Heinz Emigholz verweigert sich den Konsensfilmen a la Berliner Schule. Und er nimmt auch keine Rücksicht auf die Sehgewohnheiten der Zuschauer*innen. Das ist seine Stärke. So können wir in seinen Filmen über eine längere Zeit die Architektur von Gebäuden in allen Teilen der Welt bewundern. In seinen neusten Film „Schlachthäuser der Moderne“ widmet er sich dem argentinischen Architekten Francisco Salamones, der in den 1930er und 1940er Jahren in dem südamerikanischen Land repräsentative Gebäude konzipirte, die nicht zufällig an ähnliche Bauten erinnern, die zeitgleich in Italien erreichtet wurden, wie Emigholz im Vergleich zeigt. Die Eliten des aufstrebenden argentinischen Kapitalismus, der die Welt mit Rindfleisch belieferte, orientierte sich damals am italienischen Faschismus, ein Erbe, das auch nach 1945 in Teilen der peronistischen Bewegung und nach 1975 der Militärdiktatur fortlebte.
In Argentinien spielten in dieser Zeit die Mataderos, wie die Schlachthäuser auf spanisch heißen, eine zentrale Rolle, Sie waren das Symbol des kurzen Aufschwungs des argentinischen Kapitalismus, so wie im Ruhrgebiet die Hochöfen für den fossilen Kapitalismus waren. Für die Umwelt und die Gesundheit der Menschen war beides fatal. Es ist im Film schön zusehen, wie die meisten der Schlachthäuser heute nur noch Ruinen sind, wo sich manchmal die Natur ihren Platz zurückerobert hat. Das wird besonders deutlich in einer Szene, wo gezeigt wird, wie der einst mondäne argentinische Badeort Villa Epecuén 1985 im See verschwunden ist, weil es viel zu nah am Wasser gebaut worden war. Durch den Regenmangel der letzten Jahre tauchen die Ruinen seit einigen Jahren wieder auf. Im Film wirken sie wie ein Menetekel auf den Zerfall der kapitalistischen Moderne.
Gegen Kaiser, Schloss und Deutschland
Und dann taucht dort auch noch ein Mann im Taucheranzug auf, der eine Polemik gegen Deutschland, seine Geschichte und Gegenwart losläßt, die ältere Semester an die antideutschen Kongresse und Demonstrationen der 1990er Jahre erinnern. Der Mann steht dann bald in bunten Hemd vor dem Humboldtforum in Berlin, den er im wahrsten Sinne verbal in Grund und Boden stampft. Er erinnert die Verbrechen von Kaiser Wilhelm II, der noch immer von Monarchist*innen verehrt wird. Im Film erfahren wir nicht nur, dass er für das Massaker des 20 Jahrhunderts an Herero und Nama im Süden Afrikas verantwortlich war und den Soldaten, bevor sie den Boxeraufstand in China niederschlugen, mit dem Weg gab, keine Gefangenen zu machen. Dieser Wilhelm II war auch ein erklärter Antisemit, der über die Endlösung der Judenfrage mit Gas nachdachte. Es ist eine wahre Freude, zu hören und zu sehen, wie in diesem Film der deutschlandkritische Sound der 1990er Jahre zu hören ist. Das gefällt verständlicherweise nicht allen, so gab es in der Taz einen Totalverrriss des Films. Ich empfehle hingegen, einen der politischsten Filme von Heinz Emigholz unbedingt anzuschauen. Ich habe nur einen Kritikpunkt: Am Ende wird gefordert, das Humboldtforum in Berlin wieder abzureißen und in Argentinien aufzubauen. Warum soll man denn die Menschen dort die deutsche Geschichte aufdrängen? Dort gäbe es doch andere Möglichkeiten, die Kontinuität faschistischer Theorie und Praxis aufzuzeigen, was auch im Film kurz erwähnt wird. Viele Nazis flohen nach 1945 auch mit Hilfe der Katholischen Kirche über die sogenannten Rattenlinie aus Deutschland nach Argentinien, darunter Josef Mengele und sein ständiger Gesprächspartner, der Vater der Stadtsoziologin Saskia Sassen. Einige der Altnazis beteiligten sich während der Ära der faschistischen Militärdiktatur in Argentinien der 1970er Jahre an den Terror gegen Oppositionelle. Da braucht man in Argentinien also nicht das Humboldtforum nachbauen, um auf faschistische Kontinuitäten hinzuweisen.. Abreißen, zermahlen und über einen ausgewählten Platz in Deutschland abregnen lassen, das wäre da mein Vorschlag für die Zukunft es Humboldforum. Ich bekenne, dass ich die Idee geklaut habe von Horst Hoheisel. Dessen Intervention war vor längerer Zeit in einer Ausstellung über nicht realisierte Konzepte für ein Holocaust-Denkmal in einem Potsdamer Museum zu sehen waren. Hoheisel schlen vor, das Brandenburger Tor abzutragen, die Steine zu zermalmen und über Deutschland abregnen lassen, als wahres Denkmal für die Shoah.
Peter Nowak
SCHLACHTHÄUSER DER MODERNE (80 min)
Heinz Emigholz, läuft in einigen Programmkinos
https://www.filmgalerie451.de/de/filme/schlachthaeuser-der-moderne
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