Grace gegen Shosanna

Milo Rau Der sozialkritische Theaterregisseur widmet sich in dem Stück "Mitleid.De Geschichte des Maschiinengewehrs" der Kritik an der Helferindustrie und ihren Mythen

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Auf der Bühne im Kleinen Saal der Schaubühne sieht es aus wie in einer Müllhalde. Plastiktüten, ein defekter Kühlschrank und viele andere Relikte der Wohlstandsgesellschaft können im Halbdunkel zunächst eher erahnen als sehen. Sofort kommen Assoziationen zu Müllhandel am Rande von afrikanischen Metropolen. Im Laufe der knapp 90 Minuten Theateraufführung von „Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs“ wird das Missverständnis über diese vermeintliche Müllhalde aufgeklärt. Sie ist in Wirklichkeit Zeugnis eines bewaffneten Konflikts zwischen Ruanda und der Republik Kongo. Milo Rau, der sich in den letzten Namen einen Namen als sozialkritischer Theatermacher gemacht hat, gelingt mit diesen Stück da Publikum gründlich zu irritieren und das macht gute Theaterarbeit aus. Er bringt in den 90 Minuten zwei Themen zusammen: den Kampf der Geflüchteten in Europa und die innerafrikanischen Massaker in Ruanda und später auch an den Grenzen. Der Genozid in Ruanda ist mittlerweile in einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Dass das Morden im Namen imaginärer Ethnien noch Jahrelang in den Nachbarländern weiterging und in eine jahrelangen innerafrikanischen Krieg übergibt, an dem sich auch zahlreiche weitere afrikanische Staaten beteiligt waren, unzählige Menschen das Leben verloren haben, ist schon weit weniger bekannt.

Welches Leben betrauern wir?

Das Stück stellt sich die Frage, wann und mit wem "wir" Empathie haben.. Das Bild des ertrunkenen Jungen mit dem roten T-Shirt, dessen Boot gekentert ist, hat in Europa Millionen Menschen bewegt.Tote Kinder in Ruanda hinterlassen hingegen nur ein Schulterzucken. Zwei Personen bestreiten den Abend, sind auf der Bühne und noch mal vergrößert auf dem Bildschirm über der Bühne zu sehen. Ursine Lardi, die in den Stück den Hauptpart spielt ist durch den Tod des Jungen nicht berührt. Sie hält das Bild in den Händen und fragt sich, warum die Eltern überhaupt die gefahrvolle Überfahrt mit dem Kind wagten? Dabei widerholt sie auch rechtspopulistische Propagandaformeln, wie die, dass der Vater des Jungen, die Reise nur angetreten hat, weil er seine Zähen in Deutschland erneuenr wollte. Es sind die einzige Griffe in die rechtspopulistische Schublade. So macht Lardi lustig, über junge Geflüchtete, die wie Hipster aussehen. Doch damit spricht aus ihr, was in Deutschland viele denken. Die Menschen sehen nicht krank und leidend genug aus und stoßen so auf den Hass des Mobs, der in den Handys der Geflüchteten den Beweis sehen will, dass sie nicht in Not sind. Lardi spielt die Rolle der Mitarbeiterin einer NGO, mit den Namen Teachers en Conflict, die gerade in der Republik Kongo an der Grenze zu Ruanda aktiv war, als in Ruanda der Genozid begann. Nachdem sich dort die politische Situation verändert hatte und die Massenmörder rund ihre Unterstützer_innen fliehen mussten, und im Ostkongo einen Staat im Staat bildeten, wurden sie zum Objekt einer internationalen Charity-Lobby, die sich mit pompös-kitschigen Namen wie „Helft Afrika", "Heilt Afrika" oder "Neue Hoffnung" verdecken wollten, dass alles ein großes Geschäft war. Derweil geht der Krieg der ehemaligen Massenmörder aus Ruanda gegen ihre Opponent_innen weiter bis die ruandische Armee zurückschlägt und das Mördercamp an ihrer Grenze beseitigte. In der internationalen Öffentlichkeit gab es auf diese blutigen Ereignisse kaum Reaktionen. Sie hatte sich schon sehr an Folter und Mord in Afrika gewöhnt, ja sie hat diese Gewalttaten schon zu ethnischen Besonderheit erklärt, dass man sich über Massaker, wenn sie in Afrika stattfinden, nicht aufregt sondern sich bestätigt fühlt, dass mensch schon immer die Afrikaner_innen nicht gleichberechtigt behandelt Hier hat das Stück seine Stärke. Es legt den Rassismus und Zynismus auch und gerade der NGO-und Charity-Szene offen und zeigt hinter der Fassade der Offenheit und Hilfsbereitschaft rassistische Ressentiments und die weit verbreite Überzeugung, dass die Europäer_innen dazu berufen sind, die Welt zu retten. Wer da nicht besonders dankbar ist und gleich noch eigene Rechte einfordert, wird schnell zum Feind erklärt.

Grace oder Soshanna

Als zweiter Part des abend, sielt Consolate Siperius eine junge Frau aus Burundi, die Überlebende eines Genozids wurde und von einer belgischen Familie adoptiert wurde. Sie wird im Laufe des Stücks zur antirassistischen Kämpferin. Der Kontrast der beiden Figuren, wird an Hand ihrer Lieblingsfilme deutlich. Für Lardi ist es Dogville, jener zu tiefst menschenfeindlichste Film von Lars van Trier Lardi identifiziert sich sofort mit Grace, jener Tochter eines Gangsterbosses, die in Dogville eine Art Sozialexperiment aufprobieren wollte und als die Bewohner_innen nicht alle freudig mitmachten, zur Menschenfeindin wurde. Am Ende war Grace dafür, alle zu erschießen. Das ist ganz nach dem Geschmack der misantrophen Lardi, für die allen Menschen doch nur Arschlöcher sind. Consolate Siperius identifiziert sich hingegen mit Shosanne in dem Film Inglourious Bastards, die als Jüdin ihre gesamte Verwandtschaft durch die Shoa verloren hat und in Paris die NS-Führung vernichten will. Während eine NS-Propagandafilm im Kino läuft, lasst sie alle Eingänge verschließen und das Kino anzünden. Doch zuvor unterbricht Shosanne den NS-Propagandafilm und ihr Gesicht erscheint auf der Leinwand und verkündet die jüdische Rache. Die NS-Verbrecher müssen direkt in ihrer Augen blicken, was ihr großer Triumph ist. Ist Consolate Siperius jetzt die Jüdin und wer sind dann die Nazis? Am Ende schließt der Theaterabend mit einem Kinderlachen, dass man angeblich überall in Afrika hören könnte.

Peter Nowak

Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs

von Milo Rau
Uraufführung
Regie: Milo Rau

http://www.schaubuehne.de/de/produktionen/mitleid-die-geschichte-des-maschinengewehrs.html

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Geschrieben von

Peter Nowak

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