter hoffen wir, dass es möglich sein wird für die Tarifrunde 2017 gemeinsame Aktionen unter Beteiligung verschiedener Statusgruppen für einen neuen Tarifvertrag für Hilfskräfte und den Stopp des Outsourcings von weiteren Teilen der Belegschaften durchführen zu können. Außerdem wollen wir aktiv auf einen deutlich höheren Grad an Festanstellungen von Verwaltungs- und wissenschaftlichen Mitarbeiter_Innen hinarbeiten.

  • IHR TRETET MIT DEM ANSPRUCH AN „DIE VERHÄLTNISSE AN DER UNIVERSITÄT FRANKFURT GRÜNDLICH UND GRUNDLEGEND AUFZUWÜHLEN, UM DAMIT EINE WENDE GEGEN DIE NEOLIBERALISIERUNG DER HOCHSCHULE EINZULEITEN“. IST DAS NICHT ANGESICHTS DER POLITISCHEN KRÄFTEVERHÄLTNISSE REVOLUTIONSROMANTIK?

Uns sind die herrschenden Kräfteverhältnisse natürlich bewusst. Wir sehen selbstverständlich, dass reaktionäre Kräfte Auftrieb haben, dass die linke orientierungslos und ohnmächtig ist. Die vielfältigen gesellschaftlichen Krisen werden dazu genutzt, um historisch hart erkämpfte soziale, ökonomische und politische Errungenschaften einzukassieren. Aber was hilft es in Anbetracht dessen den Kopf in den Sand zu stecken? Trotz der aktuellen Entwicklungen sehen wir uns nicht in der Position, unsere Ansprüche hinter uns zu lassen und in Resignation zu versinken. Unser Anspruch ist es, dem neoliberalen Kapitalismus nicht nur, aber vor allem an der Hochschule entgegen zu treten – allem voran da, weil wir eben an der Hochschule arbeiten oder studieren. Aber darüber hinaus, weil es auch hier viele Probleme gibt: die Studien- und Arbeitsbedingungen verschlechtern sich und junge Akademiker*Innen sind zunehmend mit wenig aussichtsreichen Lebensperspektiven konfrontiert. Außerdem sehen wir, dass diese Institution wichtige Potentiale und Ressourcen zur Verfügung stellt, die für progressive Kräfte genutzt werden sollten. Und auch weil die Hochschule eben nicht nur passiver Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse ist, sondern selbst ein zentrales Kampffeld für gesellschaftliche Entwicklungen darstellt und sich die Veränderungen an der Hochschule wiederum auf andere gesellschaftliche Bereiche auswirken, ist es wichtig hier zu kämpfen. Die Verfasstheit der Hochschule bestimmt maßgeblich mit, welche Haltungen und Wissensbestände an eine immer größere Zahl der nächsten Generationen weitergegeben werden. Dass wir hier eine kämpferische Praxis etablieren wollen hat also erstmal nichts mit Revolutionsromantik zu tun, sondern ist für uns einfach eine naheliegende und sinnvolle Option, auf die aktuellen Gegebenheiten zu reagieren.

Gesellschaftliche Zusammenhänge und Entwicklungen sind komplex und nicht nur wir, sondern auch viele andere Menschen suchen nach Auswegen aus heutigen politischen und sozialen Entwicklungen. Wir denken, dass wir mit unserer Idee begeistern können und das wir bislang apolitische Menschen oder solche, die die Organisierungsform der großen Gewerkschaften ablehnen, wieder in eine kritische Praxis einbinden. Wenn wir als Linke nicht begeistern tun es andere – mit fatalen Konsequenzen für unsere Gesellschaft. Gegen zunehmend autoritären und krisenhaften Neoliberalismus einerseits und reaktionäres Aufbegehren andererseits, muss eine linke Politik darin bestehen, gegen die entsolidarisierenden Haltungen zwischen verschiedenen Gruppen der Lohnabhängigen anzukämpfen – wie sie auch in der unternehmerischen Hochschule noch verstärkt werden.

Und wir denken, dass wenn das akademische Prekariat beginnt, die Gemeinsamkeit gegen die einzelkämpferische Einsamkeit zu stellen, und sich darüber hinaus noch mit anderen gesellschaftlichen Gruppen und Kämpfen verbindet, es zunehmend ein wichtiges Moment für eine progressive Politisierung der Gesellschaft darstellen kann.

  • KAPITALISMUSKRITIK IST AN DEN HOCHSCHULEN HEUTE EXTREM MINORITÄR. WIE WOLLT IHR DAS MIT EUREM KONZEPT ÄNDERN?

Selbstverständlich sehen wir, dass diese Marginalisierung von Kapitalismuskritik mit gesellschaftlichen Entwicklungen und der Transformation der Hochschule zu tun hat. Aber die existierende Schwäche linker Organisierung hängt auch mit der Perspektivlosigkeit der Linken, sowie den existierenden Organisierungsansätzen zusammen.

Konkrete Probleme gibt es ja genug. Aber Organisierung und Bewusstseinsbildung sind Fragen einer kämpferischen Praxis. Und wir dürfen nicht vergessen, dass Zugang zu linkem Denken und zu linker Praxis gegenwärtig gerade aufgrund dieser Marginalisierung extrem voraussetzungsreich und in gewisser Weise elitär ist – selbst wenn es an den Hochschulen gesellschaftlich betrachtet noch vergleichsweise viele irgendwie links-gesinnte Menschen gibt.

Wir versuchen auf die Perspektivlosigkeit zu antworten, indem wir für eine praktische Widerbelebung der marginalisierten Tradition des Anarcho-Syndikalismus und Rätesozialismus stehen. Und wir sind der Überzeugung, dass eine nachhaltige Politisierung und Organisierung ausgehen muss von konkreten Problemen und Positionen innerhalb der gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionssphäre. Wenn sie nicht da ansetzt, bleibt sie abstrakten und letztlich bürgerlichen Vorstellungen der Politik verhaftet, die Politik als von anderen Gesellschaftsbereichen abgekoppeltes System versteht.

Gleichzeitig wollen wir mit unserer Praxis nicht bloße Interessensvertretung sein – also die Interessen nicht schlechthin als gegeben annehmen und sie damit festschreiben. Mit unserem Konzept der Transformationsorganisation geht es uns darum das Verhältnis von Revolution und Reform als dialektischen Widerspruch zu denken: ausgehend von existierenden Interessen und Problemen der (Re)Produktion, führen wir Kämpfe für konkrete Verbesserungen. Dabei versuchen wir jedoch gleichzeitig das Verständnis dieser Kämpfe um die Perspektive der gesellschaftlichen Zusammenhänge zu erweitern und sie zudem auf den Horizont einer anderen Form der Gesellschaft hin auszurichten.

Dabei muss selbstverständlich auch immer eine Kritik der eigenen Praxis das eigene Voranschreiten begleiten. Aber das Verhältnis von Theorie und Praxis darf nicht einseitig aufgelöst werden. Es geht darum praktische Formen der Vermittlung zu schaffen.

Wir unterscheiden uns damit einerseits von dem diffusen Aktionismus der Studierendenproteste. Mit unserer Rückbesinnung auf Konzepte gewerkschaftlicher (Selbst-)Organisierung, wollen wir nichts übers Knie brechen, sondern sorgfältig daran arbeiten, die eigenen Handlungs- und Durchsetzungsmöglichkeiten zu erweitern.

Andererseits sehen wir uns auch im Gegensatz zu kapitalismuskritischen Hochschulgruppen, die oftmals Schlagseite haben bezüglich einer praxislosen und meist rein abstrakten Kritik. Wir denken, dass je weniger Zugriff auf reale Kämpfe man hat, desto mehr beschränkt man sich auf identitäre Selbstvergewisserung durch Abgrenzung nach Außen und kreist damit um sich selbst. Subkulturelle Versumpfung in eigenen Affinitätsgruppen und Stagnation sind die Folge. Auf viele Außenstehende wirkt das extrem abschreckend. Auch deswegen ist Kapitalismuskritik überall – und auch an der Hochschule – so marginalisiert.

Indem wir bei konkreten Problemen ansetzen, ohne dabei stehen zu bleiben, sondern eine weitreichende Perspektive wiederbeleben und zeigen, dass unser Konzept seriös und tragbar ist, wollen wir den Raum der politischen Isolation der Linken überwinden und dafür sorgen, dass radikale, linke Positionen auch außerhalb der Peergroup wieder ernst genommen werden können. Das ist eine große Aufgabe. Aber irgendwo muss man ja anfangen.


* IST DIE VON EUCH BEKLAGTE „NEOLIBERALISIERUNG DER HOCHSCHULEN“ INNERHALB DES KAPITALISMUS ÜBERHAUPT ZU BEKÄMPFEN?

Die Hochschule ist natürlich allem voran bedingt durch die funktionalen Anforderungen der kapitalistischen Verwertung: Zur Ermöglichung von Innovationen muss sie verwertbare Forschungsergebnisse liefern. Und sie leistet einen wesentlichen Beitrag, um das Vorhandensein von Arbeitskräften zu gewährleisten, die mit den spezifischen Motivationen, Fähigkeiten und Kenntnissen ausgestattet sind, wie sie entsprechend der jeweiligen Produktionsweise benötigt werden. Das Studium setzt in weiten Teilen eine Erziehung zur Verinnerlichung von unhinterfragtem Arbeitszwang fort.

Studierende sind also zum größten Teil Lohnabhängige in dem letzten Abschnitt ihrer Qualifizierungsphase für den Arbeitsmarkt – sofern sie nicht bereits neben ihrem Studium dazu gezwungen sind, mit schlecht-bezahlten Studierendenjobs ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Daneben soll die Universität Wissen zur Symptombekämpfung gesellschaftlicher Krisen produzieren oder möglichst kohärente Rationalisierungen des Bestehenden zur Verfügung zu stellen und diese durch das Gütesiegel „wissenschaftlich“ aufwerten.Darüber hinaus erfüllen universitäre Zeugnisse die ideologische Funktion, Ausgrenzung, Einkommenshierarchien und Herrschaftsverhältnisse zu legitimieren. Wir haben also keine naive Vorstellung einer vermeintlichen unbedingten Universität und Wissenschaft.

Gleichzeitig sind wir aber der Auffassung, dass die Hochschulen in dieser Funktionalität nicht aufgehen. Das sieht man allein schon daran, dass auch die Wirtschaft mit dem existierenden Bachelor- und Master-System nicht zufrieden ist. Wichtig ist es zu sehen, dass sich durchaus der Grad, zu dem universitäre Wissenschaft und Bildung aufklärerische Potentiale aufweisen, unterscheidet.

Auch die halbdemokratische Gruppenuniversität, als Vorläufer der derzeit durchgesetzten unternehmerischen Hochschule, wies zahlreiche Probleme auf. Insbesondere war auch sie schon chronisch unterfinanziert. Trotz explodierender Studierendenzahlen ist seit 1975 der prozentuale Anteil des BIP, der in Deutschland für Hochschulen aufgewendet wird, nicht mehr gestiegen.

Aber die zunehmende Einsparung in Bereichen der gesellschaftlichen und kulturellen Reproduktion wie der Bildung wurde im Zuge der neoliberalen Austeritätspolitik zudem nochmal verstärkt. Hier geht es natürlich darum, die Reproduktionskosten von Arbeitskraft zu senken und die Staatsausgaben zu reduzieren, damit Unternehmens-, Vermögens- und Erbschaftssteuern weiter möglichst niedrig gehalten werden können. Gleichzeitig werden in Zeiten der ökonomischen Dauerkrise die Finanzinstitutionen durch Hunderte Milliarden von Euro subventioniert. Die Unterfinanzierung der Staatshaushalte und damit der Bildungseinrichtungen ist also durch die ökonomischen Verhältnisse und insbesondere durch die Offensive des Kapitals und die Ohnmacht linker (Klassen-)Politik auf dieser Ebene bedingt.

Dies bedeutet nun auch, dass die aufklärerischen, demokratischen Potentiale, die in einer spezifischen historischen Konstellation für die Hochschulen erkämpft werden konnten, nun als aller erstes wieder einkassiert wurden.

Doch auch innerhalb der gegebenen ökonomischen Situation gibt es weiterhin politische Spielräume. Die Unterfinanzierung wurde auch als Chance genutzt, um den Umbau der Hochschule zur unternehmerischen Hochschule politisch voranzutreiben. Es sind ja bekanntlich zu 80% öffentliche Gelder, die zunehmend nach pseudo-marktförmigen Wettbewerben vergeben werden.

Verschiedene Interessen haben direkt und indirekt Einfluss auf diese hochschulpolitischen Weichenstellungen genommen. Die Wissenschaftspolitik der EU und des BMBF verfolgt explizit die direkte Orientierung an Verwertungsinteressen zur Sicherung von Standortvorteilen im globalen Wettbewerb sowie die Anbindung der Hochschulen an politische Auftragsforschung zur sozialtechnischen Symptombekämpfung. Das bildungsbürgerliche Feigenblatt der Freiheit von Forschung und Lehre ist also passé. Die Tendenz geht mitunter sogar in Richtung Auftragsforschung – beispielsweise durch bezahlte Stiftungsprofessuren. Es wird davon geredet, dass die Hochschulen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden sollen. Aber gemeint ist damit allein, dass sie das Verwertungsinteresse des Kapitals und die Auftragsforschung im Dienste der herrschenden Ordnung bedienen soll.

Um zu sehen, welche zahlungskräftigen Interessen auf diese Weise Einfluss auf die Wissenschaft nehmen können, genügt ein Blick auf die Stiftungsprofessoren und Sponsoren unserer Universität: Finanzinstitutionen, Versicherungen oder Pharmakonzerne. Die schaffen eine Professur nach ihren Vorstellungen, die sie für vielleicht 5 Jahre bezahlen. Anschließend werden die Kosten zur Weiterführung dieser Professur von der Universität selbst übernommen. Und die gleiche Tendenz existiert selbst dort, wo Forschung noch überwiegend staatlich finanziert wird: Ein Beispiel ist hier der Fachbereich Medizin, wo wichtige Grundlagenforschung in universitärer Regie durchgeführt wird, die Kosten dafür durch die Gemeinschaft getragen werden – der Gewinn, der auf Basis dieser Forschung entwickelten Medikamente danach aber einseitig bei den Firmen verbleibt.

Wir kennen alle die derzeitigen Probleme an den Hochschulen: Prekarisierung der Lohnarbeitsverhältnisse, Entdemokratisierung der Hochschule im Inneren und die zunehmende Steuerung und Konformisierung von Wissenschaft. Hinzu kommen die hierarchische Spaltung der Belegschaften nach Statusgruppen, die zur Entsolidarisierung führen und dazu, dass der Druck von Oben nach Unten abgegeben wird. Zunehmend werden Dienstleistungen an externe Betriebe ausgelagert, die unter gesteigerter Konkurrenz darum wetteifern, die Löhne möglichst weit zu drücken. Die Hochschulleitung fühlt sich hierfür nicht zuständig. Auch die geschlechtsspezifische Diskriminierung hält insbesondere auch an der Hochschule an: Gerade einmal 22,9 Prozent der Professor_innenschaft ist weiblich, obwohl über die Hälfte der Absolvierenden Frauen sind. Damit eine Frau Chancen hat Professorin zu werden, muss sie im Schnitt 2 ½ mal soviel publizieren, wie ihre männlichen Kollegen.

All das geht natürlich nicht zuerst von unserem Präsidium aus, sondern ist im Kontext der gesellschaftlichen Entwicklungen und hochschulpolitischen Weichenstellungen zu betrachten. Doch auch hier wiederum fördert innerhalb des existierenden Spielraums unser Präsidium diese Tendenzen noch zusätzlich, beispielsweise indem es selbst interne Wettbewerbe einführt und die Qualifizierungsstellen noch weiter befristet, als gesetzlich vorgegeben.

Es existiert also nicht nur auf politischer, sondern auch auf betrieblicher Ebene durchaus ein Spielraum, bezüglich einer möglichen Verbesserung der Beschäftigungsverhältnisse. Das gilt insbesondere für die Goethe-Universität, die ja Tarifautonomie besitzt. Die Hilfskraft-Initiative beispielsweise hat zwar noch keinen Tarifvertrag erkämpfen können, da die (Schein)Verhandlungen der Hochschulleitung ohne Grund abgebrochen wurden – aber sie hat immerhin zu einer Lohnerhöhung um 50 Cent pro Arbeitsstunde geführt.

Außerdem hat die Aufmerksamkeit, die dieses Thema erhalten hat, bewirkt, dass studentische Hilfskräfte, die administrative Tätigkeiten verrichten nun zunehmend in administrative, tariflich eingebundene Beschäftigungsverhältnisse überführt werden: Besserer Lohn, bei weniger Arbeit. Das zeigt: Wenn wir uns nicht wehren, wird der auch auf betrieblicher Ebene vorhandene Spielraum gegen unsere Interessen ausgenutzt.

Und die Abwärtsspirale kann ja auch umgedreht werden: wenn es Druck aus den Betrieben gibt, wird das Präsidium auch anfangen, den Druck an die höheren politischen Ebenen weiterzugeben, um die Probleme auch dort anzugehen.

Wenn die jeweiligen Statusgruppen gezielt ihre Forderungen wechselseitig aufnehmen und in gemeinsamen Kämpfen verbinden, kann ein größerer Druck auf das Präsidium entstehen. Der unter_bau könnte für dieses Geflecht von Auseinandersetzungen das organisatorische Herzstück an der Universität darstellen.

Bessere Arbeitsbedingungen hätten wiederum Rückwirkungen auch auf die Qualität von Forschung und Lehre. Und eine andere Wissenschaft und Lehre kann wiederum Rückwirkungen auf gesellschaftliche Entwicklungen auf anderen Ebenen haben.

  • IHR DOKUMENTIERT AUF EURER HOMEPAGE EINE VON EUCH ORGANISIERTE VERANSTALTUNG MIT DEM SOZIALWISSENSCHAFTLER INGO ELBE ÜBER KLASSENKAMPF AN DER HOCHSCHULE. DORT KONSTATIERT IHR, DASS WEDER EINE GEWERKSCHAFT NOCH EIN STREIK AN DER HOCHSCHULE NOTWENDIG REVOLUTIONÄR SIND. WARUM ORGANSIERT IHR EUCH DANN NICHT IN EINER DGB-GEWERKSCHAFT WIE DER GEW ODER VERDI?

Als Transformationsorganisiation verstehen wir uns als basisdemokratische Gewerkschaft anderen Typs, was einen anderen Anspruch an unsere Organisation und damit verbundene Gewerkschaftspolitik impliziert. Wir vertreten die Auffassung, dass eine gewerkschaftliche Praxis sowohl kämpferischer sein muss als bei den etablierten Gewerkschaften, als auch mehr sein kann, als das, was gemeinhin als rein ‚trade-unionistische’, ökonomistische Politik bezeichnet wird.

Damit verbindet sich also eine zweifache Kritik an der etablierten Gewerkschaftspraxis. Denn im wohlfahrtsstaatlichen Klassenkompromiss waren die Gewerkschaften mit ihrer Fokussierung auf dröge Tarifrituale und Wahrung der Privilegien spezifischer Arbeiter*Innenschichten Teil eines sozialpartnerschaftlichen Kompromisses. Auch Gewerkschaften spielten also eine ko-konstitutive Rolle in diesen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen. Dabei haben sie nicht nur jedweden politischen Horizont aufgegeben; durch ihren eigenen ‚Erfolg‘ bezüglich dieser Agenda haben sie sich zudem als Institutionen bürgerlicher Politik selbst diskreditiert. Viele junge Menschen halten Gewerkschaften heute für Staatsinstitutionen – oder im besten Fall für einen Versicherungsclub wie den ADAC.

Die Gegenseite hat das natürlich nicht abgehalten, diese Selbstdiskreditierung und Erschlaffung des Kampfgeistes zu ihren Gunsten zu nutzen, den Klassenkompromiss von Oben aufzukündigen und fortan in die Offensive zu gehen. Zwar wurde diese Sozialpartnerschaft in der Praxis dadurch einseitig erschüttert, doch folgen die DGB-Gewerkschaften insgesamt noch immer einer sozialpartnerschaftlichen Doktrin, die – mit wenigen Ausnahmen – keinen Klassenantagonismus kennt und die Kooperation von Arbeitgebern und Arbeitnehmern betont. Heute ist es sehr wichtig zu erkennen, dass eine solche sozialpartnerschaftliche Doktrin auch der Kern von Standortpolitik und Nationalismus ist. Gegen jedweden Korporatismus setzen wir ein klassenkämpferisches Bewusstsein.

Andererseits, vertreten wir mit unter_bau den praktischen Anspruch, dass darüber hinaus Gewerkschaftspolitik etwas sein kann, was über den besseren Verkauf der eigenen Arbeitskraft hinausgeht – indem auch Fragen der Qualität und Form der Arbeit und ihrer (Selbst-)Organisation thematisiert werden. Durch unsere Organisierung schaffen wir einen kulturellen Raum, in dem wir bestimmte Fähigkeiten und Haltungen entwickeln und uns aneignen, die sich systematisch auf den Horizont einer basis-demokratischen, selbstverwalteten Universität und Gesellschaft ausrichten. Wir geben uns selbst eine Struktur, in der wir jetzt schon Selbstverwaltung üben und angemessene Formen der Wissensweitergabe schaffen. Dadurch erreichen wir natürlich keine gesamtgesellschaftliche Planwirtschaft – aber wir entwickeln die Fähigkeiten der Selbstverwaltung auf Betriebsebene, sowie einer eigenständigen Vernetzung mit anderen gesellschaftlichen Bereichen.

Gewerkschaft ist so gesehen als klassenkämpferische Organisation auch eine (Hoch-)Schule gegen Konformismus und autoritären Charakter und für die Kultivierung solidarischer Haltungen; und darüber hinaus, eine Schule für den Aufbau eines konkreten gesellschaftlichen Bewusstseins und der praktischen Fähigkeit zur Selbstverwaltung.

Ein Streik ist noch nicht revolutionär. Da unser politischer Horizont jedoch auf das Fernziel einer selbstverwalteten Hochschule und Gesellschaft ausgerichtet ist, ist eine Organisierung außerhalb der DGB-Gewerkschaften notwendig – denn dieses Ziel teilt keine DGB-Gewerkschaft.

Zuletzt denken wir, dass eine Veränderung der DGB-Gewerkschaften durch einen Versuch des Umkrempelns von Innen um einiges destruktiver, zeitaufwendiger und auch weitaus weniger erfolgsversprechend wäre. Anstatt den anderen zu sagen, was sie anders machen sollen, wollen wir einfach mit gutem Beispiel vorangehen. Man wird sehen, wie schnell das auch dazu führt, dass andere Gewerkschaften ihre Praxis verändern.

So hat die HiWi-Ini an der Goethe-Universität bereits dazu geführt, dass die GEW sich an unserer Hochschule besser aufstellt und dieses Thema aufgreift. Und wir halten es nicht für unplausibel, dass auch die Öffentlichkeit, die unserer Initiative zuteil wurde Anteil daran hatte, dass auch ver.di jetzt eine Betriebsgruppe an der Goethe-Universität aufbauen will. Paradoxer Weise tragen wir also gerade durch den Aufbau einer Alternativgewerkschaft zur (Selbst-)Stärkung auch der

* UNTER DEM TITEL „“VERWALT ER ODER SPALTER? ODER WIE WEIT KÖNNEN GEWERKSCHAFTEN AN DER UNI GEHEN?“ HABT IHR EUCH ENDE OKTOBER AN EINER DISKUSSIONSVERANSTALTUNG AUCH MIT VERTRETERN VON DGB-GEWERKSCHAFTEN BETEILIGT. WIE SOLL DIE KÜNFTIGE KOOPERATION AUSSEHEN?

Statt Konkurrenz wünschen wir uns einen einvernehmlichen, solidarischen Wettbewerb um die beste Form der Organisierung der Interessen der Belegschaften. Zudem setzen wir auf Komplementarität. Wir können derzeit sicherlich noch nicht alles leisten, was die etablierten Gewerkschaften bieten. Auch deswegen halten wir Doppelmitgliedschaften für sehr sinnvoll.

Zudem organisieren sich bei uns auch Menschen erstmals gewerkschaftlich, die sich aufgrund ihres politischen Anspruchs niemals ernsthaft in einer DGB-Gewerkschaft engagieren würden. Auch in der Hinsicht sehen wir also ein Ergänzungspotenzial.

Wir solidarisieren uns uneingeschränkt, mit allen anderen gewerkschaftlichen Kämpfen, die zum Aufbau eines klassenkämpferischen Bewusstseins an den Hochschulen und in der Gesellschaft beitragen – hier unterstützen und begrüßen wir die wichtigen Impulse, die auch von der GEW ausgegangen sind, beispielsweise mit dem Templiner Manifest. Das war ein wichtiger Beitrag zur Schaffung eines Problembewusstseins. Zunehmende Befristung und Wettbewerbsorientierung werden auch dank dieser Initiative zunehmend als problematisch wahrgenommen.

Wir hoffen und bemühen uns darum, dass diese Solidarisierung auch von der anderen Seite ausgehen wird und sehen durch den von uns etablierten Gewerkschaftspluralismus vor allem Möglichkeiten eine allgemeine Belebung des gewerkschaftlichen Kampfgeists und die Möglichkeit von Synergien und Komplementarität. Ob es den „etablierten“ Gewerkschaften um die Sache oder um Wahrung von Standesinteressen und persönlichen Vorteilen einzelner Funktionär*Innen geht, wird sich an der Reaktion auf unsere Gründung ablesen lassen. Meint man es ernst mit der Vertretung der Interessen der Belegschaften, dann sollte unsere Gründung Grund zur Freude sein. Agieren die DGB-Gewerkschaften gegen unter_bau, so wissen auch deren Mitglieder, dass ihre Organisationen lediglich Politik zum Zweck der Selbsterhaltung machen, anstatt gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen.

* IM LETZTEN JAHR ORGANISIERTE DIE BASISGEWERKSCHAFT FAU IN JENA EINEN ARBEITSKAMPF AN EINEN CALLCENTER DER UNIVERSITÄT. SOLLEN SOLCHE AKTIONEN KÜNFTIG UNTER DEM DACH DER HOCHSCHULGEWERKSCHAFT LAUFEN?

Der beschriebene Arbeitskampf ist ein sehr gutes Beispiel für die Wirkmächtigkeit basisdemokratischer organsierter Gruppen im Arbeitskampf. Für uns ist dieser Fall vor allem deshalb exemplarisch, da sich die Beschäftigten einer Organisation zugewandt haben, die unseren Prinzipien sehr nahe steht. Das genannte Callcenter war bis dahin für eine enge Verzahnung mit etablierten, großen Gewerkschaften bekannt – vermutlich war dies einer der auslösenden Mechanismen für die Hinwendung der Arbeiter*Innen zu einer alternative Struktur wie der FAU. Die Schwelle, eigenes Engagement einzubringen ist hier wesentlich niedriger, als wenn Beschäftigte sich neben ihren Problemen am Arbeitsplatz noch durch existierende Funktionärsstrukturen kämpfen müssen, um in einen Arbeitskampf einzutreten. Ähnliche Aktionsformen werden auch für uns relevant werden, sobald wir uns aktiv als unter_bau in praktische Kämpfe für bessere Arbeitsbedingungen einbringen.

* WIE SEIT ES MIT EURER VERANKERUNG AUßERHALB DER UNIVERSITÄT FRANKFURT/MAIN AUS?

Derzeit sind wir noch auf unsere Hochschule beschränkt. Selbstverständlich sind wir aber schon jetzt bundesweit vernetzt und halten darüber hinaus Kontakt zu Gruppen im europäischen Ausland, die sich mit ähnlichen Problemen konfrontiert sehen wie Beschäftigte an der Goethe Universität. Dort gibt es großes Interesse für unsere Ideen sowie bereits einzelne Anfragen bezüglich der Gründung weiterer unter_bau-Gruppen außerhalb Frankfurts bzw. an anderen Frankfurter Hochschulen. Allen, die sich für unser Projekt interessieren sagen wir: Hier ist unser Konzept, die Vorarbeit ist gemacht. Ihr könnt es gern übernehmen, damit arbeiten und euch organisieren. Wir unterstützen euch, wo wir können.

Interview: Peter Nowak

Homepage zu Unter_bau:

https://unterbau.org

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Geschrieben von

Peter Nowak

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